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Das Geisterfest in China, ein Fest für den Tod wie der Día de los Muertos in Mexiko, fällt auf den 15. Tag des 7. Monats nach dem chinesischen Mondkalender. Ursprünglich zählte es zu den wichtigsten traditionellen Festen, aber allmählich verliert es seine Bedeutung für die moderne Gesellschaft. Nur noch einige Bürger*innen, Bauern und Bäuerinnen in einigen Regionen sowie manche Überseechines*innen feiern heutzutage noch diesen Vollmondtag. Warum interessieren sich die meisten Chines*innen nicht mehr für das Geisterfest?

Der Geistermonat

Das Geisterfest war ursprünglich ein Opferfest. Diese Tradition lässt sich auf die Qin-Dynastie (221-207 v. Chr.) zurückführen. Die antiken Chines*innen legten viel Wert auf die Opfergabe im Frühling und Herbst. Der Frühling symbolisiert den Anfang des Lebens, während der Herbst den Untergang markiert. Im Herbst hielten der Kaiser und die Fürsten eine Reihe von Zeremonien ab, darunter auch die Opfergabe für Baidi (白帝), den Gott des Todes. Es wurden Speisen und Räucherwerke für den Gott und die Vorfahren aufgestellt und Bankette gegeben. Solche höfischen Veranstaltungen beeinflussten das Bürgertum. Nach und nach wurde der siebte Monat (nach dem chinesischen Mondkalender, ungefähr Ende August nach dem heutigen Kalender) zum Geistermonat. Nach dem Volksglauben wird die Tür der Unterwelt am ersten Tag geöffnet und am 15. Tag wieder geschlossen.

Das Licht auf der Straße soll den Weg für die Toten gen Heimat weisen. Diese Tradition passt nicht mehr zum modernen Stadtleben.

Im Geistermonat kommen die Gespenster nach langer Wartezeit auf die Erde. Traditionell werden auf der Straße Kerzenlichter angezündet und Schuhe aufgestellt, damit die Toten bequem gehen können. Ansonsten verursachen die unzufriedenen Geister unerträgliche Katastrophen, die den Lebenden drohen. Man lässt auch Papierboote und Laternen auf dem Wasser schwimmen. Einerseits weist das Licht den Toten den Weg in ihre Heimat, wo ihre Familien Speisen aufstellen und Höllengeld verbrennen, um ihre Müdigkeit zu vertreiben und ihr Leben in der Unterwelt zu verbessern. Anderseits hoffen die Menschen, dass die Geister voller Groll (weil sie lange Zeit in der Dunkelheit des Jenseits verbracht haben) so schnell wie möglich ihre Zielorte erreichen. Das Geisterfest, das am 15. Tag des Monat gefeiert wird, ist der Höhepunkt – ist es für die Toten doch ihr letzter Tag auf der Erde.

Zwei religiöse Ursprünge

Die Daoisten lesen  heilige Schriften, bringen Opfergaben dar und schreiben Gebete auf Papier.

Das Geisterfest hat zwei religiöse Ursprünge. Für die Daoisten heißt das Fest eigentlich Zhongyanjie (chinesisch 中元节). Die Buddhisten feiern an diesem Tag das Ullamabna-Fest (chinesisch 盂兰盆节). Interessanterweise entwickeln sich die beiden Religionen fast reibungslos in China, wahrscheinlich wegen der Offenheit der chinesischen Kultur. Seit der Song-Dynastie (960–1279) ist zu beobachten, dass Daoismus und Buddhismus gemeinsam mit Konfuzianismus drei unverzichtbare Grundlagen für die chinesische Kultur bilden. Seither können die Anhänger*innen der beiden Religionen das Fest harmonisch gemeinsam feiern.

Nach dem Daoismus entsteht die Welt aus drei Elementen: Himmel, Erde und Wasser. Für die drei gibt es jeweils einen daoistischen Gott. Der Gott des Himmels, geboren an dem 15. Tag des ersten Monats nach dem Mondkalender, erteilt den Segen. Der Gott der Erde, geboren am 15. Juli, verzeiht die Sünde. Und der Gott des Wassers, geboren am 15. Oktober, hilft in der Not. Jeder Gott kommt an seinem jeweiligen Geburtstag zur Erde, um seinen Dienst zu leisten. Es ist also der Gott der Erde, der am 15. Tag des Geistermonats auf die Erde kommt und die verlorenen Seelen rettet. Diese sind Tote, die während ihrer Lebenszeit etwas verbrochen haben. Die Daoisten stellen an diesem Tag einen Altar auf, lesen bestimmte heilige Schriften und verbrennen Räucherwerke, damit sie den Unsterblichen (Gott) empfangen können und beim Sühnen der Sünden der toten Geister helfen.

Mulian sieht das Leid seiner Mutter und wendet sich an Buddha.

