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Die Krone auf deinem Kopf ist etwas Einzigartiges und Besonderes. Doch was passiert, wenn jemand, der sich nicht damit identifizieren kann, auf einmal dieselbe Krone trägt? Sollte man sich nicht freuen, wenn ein kultureller Austausch auf einer so ästhetischen Ebene wie dem Haar stattfindet? Oder sollte man gegen die Haarinvasion antreten?

Kim Kardashian West mit Bo Derek Braids – das fühlt sich ein bisschen an wie eine neue Episode der Serie „Was die Kardashians stahlen und als ihre Eigenmarke vertrieben“. Anfang des Jahres war das die neue Lieblingsfrisur von ihr und ihrer Tochter. Doch diese angeblich neue Frisur brachte einen unverwechselbaren Shitstorm mit sich. Viele beschwerten sich, nicht nur über das Tragen der angeblichen Bo Derek Braids, sondern auch über die Art und Weise, wie Kim Kardashian ihre neue Flechtfrisur vermittelte.

Fangen wir mit der ersten und offensichtlichsten Frage an. Warum gab sie ihrer deutlich erkennbaren afrikanischen Flechtfrisur einen anderen Namen?

Hier wurde die Kritik perfekt auf den Punkt gebracht. Quelle: Twitter

Nach einer ergiebigen Google-Suche gibt es hier die Erklärung, wer Bo Derek überhaupt ist. Bo Derek gilt als ein Sexsymbol der 1980er. Durch ihre Rolle in Zehn – Die Traumfrau gewann Derek weltweite Aufmerksamkeit, die sie trotz allem nicht vor dem Gewinn einer goldenen Himbeere bewahrten. Im Film trug Bo Derek in der Rolle als Jenny Hanley besondere Zöpfe, die wiederum Kim Kardashian zu ihrem neuen Look inspirierten. Das teilte die Stilikone natürlich sofort auf den sozialen Plattformen. Jedoch geschah all das unter dem neugetauften Bo Derek Look und nicht dem originalen Namen.

„Nicht mit uns!“ dachten sich viele Social-Media-Nutzer und machten Kim Kardashian West direkt auf ihr Fehlverhalten aufmerksam:

 

Quelle:Twitter

 

Woher kommen die Bo Derek Braids ursprünglich?

Die vermeintlich umbenannte Flechtfrisur heißt Fulani Zöpfe. Diese werden traditionell vom Volk der Fulbe getragen (womit auch die richtige Namensgebung erklärt wird), welches in der Sahelzone Afrikas seinen Sitz hat. Seinen Ursprung findet das Flechten im Jahre 3500 v.Chr. im alten Ägypten. Zöpfe waren ein Teil der Kommunikation und sind bis heute noch ein Anzeichen, um die Herkunft und den sozialen Status eines Menschen zu erkennen. Durch den Sklavenhandel und mehreren Migrationsschübe verbreitete sich die Frisur unter der afro-amerikanischen Bevölkerung. Durch die Bürgerrechtsbewegung (1954 – 1968) gewannen Zöpfe und die Kunst des Flechtens eine größere Bedeutung und Aufmerksamkeit.

Wo liegt jetzt das Problem?

Es ist kein Problem, wenn die „selbsterklärte“ Trendsetterin Mrs Kardashian West sich Zöpfe flechten lässt. Es ist ihr gutes Recht ihre Haare nach ihrem eigenen Belieben zu tragen. Das Problem lag in der Art der Vermittlung. Sie stellt ihre Frisur nicht nur zur Schau, als wäre es eine Eigenkreation, sondern benennt sie diese auch noch um. Es ist nicht abzustreiten, dass die Kardashian-West-Marke einen hohen Stellenwert in der heutigen Gesellschaft hat. Eben deswegen ist es vielen so wichtig, dass wenn sich jemand wie eine Kim an ihrem Stil vergreift, ihnen auch die notwendige Anerkennung verleiht. Wenn sie schon einen Trend daraus macht, dann bitte auch unter den richtigen Bedingungen.

