UNESCO-Welterbe, Touristenmagnet und Wahrzeichen – der Ayers Rock ist vermutlich der berühmteste Berg Australiens. Auch für die Aborigines hat er eine besondere Bedeutung. Gerade das führt zu Konflikten mit Besucher*innen.
Der rötliche Sand erstreckt sich bis zum Horizont. Lediglich widerstandsfähige Gräser und karge Büsche lockern das Landschaftsbild im Herzen des Kontinents auf. Hier, mitten im australischen Nirgendwo des Bundesstaats Northern Territory, erhebt sich der Ayers Rock.
Der 340 Meter hohe Inselberg ist ein Touristenmagnet und gehört zu den bekanntesten Wahrzeichen Australiens. Rund 400.000 Besucher*innen nehmen jährlich die umständliche Reise auf sich ‒ meist über das 470 Kilometer entfernte Alice Springs. Die Stadt gilt als Tor zum australischen Hinterland. Von dort kommt man nur über den Stuart Highway oder mit dem Flugzeug weiter. Die Passagiermaschinen landen direkt in Yulara, einem kleinen Ort mit Hotelanlage und Campingplatz in Reichweite des UNESCO-Welterbes. Was viele Tourist*innen aber nicht wissen: Das beliebte Ausflugsziel beherbergt einen Geist. Denn der Ayers Rock ist ein fester Bestandteil in der ‚Traumzeit‘ der Aborigines, der Ureinwohner*innen Australiens.
Ayers Rock – Heimat der Regenbogenschlange
Der Begriff ‚Traumzeit‘ steht für die Mythologie und Religion der Aborigines. Sie gehört zu einer der ältesten Kulturen der Welt, die noch heute gepflegt wird. Ein Bestandteil der ‚Traumzeit‘ ist die Phase der Schöpfung. In dieser mythischen Vorzeit, von der die Geschichten der Aborigines handeln, kreierten sogenannte Schöpferwesen die Welt. Die Regenbogenschlange gilt als eines der wichtigsten Schöpferwesen – sie ist für die Entstehung von Bergen, Flüssen und Tälern verantwortlich. Dem Glauben der Aborigines nach leben die Geister der ‚Traumzeit‘ -Wesen in ihren Schöpfungen bis heute weiter. Am Ayers Rock, den die Aborigines ‚Uluru‘ nennen, lebt demzufolge der Geist der Regenbogenschlange. Corinna Erckenbrecht, Leiterin der Abteilung ‚Weltkulturen und ihre Umwelt‘ des Mannheimer Museumsverbundes ‚Reiss-Engelhorn-Museen‘, sagt: „Der Fels als Ganzes ist weniger wichtig. Es sind vielmehr einzelne Stellen, auch am Rand, die eine besondere Bedeutung haben.“ Daher seien spezielle Felshöhlen und Wasserquellen für die ansässigen Aborigines, die ‚Anangu‘, heilig.
Was für die ‚Anangu‘ heilig ist, muss jedoch für andere Stämme nicht ebenfalls wichtig sein. In Australien lebten vor der Ankunft der Briten auf dem Kontinent hunderte Stämme. Sie hatten verschiedene Sprachen und gaben der ‚Traumzeit‘ unterschiedliche Namen. Allerdings hatten auch die Mitglieder desselben Stammes nicht unbedingt den selben Wissensstand über die ‚Traumzeit‘. So waren die Stämme der Aborigines laut Erckenbrecht lockere Verbünde von Menschen, die sich untereinander durch eine gemeinsame Sprache und Kultur zugehörig fühlten. Innerhalb eines solchen Stammes lebten kundige Aborigines, die das Wissen mündlich durch Lieder, Tänze und Geschichten weitergaben. Allgemein galt das tiefere Wissen über die ‚Traumzeit‘ als geheim. Daher mussten es sich die jungen Aborigines durch bestimmte Rituale und Mutproben ‚verdienen‘.
Wohl behütetes Wissen
Spezielles ‚Traumzeit‘ -Wissen war außerdem jeweils Frauen oder Männern vorbehalten. Dies traf unter anderem auf den Initiationsritus zu, durch den die Jugendlichen in den Kreis der Erwachsenen aufgenommen wurden. „Bei der Initiation der Jungen hatten die Männer das Sagen, und bei den Mädchen die Frauen“, sagt Erckenbrecht. Es habe getrennte Bereiche gegeben, über die eigenes Wissen überliefert wurde. Manche Orte, an denen die Geister der Schöpferwesen leben, seien demnach ausschließlich Frauen zugänglich, andere nur Männern, so Erckenbrecht. Dies trifft auch auf bestimmte Höhlen am Ayers Rock zu, in denen Aborigines Initiationsrieten durchführten.
Die spirituelle Landkarte Australiens
In Australien gibt es noch unzählige weitere Orte, die für die traditionell lebenden Aborigines mit der ‚Traumzeit‘ in Verbindung stehen. Dort leben dem Glauben der Ureinwohner*innen nach ebenfalls die Geister der Schöpferwesen. Diese Orte ergeben für Kundige eine Art spirituelle Karte, die auch einen praktischen Nutzen hat. „Für sie sind das bestimmte Orientierungsmerkmale in der Landschaft. Es ist wichtig zu wissen: wo gibt es Trinkwasser, welchen Pfaden kann ich folgen, welche muss ich eher meiden“, sagt Erckenbrecht.
Vielen Nicht-Aborigines fehlt darüber das nötige Wissen. Sie betreten die Ruhestätten der Schöpferwesen, obwohl die Orte nach den Regeln der Aborigines nicht betreten werden dürfen. So wollte beispielsweise ein amerikanischer Ölkonzern exakt an einer der Kultstädten nach flüssigem Gold bohren. Für die ansässigen Ureinwohner*innen ein Sakrileg. Die Probleme, die jedoch am Ayers Rock auftreten, sind verglichen damit eher vielschichtiger Natur.
Wohin mit den verlorenen Seelen?
Beginnt man den Aufstieg auf den Berg, sieht man Plaketten, die verunglückten Tourist*innen gewidmet sind. „Die Leute überschätzen ihre Fähigkeiten beim Klettern in der Hitze. Es ist einfach wahnsinnig steil“, erklärt Erckenbrecht. Seit den 1950er Jahren kamen beim Klettern am ‚Uluru‘ rund 40 Menschen ums Leben. Die Seelen der Verunglückten müssten nach dem Glauben der Aborigines in ein Totenreich geleitet werden. Um diesen Übergang ins Jenseits zu erleichtern, gibt es spezielle Bestattungsriten. Jedoch geschieht eben das mit den Seelen der verunglückten Tourist*innen nicht, sagt Erckenbrecht. Daher würden die Seelen der Verstorbenen noch lange am Ayers Rock ziellos herumgeistern. „Das ist für die Aborigines sehr unangenehm“, so Erckenbrecht weiter.
Ab dem 26. Oktober 2019 sollen zumindest keine weiteren Seelen am Ayers Rock dazukommen. Dann wird auch wegen der Unfälle das Klettern verboten. Die Ureinwohner*innen würden sowieso nicht auf die Idee kommen, auf den Berg zu klettern. Erckenbrecht sagt: „Für die Aborigines ist das völlig sinnentleert. Da oben ist nichts.“ Der Blick vom Ayers Rock streift nur über karge Vegetation und rötlichen Sand, der sich bis zum Horizont erstreckt.