Mit einem freudigen Aloha wurde der diesjährige Hochsommer ungewöhnlich früh begrüßt. Schon Ende April stand plötzlich die Badesaison vor der Tür – und mit ihr die Konfrontation mit viel nackter Haut. Behaart ist die bei Frauen aber immer noch ein Tabu. Ein Beitrag über unser gegenwärtiges Schönheitsideal, den menschlichen Herdentrieb und ein felliges Experiment.

Schaut man sich im Freibad um, scheinen sich die ganz unterschiedlichen, fast nackten Körper wie ein buntes Mosaik zusammenzusetzen. Doch diese auf den ersten Blick so heterogene Masse aus Freibadbesucher*innen lässt beim näheren Hinschauen gewisse Muster erkennen – haarige Muster. Die Struktur ist ganz einfach: Alles, was weiblich und grob geschätzt unter 30 ist, scheint angefangen beim großen Zeh über Beine und Bauch bis hin zu Armen und Achseln nirgendwo Haare zu haben. Bei den Männern hingegen ist von dicht bewachsen bis aalglatt alles vertreten. Aber warum ist es in unserer Generation für Frauen ein so großes Tabu, behaarte Haut zu zeigen? Wie kann es sein, dass viele nicht einmal wissen, wie ihre Beine behaart aussehen – schlichtweg, weil sie seit der Pubertät den Wuchs nicht länger als ein paar Wochen zulassen? Und warum tun wir alle so, euch eingeschlossen, liebe Männer, als sei eine Frau ohne Körperbehaarung das Normalste auf der Welt und völlig natürlich?

Herdentrieb à la Freud

Erklärungsversuche reichen von oberflächlicher Stereotypisierung, über den längst überholten Aspekt, Körperbehaarung sei unhygienisch, bis hin zu etwas mehr Selbstreflexion: Gruppenzwang. Den hat auch schon Freud als die Quelle des Unheils im menschlichen Zusammenleben gesehen: „Widerspruch gegen die Herde ist soviel wie Trennung von ihr und wird darum angstvoll vermieden.“

Keine Herdentiere: Unter dem Hashtag #lesprincessesontdespoils (dt. „Prinzessinen haben Haare“) findet man auf Instagram viele Posts von Frauen, die ein Zeichen gegen das haarlose Schönheitsideal setzen. (https://www.instagram.com/explore/tags/lesprincessesontdespoils/?hl=de)

Damit lässt sich das alltägliche Dilemma von uns Frauen wunderbar erfassen: Wir wollen einerseits glatte, haarfreie Haut, überall, immer. Auf der anderen Seite kostet das aber Zeit und Mühe. Und ist, wenn man Pech hat, mit unangenehmen Begleiterscheinungen wie Pusteln, Pickelchen und Juckreiz verbunden. Trotzdem, ob vor dem besagten Freibadbesuch, Sportkurs oder Date: Die Haare müssen weg. Sind sie’s nicht, fühlt sich die Mehrheit von uns unwohl und unattraktiv. Deswegen läuft es erfahrungsgemäß auf dasselbe hinaus: Wir beugen uns, wenn auch manchmal unbewusst, dem von der Gesellschaft indoktrinierten Schönheitsideal und greifen a) zum Rasierer oder b) bleiben zu Hause. Weil uns die Haare unangenehm sind. Weil wir Angst haben, sie könnten andere abstoßen – unsere Freunde, Partner, vielleicht sogar die eigene Familie. Freud nennt das „soziale Angst“: Bricht man aus der Norm aus, läuft man Gefahr, nicht mehr dazuzugehören, ausgegrenzt zu werden. Und das ist für uns als Herdentiere das schlimmste überhaupt.

Rasieren – für wen?