Bildquelle: Razzle Jam/ retna.io

Having Black hair is unique in that Black women change up styles a lot. You can walk down one street block in New York City and see ten different hairstyles that Black women are wearing: straight curls, short cuts, braids – we really run the gamut. – Queen Latifah

Wer ist überhaupt mit „ihnen“ gemeint?

Ihnen – umfasst primär alle Volksgruppen, die Zöpfe als ein Symbol ihrer Gesellschaft sehen. Zöpfeflechterin ist nicht nur eine Berufsbezeichnung, sondern auch ein Dienst für die Gesellschaft und für manche ein wichtiges Ritual. Die Zöpfe zeigen die Zugehörigkeit einer Person zu einer bestimmten Volksgruppe. Doch durch Migration und Sklavenhandel ging diese Tradition bei vielen Völkern verloren. Das Schönheitsideal hat sich verändert und ist westlicher geworden. Natürlich lockiges Haar und ihre Hair-Styles wurden und werden bis heute noch als ungepflegt und unästhetisch angesehen. Vielen dunkelhäutigen Trägerinnen wird ihre Schönheit abgesprochen aufgrund ihrer Frisur. Jedoch werden diese stereotypisierten Styles eben dann anerkannt, sobald eine weiße Sprecherin ihn für sich behauptet. All das spitzt sich dann zu, wenn die wirklichen Kuratoren nicht rechtmäßig kreditiert werden.

Irgendwo zwischen Glatt und Zöpfen…

Bloggerin Naturalneiicey setzt ihre Zöpfe gekonnt in Szene. Quelle: Instagram

Was wäre ein passender Lösungsansatz? Wenn ein kultureller Austausch passiert, auf einer ästhetischen Ebene wie den Haaren, dann ist dies ein Schritt in die richtige Richtung, um einen Dialog zu starten. Dieser Dialog sollte jedoch rechtmäßig stattfinden. Es ist schön, wenn sich andere Kulturen ihre Haare flechten und die jeweiligen Stile imitieren. Jedoch sollte man darauf achten, nicht zu plagiieren, sondern genau diese Gelegenheit zu nutzen, um auch andere davon zu überzeugen, dass die Frisur schön ist, egal an wem. Der Erfolg der Zöpfe sollte nicht durch die Hautfarbe des Trägers, sondern durch die persönliche Schönheit bestimmt werden.


Weitere Links:

https://www.brighthubeducation.com/social-studies-help/121031-cultural-significance-of-hair-braiding-in-african-tribes/

Pergament, Deborah. „It’s Not Just Hair: Historical and Cultural Considerations for an Emerging Technology.“ Chi.-Kent L. Rev.75 (1999): 41.

https://www.allure.com/story/kim-kardashian-called-cornrows-bo-derek-braids-lol-come-on-girl

https://csdt.rpi.edu/culture/cornrowcurves/civilrights.html

Der ungefragte Griff in das Haar gefolgt von den Sätzen „Deine Haare sind so schön lockig. Die hätte ich auch gerne!“ oder „Glätte sie doch mal!“ oder „Lass sie doch mal lockig und offen!“ – Naturals kennen diese Situationen nur allzu gut. Bis jetzt hat noch keiner eine charmante Art gefunden, diese unerwünschten Annäherungen höflich abzulehnen. Woher kommt diese Distanzlosigkeit und zugleich die Beklommenheit und Verfremdung, wenn es um lockiges Afrohaar geht?

Ein kleines Mädchen ohne Furcht vor ihrem natürlichen Haar. Photo by D Sharon Pruitt, published on commons.wikimedia.org

 

 

 

„Little girl with the press and curl
Age eight, I got a Jheri curl
Thirteen, and I got a relaxer
I was a source of so much laughter
At fifteen when it all broke off
Eighteen and went all natural“

 

 

 