Die Geschichte von Mulian

Genau an diesem Tag feiern die Buddhisten das Ullambana-Fest (盂兰盆节). Auf Sanskrit bedeutet Ullam „auf dem Kopf gestellt“. Dieser Stand verkörpert Leiden. Bana ist ein bestimmter Behälter für Opfergaben. Im Ullambana-Sutra wird die Geschichte von Mulian (目连) erzählt, einem heiligen Anhänger Buddhas. Eines Tages träumte er, dass seine bereits verstorbene Mutter in der Unterwelt unter Hunger litt und schlank wie eine Skelett wurde. Er stellte als ihr Nachkomme Speisen vor dem Altar auf, aber sie konnte sie nicht genießen.

So bat er Buddha, das Leid seiner Mutter zu vermindern. Buddha antwortete, dass seine Mutter zu Egui (饿鬼, ein bestimmter Geist, der unter ewigem Hunger leidet) geworden sei, weil sie zu Lebenszeiten geizig und nicht wohltätig war. Um sie zu retten, musste Mulian am 15. Tag des 7. Monats Speisen und Getränken für Buddhisten aus aller Welt anbieten. Als alle dann für sie beteten, konnte sie sich von diesen Leiden befreien. Aus der Geschichte ist ein Fest geworden, bei dem man Opfer gibt, Schriften liest und zusammen für Vater und Mutter der jetzigen und der sieben früheren Generationen betet.

Ein Fest in der Vergangenheit?

Eine Familie auf dem Dorf stellt Speisen auf den Tisch und wartet auf die Geister der Vorfahren.

Beim Geisterfest kommen Volksglaube, daoistische und buddhistische Traditionen zusammen. Die Grundideen bildet das Erinnern an die Vorfahren, das Leisten der Sühne und das Verehren der Toten. In den modernen chinesischen Städten gerät das Geisterfest zunehmend in Vergessenheit.

Zunächst ist es kein staatlicher Feiertag, obwohl es eine lange Geschichte und vielfältige Ursprünge hat. Das führt dazu, dass die jüngeren Generationen kaum Kenntnis davon haben. Zweitens wird es nicht mehr gemeinsam gefeiert. Buddhisten und Daoisten feiern das Fest im kleinen Kreis, jeweils getrennt voneinander. In einigen Regionen, besonders auf dem Land, werden noch Papierboote und Laternen aufs Wasser geschickt und Speisen auf den Tisch gestellt, aber das wird in einer Gesellschaft, die Atheismus als Leitkultur markiert, eher als Aberglauben angesehen. Nicht zuletzt fehlt dem Fest für die meisten Leute ein gemeinsames Symbol oder Thema, wie Jack O’Lantern bei Halloween oder La Catrina beim Día de los Muertos. Ist das Geisterfest also selbst ein Gespenst in der modernen Welt?

 

Mexiko feiert vom 31. Oktober bis zum 2. November eines jeden Jahres ein großes Fest für und mit den Verstorbenen des Landes. Bei den sogenannten „Día de los Muertos“-Feierlichkeiten gedenken die Einwohner*innen Mexikos den Toten mit aufwändig gestalteten Ritualen. Sie zeigen fröhlich und ausgelassen, mit Paraden oder kulinarischen Köstlichkeiten, dass der Tod kein Grund zur Trauer ist.

Aber wieso feiert ganz Mexiko eigentlich auf so positive Art und Weise, wenn es doch um Tod und Trauer geht? Der Grund hierfür ist, dass die Geister der Toten während der „Día de los Muertos“-Feiertagen ihren Familien einen Besuch abstatten. Für die Einwohner*innen Mexikos zählen sie zu den wichtigsten Feiertagen des Jahres. Deshalb beginnen schon Anfang Oktober die Vorbereitungen für das Fest.

In ihrem Artikel für „National Geographic Society“ beschreibt Sue Caryl den Tod aus Sichtweise der Einwohner*innen Mexikos als natürliche menschliche Erfahrung. Er ist der nächste Schritt nach Geburt, Kindheit und dem Aufwachsen in der Gemeinschaft. An dem Feiertag kehren die Seelen der Verstorbenen in die Gemeinschaft zurück, um mit den Lebenden ein großes Fest zu feiern.

„Dia de los Muertos celebrates the lives of the deceased with food, drink, parties, and activities the dead enjoyed in life.“ – (Sue Caryl für National Geographic Society)

Deshalb ist in Mexiko auch nicht schwarz die Farbe der Trauer, sondern alles was bunt, fröhlich und farbenfroh ist. Sue Caryl beschreibt „Día de los Muertos“ als Fest, welches das Leben der Verstorbenen kulinarisch, mit Musik und Tänzen feiert. Dies stimme die Verstorbenen glücklich. Sie könnten einmal im Jahr nochmals all die Dinge genießen, die sie im Jenseits vermissen.

Aztekische Ursprünge

In Lateinamerika wird mit dem Tod positiver umgegangen, als wir es im europäischen Raum gewohnt sind. Logan Ward erklärt in „National Geographic – Geschichte und Kultur“, dass der Sinn hinter „Día de los Muertos“ sei, die Liebe und den Respekt für verstorbene Familienmitglieder unter Beweis zu stellen. Vor vielen Tausenden von Jahren entstand diese Tradition unter anderem durch die Tolteken und Azteken. Sie empfanden das Trauern um verstorbene Personen als respektlos. Wer verstarb, sollte weiterhin als fester Bestandteil in der Gemeinschaft erhalten bleiben.

