Ein Leben ohne Haare? Für dich unvorstellbar? Das ist Realität für Viele. 1,5 Millionen Menschen in Deutschland sind an Alopecia Areata, kreisrundem Haarausfall, erkrankt. Aylin zum Beispiel. Die 26-Jährige leidet an dieser unheilbaren Krankheit, seit sie zwei Jahre alt ist. Ein Beitrag über Haare und Identität, die Geschichte von Aylin und die Krankheit Alopecia Areata.

Haare prägen unser Erscheinungsbild und sind ein Symbol persönlichen Ausdrucks. Besonders für junge Menschen ist die eigene Frisur eine Quelle des Experimentierens. Wir können durch unser Äußeres, das stark von unseren Haaren geprägt ist, entscheiden, wie wir uns repräsentieren wollen. Haare gelten als Ausdruck von Identität und auch Individualität. Das Haar ist maßgebend für unser eigenes Schönheitsempfinden.

Doch was bedeutet dies für Menschen, denen durch Haarausfall diese Möglichkeiten genommen werden? Menschen mit Haarausfall empfinden es als starke Belastung, ihre Haare, und damit einen bedeutenden Teil ihres Äußeren, nicht mehr selbst bestimmen zu können. Sie fühlen sich machtlos, entstellt und nicht mehr schön. Auch Aylin bestätigt dies.

 

Haarlos glücklich

Aylin leidet an Alopecia Areata in besonders starker Ausprägung: Die junge Frau hat neben ihrer Kopfbehaarung auch Augenbrauen und Wimpern verloren.

Hier ein kleines Update meiner derzeitigen Situation. Bin ich derzeit in irgendeiner medikamentösen Behandlung?…

Gepostet von Aylin Celene am Mittwoch, 26. Juli 2017

Im Jahr 2014 veröffentlichte die junge Frau auf YouTube ein Video mit dem Titel „glückl-ICH“. Haarlos glücklich war sie jedoch keineswegs von Beginn an. Im Video erzählt sie, dass sie jahrelang versuchte, die Krankheit zu verstecken. Ohne Perücke, aufgemalte Augenbrauen und falsche Wimpern verließ sie nicht das Haus. Sie wollte so sein wie alle anderen und möglichst wenig auffallen. Die Perücken trug sie, um Kontrolle über ihr Äußeres zu haben, um ihre Frisur selbst bestimmen zu können. Im Video berichtet sie ihren Zuschauern, dass sie früher viele Komplimente für ihre Haare bekommen habe. Doch damit fühlte sie sich nie wohl, waren diese Haare doch gar nicht ihre eigenen.

Irgendwann hatte sie genug davon, sich zu verstecken, und wollte sich so zeigen, wie sie wirklich ist. Somit entschied sie sich, dieses Video zu drehen. Ein Video, das ihren Weg zu sich selbst symbolisiert. Innerhalb weniger Minuten vollzieht sie eine Wandlung, sowohl äußerlich als auch innerlich: Aylin ist zuerst geschminkt und mit Perücke zu sehen. Nach und nach entfernt sie das Make-up in ihrem Gesicht und nimmt die Perücke ab. Sie zeigt, wie sie wirklich aussieht. So möchte sie ihren Zuschauern die Botschaft vermitteln, dass sich niemand verstecken oder einem Schönheitsideal genügen muss. Zwar trägt sie künstliche Wimpern noch täglich, aber Perücken nur noch nach Lust und Laune.

Alopecia Areata: Perücken ware Aylins ständiger Begleiter.

Ein ständiger Begleiter: Früher ging Aylin ohne Perücken nicht aus dem Haus. (Quelle: Alexas_Fotos, Pixabay.com)

 

Was die Krankheit verändert hat

Mittlerweile hat ihr Video 2,6 Millionen Aufrufe. Über ihren YouTube-Kanal versorgt Aylin Abonnenten mit Tipps und Tricks bezüglich Perücken, Styling und auch Ernährung. In ihren Beiträgen erklärt sie, dass sie damit vor allem helfen und die Menschen erreichen möchte, die auch an Alopecia Areata erkrankt sind. Zusätzlich führt sie einen Blog. Mit ihren Texten und dem Bezug zu ihrer Krankheit will sie anderen Mut machen.

Im Video erkennt der Zuschauer, dass Aylin heute stärker und selbstbewusster ist. Sie hat ihr Schicksal zum Anlass genommen, andere Menschen darin zu bestärken, sich selbst so zu akzeptieren, wie sie sind.