Die afroamerikanische Sängerin India Arie beschreibt mit ihrem Lied „I am not my hair“, haargenau die Veränderung, die viele Schwarze Mädchen in ihrem Leben durchmachen. Die Liebe zum natürlichen Haar kommt bei vielen leider erst spät, bei manch einem fatalerweise nie. Mit dem Erwachsenwerden wachsen nicht nur der Charakter und die Identität eines Menschen, sondern viele setzten sich auch speziell mit ihrem Aussehen auseinander. Besonders in dieser Zeit machen viele junge Schwarze Mädchen einen Prozess in Bezug auf ihre Haare durch. Sie versuchen bewusster und schützend mit ihrem natürlichen Haar umzugehen. Immer mehr entscheiden sich dazu, Natural zu werden. Unter dem Begriff Natural Hair ist ein unverändertes, ohne chemischen Prozess beeinflusstes Afrohaar zu verstehen.

Amara und ihr umstrittener Afro. Quelle: Amara La Negra Instagram/ Photo by Joey Rosado

Jedoch schämen sich viele, ihre natürliche Haarstruktur im alltäglichen Leben zu präsentieren, da diese nicht dem europäischen Schönheitsideal entspricht. Auch nicht, weil es bis heute noch kontroverse Szenen im Fernsehen zu sehen gibt, wie beispielsweise in der amerikanischen Vh1 Sendung „Love and Hip Hop Miami“. Während einer Studio-Session spricht der Producer Young Hollywood die Afro-Latina Sängerin, Amara La Negra auf ihre volle Haarpracht an. Seiner Meinung nach solle die Sängerin ihren Afro glätten um weniger wie Macy Gray und mehr wie Beyonce auszusehen, wenn sie Erfolg mit ihrer Musik haben wolle! Viele Menschen teilen leider dieselbe Meinung und sehen Natural Hair als schlecht und ungepflegt an. Je weniger kraus, desto akzeptierter ist das lockige Haar. Durch seine Aussage hat Young Hollywood Salz in eine historische Wunde gestreut.

Von der Flechtfrisur zur Glatze …

Eritreische Bräute mit traditionellen Flechtfrisuren. Quelle: Instagram

Afrikanische Haarstrukturen und ihre Träger und Trägerinnen mussten im Laufe der Geschichte viel Leid und Demütigung ertragen. Afrikanische Nationen sehen ihre Haare als Statussymbol und als Zeichen ihrer Identität und Herkunft. Der Beruf des Friseurs war und ist bis heute noch unter den zahlreichen Nationen des afrikanischen Kontinents hoch angesehen. Im frühen Alter wird jungen Mädchen die Kunst des Zöpfeflechtens beigebracht, damit die Traditionen und Gepflogenheiten der Herkunft nicht verloren gehen.

In der Zeit des Sklavenhandels wurden Sklaven ihre Köpfe glatt geschoren. Dies geschah vor allem aus hygienischen Gründen. Jedoch war dieser Akt für viele Sklaven ein Raub ihrer Identität und eine Herabminderung ihres Status. Jungen Sklavenmädchen wurde beigebracht ihr „wollartiges“ Haar zu bändigen, um die weißen Sklaventreiber nicht zu beleidigen. Ein guter Sklave zeichnete sich durch gezähmtes oder bedecktes Haar aus.

„If your hair is relaxed, white people are relaxed. If your hair is nappy, they’re not happy!“ -Paul Mooney in Chris Rock’s Dokumentation „Good Hair“.

Diese Ansicht prägte viele Schwarze Sklaven und beeinflusst bis heute noch viele junge Schwarze Lockenköpfe. Naturals waren verpönt. Mir den Jahren stieg der Drang nach einem europäisierten Schönheitsbild. Glattes Haar war eine stille Antwort für Akzeptanz. Der „creamy-crack“ (offizielle Bezeichnung Relaxer), bietet Schwarzen Frauen die Möglichkeit ihre Haare zu entkrausen um dadurch die gewünschte Glätte zu erlangen. Durch den dauerhaften Glättungsprozess wird die lockige oder krause Haarstruktur angegriffen und kann bis zur vollkommenen Zerstörung verändert werden. Als schönes Haar gilt das glatte, seidige Haar. Dadurch geprägt wurde besonders von 1980 bis 1990 die Glättung der Haare hoch angepriesen. Für viele hatte diese chemische Glättung Haarverlust und die Veränderung ihrer natürlichen Haarstruktur zur Folge.