Macht man sich einmal bewusst, dass das ganze Bohei um die weibliche Enthaarung nicht mehr ist als eine gesellschaftliche Konvention, der sich die Mehrheit unterwirft, erscheint unsere Freiheit auf einmal erschreckend klein. Denn wenn man mal ganz ehrlich ist – wer rasiert, epiliert, zupft sich die Haare aus eigenem Antrieb heraus? Machen wir das wirklich, um uns selbst zu gefallen – oder anderen? Wären wir alleine auf dieser Welt, würden wir vermutlich keine einzige Sekunde an unser äußeres Erscheinungsbild, geschweige denn an die Entfernung unserer Körperhaare verschwenden. Womit wir wieder bei den anderen wären. Und vielleicht finden es auch viele tatsächlich ohne Haare schöner – aber ist das wirklich unsere inhärente Meinung, oder haben wir sie vielmehr kulturell erlernt?

Schön = glatt: Wer hat das eigentlich erfunden?

Kultur und Haare hängen offensichtlich eng miteinander zusammen. Man könnte meinen, der Trend zur weiblichen haarlosen Glätte sei eine neuartige Entwicklung unserer Generation, womit die jetzigen unter 30-Jährigen gemeint sind. Denn wahrscheinlich blieb kaum eine von uns vor den genervten Augenrollern unserer Mütter gefeit, mit denen sie ihre Verständnislosigkeit gegenüber unseren akribischen Anstrengungen für mehr Glätte ausdrücken. Tatsächlich aber ist die Entfernung von Körperhaaren schon viel länger eine gesellschaftliche Norm, die auf der Abgrenzung zum Animalischen beruht. „Je nach Kultur signalisieren Haare unterschiedliche Grade von körperlicher Intimität oder sogar Unreinheit, da sie an das tierische Fell und damit das Nichtkulturelle und möglicherweise nicht gezähmte Wilde im Menschen erinnern“, heißt es in einem Artikel der Kulturwissenschaftlerin Carola Lipp.

Die menschliche Haarentfernung hat also schon eine beachtliche Anzahl von Jahren auf dem Buckel. Da scheint die Generation unserer Mütter, jedenfalls scheint es so, eine haarige Ausnahme gewesen zu sein. Auch das erklärt Lipp einleuchtend im Kontext der 68er-Revolution und der damit verbundenen Frauenbewegung. Selbstverständlich kann man nicht einer ganzen Generation eine und nur eine Einstellung zu Körperhaaren zuschreiben, weder der unserer Mütter noch unserer eigenen. Trotzdem kann man von einer kollektiven Tendenz unserer Generation zu einem enthaarten weiblichen Schönheitsideal sprechen – das aber offensichtlich nicht unsere eigene Idee ist, sondern eher einem Wiederaufgreifen einer weit in die Geschichte zurückreichenden Tradition entspricht.

„Du willst nicht Sonne, Meer, Leute und Spaß genießen, weil du Haare an deinen Beinen hast?“

Auch Kristina Lang hat sich mit der Frage nach dem Warum beschäftigt. Für die 25-Jährige Bloggerin war ein geplanter sommerlicher Strandtag der Auslöser für ein ungewöhnliches Experiment. Denn an diesem Tag hatte sie verschlafen und plötzlich keine Zeit mehr, sich zu enthaaren. Der Folgegedanke: Sie würde so haarig nicht an den Strand gehen können. Stichwort: soziale Angst. Das war der Punkt, an dem sie dachte: „Du elendes Miststück! Du willst nicht Sonne, Meer, Leute und Spaß genießen, weil du Haare an deinen Beinen hast?“ Von diesem Tag an lässt Kristina ihre Körperhaare sprießen – und zwar überall. Ihr Anliegen ist die Auseinandersetzung mit sich selbst und sich zu fragen: „Ich rasiere, okay. Warum tue ich es? Für wen tue ich es?“