 

Wenn die Haare kreisrund ausfallen

Die Autoimmunkrankheit Alopecia Areata wurde schon früh entdeckt. Über die Ursachen ist aber bisher wenig bekannt. Alopecia Areata wird auch „kreisrunder Haarausfall“ genannt. Dieser tritt meist im Kopfbereich auf, kann aber auch die restliche Körperbehaarung betreffen. Der Verlust der Haare kann über einen Zeitraum weniger Wochen oder auch über Monate hinweg erfolgen. Alopecia Areata tritt sowohl bei Männern als auch bei Frauen unterschiedlichsten Alters auf. Meist wird die Krankheit jedoch bereits in der Kindheit (Alter 3-12) diagnostiziert.

Ursachen 

Experten gehen davon aus, dass Alopecia Areata auf eine Störung des Immunsystems zurückzuführen ist. Die Abwehrzellen richten sich gegen das körpereigene Haar, anstatt Viren und Bakterien zu bekämpfen. Fachleute erklären, dass dadurch Entzündungen an den Haarwurzeln entstehen. Diese entzündeten Stellen sondern Stoffe ab, die das Haarwachstum hindern oder ganz unterbinden. Fest steht, dass die Erkrankung eine vererbbare Komponente besitzt. Aktuell forschen Humangenetiker in Bonn an den genetischen Grundlagen dieser Erkrankung.

Behandlungsmöglichkeiten

Bisher ist keine Therapiemöglichkeit bekannt, die die Krankheit ursächlich heilen kann. Aktuell werden jedoch schon Therapieformen eingesetzt, die zu einer Wieder-Behaarung führen können. Dennoch kommt es häufig zu erneutem Haarausfall. Zwischen Haarwuchs und dem nächsten Haarausfall kann eine Zeitspanne von bis zu 30 Jahren liegen. Therapien, die zur Wieder-Behaarung führen, beinhalten meist den Einsatz von Kortison. Dieses soll den Entzündungen entgegenwirken. Eine weitere Therapieform versucht, das Immunsystem durch kopfhautreizende Tinkturen abzulenken: Dadurch setzt der Körper die Antikörper zur Heilung der Kopfhaut ein. Das Immunsystem ist abgelenkt und zwischenzeitlich können sich die Haarwurzeln regenerieren.

Doch bleibt keine dieser Therapieformen ohne Nebenwirkungen. Ärzte raten Patienten daher häufig, mögliche Selbstheilungskräfte des Körpers abzuwarten.

 

Informationen für Betroffene

Erfahrungsberichte

 

Es gibt viele Krankheiten, die das Haar betreffen. Doch nicht immer ist Haarverlust die unmittelbare Folge: zum Beispiel bei Trichotillomanie, einer psychischen Störung, bei der sich Betroffene die Haare ausreißen. Mehr Informationen zu dieser Krankheit im Beitrag „Vom Drang, sich die Haare auszureißen“ von Anne Diessner.

2 Kommentare
  1. Lucca
    Lucca sagte:

    Normalerweise denkt man immer nur darüber nach an welchen Stellen die Haare stören. Aber auf einmal kommt es mir gar nicht merh so tragisch vor, mir andauernd die Beine rasieren zu müssen… Seltsam was für einen Stellenwert die „guten“ Haare haben.

  2. Niko Müller
    Niko Müller sagte:

    Vielen Dank für diesen interessanten und vielseitigen Beitrag!
    Ich finde es immer wieder spannend zu hören und zu lesen, mit welchen verschiedenen Dingen wir uns als Menschen konfrontiert sehen. Ich denke auch, dass mehr Einblick in die Genetik sehr wichtig sein wird, aber ich denke auch, dass Dinge wie Ernährung, Lebenswandel und Stress-Level einen sehr starken Einfluss hier haben. Ich denke daher kommt auch der Rat der Ärzte dem Körper eine Chance zur Wirkung der Selbstheilung zu geben. Wie mit sehr vielen Biochemischen Dingen ist wahrscheinlich eine multifaktorielle Erklärung die realistischste, aber spannender ist natürlich die funktionalste zu finden. Auf jeden Fall ein Thema, das mich auch gerade persönlich sehr interessiert.

    Viele Grüße,

    Niko

Kommentare sind deaktiviert.