… und dann kam der Protest-Afro.  „Black is beautiful!“

… Das ist eine der wichtigsten Parolen in der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Die Kampfansage an das weiße Schönheitsideal. Eine einfache und doch aussagekräftige Liebeserklärung an die Schwarze Frau. Aktivistinnen wie Angela Davis und Kathleen Cleaver brachen durch ihren politischen Tatendrang traditionelle Konventionen. Ihr Aktivismus war geprägt durch die Schwarze Bürgerrechtsgruppe Black Panther. Das Tragen ihres rundförmigen und chemisch unveränderten Afros hat ihrem Protest gegen das weiße Schönheitsideal eine ästhetische Ebene verliehen.

Traue Ellis Ross eine Stilikone mit Mut zum Afro.
Quelle: Instagram

Mit dem Afro als Markenzeichen setzten die Aktivistinnen sich für die Gleichberechtigung der weißen und Schwarzen Bevölkerung Amerikas ein. Auch wenn der Afro als eine doch sehr radikale Form des Protestes galt, schlossen sich viele dieser neuen Bewegung an. Der Afro diente nicht nur als visuelle Repräsentation des Kampfes gegen die weiße Schönheitsstandards des hellen glatten Haares. Er war auch ein Akt der Selbstliebe und Selbstakzeptanz. Durch das Tragen der natürlichen Haarstruktur in ihrer runden und krausen Form stimmten Anhänger in eine sichtbare Form der Selbstwertschätzung ein.

„Look, black is beautiful, shawty, that you should know
Don’t let American standards damage your African Soul!“  – Rapper Wale aus dem Lied „Black is Gold“

Viele Generationen zuvor entschieden sich, ihr natürliches Haar aufzugeben, um sich durch chemische Prozesse und andere Hilfsmittel dem europäischen Standard anzupassen. Doch in den letzten Jahren ist ein erheblicher Trend, vor allem in der heutigen Generation von Schwarzen Mädchen (und Jungs), zur natürlichen Lockenpracht entstanden. Nappy wird von seiner negativen Assoziation befreit und umdefiniert in natural und happy.
In den letzten fünf Jahren ist der Verkauf von Relaxerprodukten um 37 Prozent gesunken (Stand 2018). Der Trend zur natürlichen Lockenpracht steigt. Die Parolen der früheren Black-Panther-Bewegung klingeln noch heute in vielen Ohren.

Nappy = Natural und Happy Photo by @photosbyphab from nappy.co

I am not my hair, I am not this skin, I am not your expectations! – India Arie

Doch woher kommt dieser ansteigende Wandel zu den natürlichen Locken in unserer Generation? Die Vielfalt der Produkte für schwarzes und lockiges Haar wird größer. Mithilfe der Digitalisierung ist es für viele einfacher geworden, sich auszutauschen. Tausende von Blogs, Vlogs und Youtube-Kanälen erzählen die Geschichte der Naturals. Durch diesen Austausch ist eine riesige Community entstanden in der es möglich ist Gleichgesinnte zu finden, die einem Mut zusprechen und bei Problemen weiterhelfen. Infolge dieser weiten Verbreitung von Naturals stieg auch die Repräsentation des Afrohaars in den Mainstream Medien.

Yara Shahidi in einer People Magazinausgabe mit ihrer natürlichen Lockenpracht.
Quelle: Instagram

Das Haar ist nicht mehr die stille Einwilligung in die unfreiwillige Assimilation der westlichen Welt. Doch Naturals haben die Chance, ihre Haarpracht als eine Art von Selbstverwirklichung zu nutzen. Eine Form von Protest gegen den Druck, einem Ideal gleichen zu müssen, dem viele Schwarze Mädchen nicht gerecht werden können. Die Möglichkeit sich selbst zwanglos zu äußern und uneingeschränkt selbst zu lieben, wird durch diesen neuen Standard geboten. Auch prominente Persönlichkeiten sind sich ihrer repräsentativen Arbeit immer mehr bewusst und tragen durch ihre Frisurenvielfalt die Realität vieler schwarzer Frauen in die Welt. Stars wie Solange Knowles, Lupita Nyong´o, Yara Shahidi, Erykah Badu und nicht zuletzt der Rapper Wale feiern das Bild der Schwarzen Frau und zudem das ihrer natürlichen Haarstruktur in vollen Zügen.