So lässig und selbstbewusst, wie sie in ihren Videos wirkt, war sie jedoch nicht immer. Auf ihrem Blog Cosmotinaut gesteht sie ihre Gefühle beim ersten haarigen Strandbesuch: „Ich fühle mich unsicher, unweiblich, unschön. Unpassend.“ Sie hat viele empörte, sprachlose oder angewiderte Reaktionen bekommen, teilweise war sie von sich selbst angeekelt. Durchgehalten hat sie trotzdem – und hat sich scheinbar an den „felligen Zustand“ gewöhnt: „Ich würde so auch auf Victorias Laufsteg stolzieren. I tell ya. Dessous, Flügel und BUSCH. Mit Glitzer drüber meinetwegen.“

„Menschen und Kommunikation. Herrlich!“

Kristinas Experiment ist ein Extrembeispiel. Ihr geht es nicht darum, alle Frauen dazu zu bewegen, sich in sämtlichen Körperzonen Büsche wachsen zu lassen. Vielmehr testet sie ihre eigene Freiheit aus und regt zum Hinterfragen an. Damit leistet sie einen wertvollen Beitrag zur oft gar nicht erst entstehenden Diskussion. Wie nötig die aber ist, zeigen ihr Ausflug nach Portugal und ihre dortigen Gespräche über den Sinn des Rasierens: „Die Mädels haben damit argumentiert, dass es die Männer halt so mögen. Und all die sexy portugiesischen Hodenträger meinten, es sei ihnen egal. Menschen + Kommunikation. Herr-lich!“

Kann mehr haarige Konfrontation das Schönheitsideal ändern?

Fest steht: Vieles, was uns als normal erscheint, wie die weibliche Haarlosigkeit wimpernabwärts, ist nichts anderes als ein gesellschaftlich konstruiertes Schönheitsideal. Dem unterwerfen wir uns, weil es uns immer wieder und wieder vorgehalten wird: in Magazinen, auf allen denkbaren Social-Media-Plattformen, in Filmen und Casting-Shows. Aber eben auch durch uns selber und unser soziales Umfeld. Würden wir öfter mit anderen Bildern wie denen von Kristina konfrontiert, erschienen uns haarige Frauenbeine wahrscheinlich nicht mehr so befremdlich und Scham auslösend wie momentan. Natürlich möchte nicht jede*r mit Haarbüscheln unter den Achseln herumlaufen – aber sollte nicht allen die Freiheit dazu gewährt werden, es eben doch zu tun? Ob aus Zeitmangel oder bewusster Entscheidung, ob einmalig oder dauerhaft – vielen Frauen, und davon bin ich überzeugt, würde die Überwindung des Enthaarungszwangs eine gewaltige Portion Stress nehmen. Das Beste daran: Der Weg dahin ist machbar. Denn jedes Schönheitsideal ist eine Frage der Gewohnheit, und die bestimmen immer noch wir selbst.

Beitragsbild: © Kristina Lang

Zum Weiterlesen…

Wenn das Abrasieren der Haare zum Protest wird.

bpb: Ohne Frauen keine Revolution. 68er und Neue Frauenbewegung.

Lipp, Carola: Eine haarige Sache. Vom Umgang mit Haaren.
Knezevic, Diana: Die postfeministische Perücke in der Suppe.
beide erschienen in: Flocke/Leibrock/Nössler (1999): Haare. Tübingen: Konkursbuchverlag.

 

12 Kommentare
  1. Lena
    Lena sagte:

    Der Text gefällt mir sehr gut und obwohl das Thema selbst nicht neu ist, finde ich es total wichtig, immer wieder darauf aufmerksam zu machen und dadurch zum Nachdenken anzuregen. Dass solche Schönheitsideale schnell zur Gewohnheit werden und deswegen auch für emanzipierte Frauen schwer abzulegen sind macht das Thema nur noch aktueller.

    • debbelapple
      debbelapple sagte:

      Freut mich, dass dir der Beitrag gefallen hat! 🙂 Ich glaube auch, dass es nicht schaden kann, zum Nachdenken anzuregen und sich selbst immer wieder zu fragen, was man für wen macht – nicht nur auf die Körperenthaarung bezogen.