Die „Día de los Muertos“-Tradition gilt als typisch lateinamerikanischer Brauch, welcher aztekische Rituale mit dem Katholizismus vereint. Spanische Eroberer brachten im 15. Jahrhundert den katholischen Einfluss in die Region. Gina Franco und Christopher Poore erwähnen im „America Magazine“, dass jedoch bis heute Kontroversen bezüglich des Ursprungs des „Día de los Muertos“ bestehen. Manche Überlieferungen würden die europäischen Wurzeln mit katholischen Ritualen wie Totenmessen betonen. Andere behaupten, „Día de los Muertos“ müsse ausschließlich dem indigenen Volk zugeordnet werden. Grund hierfür sei der Brauch, dass die Lebenden sich um die Toten kümmern und die Toten die Lebenden beschützen.

„Día de los Muertos“ wird heutzutage von jedem in Mexiko gefeiert, unabhängig seiner Religion oder ethnischen Herkunft. So bezeichnet Ward die Feierlichkeiten als Kombination aus christlichen Festen und religiösen Riten prä-hispanischen Ursprungs. Im Jahr 2003 ernannte die UNESCO die Tradition zum immateriellen und mündlichen Kulturerbe der Menschheit.

Lebendige Tote feiern ein Fest

(Bild: Catrina, ein weibliches Skelett für das Día de los Muertos Fest by Pixabay)

Catrina – Das Symbol für den Día de los Muertos-Brauch (Quelle: mlarranga, Pixabay)

Skelette und Totenköpfe sind bei den „Día de los Muertos“-Festlichkeiten die am meisten anzutreffenden Symbole. Die sogenannten „Calacas“ und „Calaveras“ tauchen in unterschiedlichsten Arten auf. „Calaveras de Dulce“ sind bunt bemalte Totenschädel aus Marzipan oder Zuckerguss, welche italienische Missionare im 17. Jahrhundert nach Mexiko brachten. Zudem produzieren die Einheimischen auch Skelette oder Särge aus Schokolade in Massen. Das „Pan de Muerto, ein süßes Anisbrot verziert mit Schädeln und Knochen aus Teig, ist ebenfalls eine kulinarische Tradition.

Hinter der Idee, Lebensmittel in Totenkopf- oder Skelettform darzustellen, steckt jedoch mehr als nur reiner Symbolcharakter. Zudem werden Parallelen zum Katholizismus sichtbar, da beim Ritual des Abendmahls auch der Verzehr von Speisen und Trank fester Bestandteil ist.

Skelette kommen allerdings nicht nur als kulinarische Objekte zum Vorschein. Für festliche Paraden durch die Straßen bemalen sich die Teilnehmer*innen ihre Gesichter in Form von Schädeln. Die Paraden und die Musik dienen dazu, die eigene Freude auszudrücken und die Geister der Verstorbenen zu wecken. Die mexikanischen Frauen laufen bei den Festtagsumzügen als „Catrina“ verkleidet mit. Solvejg Hoffman schreibt in einem Artikel für GEO:

„La Catrina“ ist „eine Erfindung des mexikanischen Künstlers José Guadalupe Posada [und] ist zum klassischen Symbol für den Tag der Toten geworden.“

Ward berichtet, dass Diego Rivera, ein mexikanischer Künstler, 1947 in seinem Wandgemälde „Dream of a Sunday Afternoon in Alameda Park“ das von Posada stammende Kupferstich-Skelett mit einbezog. Demzufolge trug die Skelettbüste einen großen Hut und bekam den Namen „Catrina“.  „Catrina“ war seiner Zeit ein Spitzname für Reiche. Aufgrund ihrer Popularität wurde die Figur zum Hauptsymbol des „Día de los Muertos“-Fests.

Altäre – Anlaufstellen für die Geister

Als Catrina verkleidete Mexikanerinnen mit Kerzen vor einem Altar

Mexikanerinnen mit Kerzen in der Hand, vor einem reich geschmückten Altar stehend (Bild: ernestordzglz, Pixabay)

Weitere wichtige Bestandteile der Feiertage sind Altäre. Sie bilden den Mittelpunkt des Festes einer jeden Familie. Überall findet man sie reich geschmückt, damit der Geist des*r Verstorbenen sich nach der langen Reise stärken kann. Sie sind überfüllt mit Essen, Trinken, Kerzen, Kruzifixen, Fotos des*r Verstorbenen und einem Meer aus orangenen Blumen. Aber wozu das Ganze?

Die Altäre dienen als Anlaufstelle, um die Verstorbenen zu empfangen und am Ende des Festes wieder zu verabschieden, erklären Franco und Poore im „America Magazine“.

Von den Altären aus laufen die Familien zu den Gräbern der Toten, um diese zu säubern und zu dekorieren. Musik und Fröhlichkeit begleiten die Rituale. Am Ende einer jeden Feier gehen die Familien zurück zu den Altären, um die Geister der Toten dort wieder zu verabschieden – bis sie genau ein Jahr später wiederkommen, um gemeinsam das Leben und den Tod ausgiebig zu feiern.