To that little black girl…

Es ist wichtig zu erkennen, dass dein Haar dir gehört. Beauty Standards und gesellschaftliche Normen definieren deine Schönheit nicht. Trends zu folgen, nur weil sie anderen gefallen, ist ein Kreislauf, aus dem es schwer ist zu entkommen. Die Selbstakzeptanz steht im Vordergrund. Egal wie du dich entscheidest dein Haar zu tragen, bleibe dabei! Solange du einen Weg gefunden hast mit deinen Haaren umzugehen, der für dich passt und dir gefällt. Verändere dein Haar nicht, weil es jemand von dir erwartet, sondern weil du es so willst. Lass dich nicht durch gesellschaftliche Standards und Normen einsperren. Lerne dein Haar zu lieben so, wie es ist. Unsere Haare sind unsere Krone. Also trage deine Krone mit Stolz und lass dich nicht unterkriegen!


Filmvorschläge:

GoodHairMovie. “Good Hair Ft. Chris Rock- HD Official Trailer.” YouTube, YouTube, 31 July 2009, www.youtube.com/watch?v=1m-4qxz08So.

“My Nappy ROOTS: A Journey through Black Hair-Itage.” YouTube, YouTube, 28 Jan. 2007, www.youtube.com/watch?v=CFXZceQ2gAA.

Quellen:

Bellinger, Whitney. „Why African American women try to obtain’good hair‘.“ Sociological Viewpoints 23 (2007): 63.

Mohdin, Aamna. “The Natural Hair Movement Is Forgetting Its Radical Roots.” Quartzy, Quartz, 8 Nov. 2017, quartzy.qz.com/1110554/the-natural-hair-movement-is-moving-away-from-its-radical-roots/.

Nathalie. “Amara La Negra: The Reason Why It Is Important To Promote Self Validation.” Afrocks, Afrocks, 9 Jan. 2018, afrocks.com/blog/amara-la-negra-reason-self-validation/.

Rosado, Sybil Dione. “No Nubian Knots or Nappy Locks: Discussing the Politics of Hair Among Women of African Decent in the Diaspora. A Report on Research in Progress.” American Ethnologist, Wiley/Blackwell (10.1111), 7 Jan. 2008, anthrosource.onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1525/tran.2003.11.2.60.

“4 Ways to Love Your Natural Hair!- It’s Hard to Love Something That ….” Mane Guru, 23 July 2017, maneguru.com/love-your-natural-hair/.

Michelle Obama tut es, Beyoncé tut es, Oprah Winfrey tut es. Sie tragen welliges oder glattes Haar, färben, glätten und flechten es oder greifen gar zur Perücke. Auch im Alltag scheint der Afro immer noch eine Seltenheit zu sein. Nur vereinzelt begegnet man Schwarzen Menschen, die ihr krauses Haar in seinem natürlichen Zustand tragen. Doch wieso müssen sich im Jahr 2018 People of Color immer noch zwischen ihrem Afro und sich selbst entscheiden?

Haare als Metapher für Rasse

Als Barack Obama in das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika berufen wurde, atmete die Schwarze Community auf. Endlich zog das erste Schwarze Ehepaar ins Weiße Haus, endlich ein Schritt gegen Rassismus auf hochoffizieller Ebene. Doch der zweite Blick auf das Paar trübte im selben Moment die anfängliche Euphorie: Er, der Präsident, trug millimeterkurzes Haar, sie, die First Lady, glatte schulterlange Haare. Alles nur eine Sache der Mode? Wohl kaum. Denn in ihrer gesamten achtjährigen Amtszeit zeigten weder Barack noch Michelle ihre (vermutlich) krause natürliche Haarpracht.

Michelle Obama Portrait

Offizielles Portrait der ehemaligen First Lady Michelle Obama im Green Room des Weißen Hauses. Offizielles White House Photo von Chuck Kennedy, Wikimedia Commons, gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Michelle_Obama_2013_official_portrait.jpg.

In ihrem 2013 erschienenen Roman Americanah thematisiert auch die Autorin und Frauenrechtlerin Chimamanda Ngozi Adichie das Problem mit den Haaren. So schreibt die Protagonistin Ifemelu in einem Blogeintrag:

„Eine weiße Freundin und ich sind Groupies von Michelle Obama. Neulich sage ich zu ihr – ich frage mich, ob Michelle Obama Attachments eingearbeitet hat, ihr Haar sieht heute voller aus, und das heiße Glätten jeden Tag muss es schädigen. Und sie sagt – du meinst, ihr Haar wächst nicht so? Liegt es an mir, oder ist das die perfekte Metapher für Rasse in Amerika? Haare.“

Was in der Fiktion zur Sprache gebracht wird, ist ein andauernder realer Diskurs. Eine weiße Frau zeigt gedankenlos ihre Verwunderung über die unechten glatten Haare einer Schwarzen Frau. Im ungünstigsten Fall erwähnt sie schließlich, dass sie ebenfalls ihre Locken mit dem heißen Eisen bändigt. Doch das Glätten von Haaren aus modischen Gründen hat so gar nichts mit dem Glätten von krausem Haar gemein. Das eine ist (meist) eine bewusste Entscheidung. Das andere ist indirekter gesellschaftlicher Zwang, eine Orientierung an einem von Weißen geprägten Schönheitsbild, etwas, das ein ‚Wir‘ und ein ‚Ihr‘ kreiert und Andersartigkeit wertend feststellt. Das ist Alltagsrassismus.

Der Afro – unzivilisiert und exotisch

Auch der 23-jährige Auszubildende Benny O. aus Pforzheim, der selbst seinen Afro „mit Stolz“ trägt, wie er sagt, antwortet auf die Frage, warum Michelle Obama sich die Haare glättet, schlicht: „Weil sie es sich [natürliches Haar] einfach nicht erlauben kann.“ Sie würde nicht mehr ernst genommen werden, so Benny. „Es ist traurig, dass Haare einem so viel kaputt machen können.“

Die Begriffe People of Color sowie Schwarze (S großgeschrieben) stammen aus dem Widerstand gegen Rassismus. Mehr Informationen zum Sprachgebrauch im Zusammenhang mit Rassismus gibt es auf bpb.de.

Um zu verstehen, warum es sich bei der Wahl des Haarschnitts bei Schwarzen oft nicht um eine freie, rein modische Entscheidung handelt, reicht ein kurzer Blick zurück ins Jahr 2011. Auf den Plakaten der damaligen Nivea-Werbekampagne war ein junger Schwarzer Mann mit geschorenen Haaren zu sehen. In der rechten Hand hält er den Kopf eines Schwarzen Mannes mit Bart und Afro. Seine Körperhaltung signalisiert, dass er im Begriff ist, den in seiner Hand befindlichen Kopf weit von sich zu werfen. Der Werbeslogan lautete Re-civilize yourself – rezivilisiere dich. Die Botschaft schien eindeutig: Nur ein Mann ohne Afro ist ein zivilisierter Mann. Ein Vorurteil, das bis in die Kolonialgeschichte zurückreicht und den Afro mit Ungepflegtheit, Wildheit und Unzivilisiertheit gleichsetzt.

 

„Komm, lass mal dein Haar anfassen“

Trägt ein Schwarzer Mensch heute dann doch offen einen Afro, ist die Begeisterung seitens weißer Menschen oft groß. Da liegt die Frage ‚Darf ich dir durch die Haare fahren?‘ schnell mal auf der Zunge. Und manchmal wird gar nicht erst danach gefragt, wie Benny erzählt: „Mich hat richtig genervt, dass vermehrt ältere Leute zu mir kamen und einfach meine Haare angefasst haben, ohne um Erlaubnis zu fragen. Ist halt einfach ein komisches Gefühl, wenn irgendjemand kommt und dir durch die Haare fährt.“

Benny O. mit Kappe

Zum Schutz vor ungefragten Griffen ins Haar trägt Benny eine Kappe. (Quelle: eigene Aufnahme)

Als weiche, kuschelige Wolle würde sein Haar bezeichnet werden. Was manch einer als Kompliment meint, legt sich jedoch wie ein Tarnmantel über eine rassistische Aussage, denn sie wertet und definiert eine Andersartigkeit – eine Abgrenzung zu ‚normalem‘ Haar. Sogenannter positiver auf Exotismus beruhender Rassismus.

„Ich kriege auch oft genug zu hören, dass ich exotisches Haar habe. Dass es nicht so alltäglich ist. Dass man das hier halt nicht so oft antrifft.“ Um sich ein bisschen Kontrolle zurückzuholen, trägt Benny meistens eine Kappe. „Solange ich eine Kappe trage, kommen die Leute seltener zu mir her und sagen: Komm, lass mal dein Haar anfassen. Da erkennen sie meine Haare ja nicht wirklich.“

Ein langer Weg zur Normalisierung

Mittlerweile macht sich besonders in den USA und den französisch sprechenden Staaten eine Gegenbewegung bemerkbar. Die Natural-Hair-Bewegung soll Schwarze Frauen dazu ermutigen, ihr natürliches, meist krauses Haar offen zu tragen. Prominentestes Beispiel ist unter anderem die Schauspielerin Lupita Nyong’o, die selbst mit dem weißen Schönheitsideal zu kämpfen hatte und heute zu ihrem natürlichen Haar steht. Trotzdem muss auch sie immer noch für die Anerkennung ihrer frei gelebten Natürlichkeit kämpfen, wie das Beispiel aus dem Jahr 2017 zeigt. In der Novemberausgabe der britischen Grazia zierte die Schauspielerin das Cover. Ihre Haare auf dem Bild: abrasiert. Auf Instagram veröffentlichte Lupita daraufhin Originalaufnahmen desselben Shootings, auf denen ihre krausen Haare aufgrund des Zopfes, den sie trägt, am Hinterkopf deutlich zu erkennen sind. Ihre Enttäuschung über diese Retusche brachte sie mit dem Hinweis, auch ein Vorbild für Kinder zu sein, klar zum Ausdruck.

Mit und ohne Afro: Original und Retusche von Lupita Nyongo'o

Original und Retusche. Screenshot eines Beitrags aus dem offiziellen Instagram-Account von Lupita Nyongo’o.

Wie lange es dauert, bis die Gegenbewegung nicht nur in den Konferenzräumen großer Magazine und Zeitschriften angekommen ist, sondern auch im Alltag einzelner People of Color, bleibt abzuwarten. Solange müssen Benny und all die anderen Schwarzen Menschen weiterhin um die Normalität und De-Exotisierung ihrer Natürlichkeit kämpfen.

Nivea stampfte nach starker öffentlicher Kritik die Werbekampagne von 2011 bald wieder ein. 2017 startete die Firma eine neue Werbekampagne mit dem Slogan White is Purity – Weiß ist Reinheit. Auch diese Kampagne zog Nivea nach heftiger Kritik zurück.

 

 

Literaturhinweise:

  • Celia Parbey (2018): Don’t touch my hair – Ich bin es leid, dass mir fremde Leute in die Haare fassen, ein lesenswerter Erfahrungsbericht, online unter: https://editionf.com/afrohaar-ist-politisch
  • Chimamanda Ngozi Adichie (2014): Americanah, deutschprachige Ausgabe, erschienen im Fischer-Verlag
  • Siegfried Jäger (1993): Rassismus und Rechtsextremismus – Gefahr für die Demokratie, online unter http://library.fes.de/fulltext/asfo/01014001.htm#E10E3
  • Stuart Hall (1989): Rassismus als ideologischer Diskurs

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