    • NathalieVerena
      NathalieVerena sagte:

      Ich finde auch, dass dein Beitrag ein Beispiel für alle die Schönheitskonventionen ist unter denen, vor allem Frauen, stehen. Es braucht Mut auszubrechen und ich finde du beleuchtest beide Seiten, in dem du zeigst, dass es auch für Kristina Lang am Angang nicht leicht war sich davon zu lösen. Einfach mal ein paar Selbstverständlichkeiten hinterfragen – finde ich top!

  2. Luna
    Luna sagte:

    Ich finde auch, dass jede Frau selbst entscheiden sollte, ob und welche Haare sie sich entfernt. Außerdem ist die Argumentation, dass ein haarloser Körper hygienischer ist, Unsinn. Auch wenn wir unsere Körperbehaarung nicht mehr als Schutz vor Kälte brauchen, hat z.B. die Intimbehaarung noch immer eine Schutzfunktion.

  3. Angelina
    Angelina sagte:

    Super interessanter Beitrag und ein sehr gutes Diskussionsthema. Ich hab mir auch grad noch das YouTube Video angeschaut in dem Kristina Lang in einem Gespräch mit älteren Damen ist, die dann sagen, dass Freiheit generationsabhängig ist. Fand ich spannend, dass die Frauen sagen, dass Freiheit mit dem Alter wächst.

    • debbelapple
      debbelapple sagte:

      Dankeschön 🙂 Ja, das finde ich auch sehr interessant – ihre Einstellung zum Thema Haarentfernung könnte durch die Frauenbewegung der 68er-Revolution bedingt sein. Eine andere, auch sehr naheliegende Möglichkeit ist, dass sie Haarentfernung in ihrer Jugend auch als größere soziale Erwartung empfunden haben und dass sich mit fortschreitendem Alter ihr Umgang damit verändert hat. Und sie es heute einfach gelassener sehen – so wirken sie jedenfalls auf mich in dem Video. Bemerkenswert daran finde ich aber auch den Aspekt, dass sich diese Gelassenheit nur auf sie selbst bezieht („Ich rasier mich auch nicht mehr – ich hab‘ aber auch nur noch drei Haare unter den Achseln.“) Geht es dagegen um Kristinas Haare, ist ihre ablehnende Haltung deutlich zu spüren.

  4. lheinlin
    lheinlin sagte:

    Sehr interessanter Text und gut geschrieben, sodass man ihn von Anfang bis Ende durchlesen muss 🙂 Interessant wäre es noch zu erfahren, ob Kristina nach den 2 Jahren (also nach Ende ihres Experiments) direkt wieder alle Haare entfernt hat oder sich ihre neue Sichtweise/ Gewohnheit auch danach noch fortgesetzt hat.

  5. Alexandra
    Alexandra sagte:

    Ein guter Beitrag 🙂 Ich finde das Thema sehr interessant und wichtig – egal ob es neu ist oder nicht. Ich habe mir da auch schon oft selber darüber Gedanken gemacht. Bei dieser Art „Norm“ – immer glatte Haut zu haben – fühle ich mich tatsächlich immer wieder leicht eingeschränkt. Und dieses Gefühl gefällt mir nicht. Dass es gesellschaftlich nicht wirklich anerkannt ist, wenn man haarig durch die Welt läuft, macht es nicht einfacher. Das absolut Glatte und das absolut Haarige sind irgendwie zwei Extreme. Da frage ich mich, ob es vielleicht eine Art Mittelweg gibt? 😀

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  1. […] Hauptsache glatt – Über das weibliche Schönheitsideal unserer Generation. […]

  2. […] Endlich wird die Frage geklärt, die uns allen unter den Höschen brennt: Welche Frisur trägt man aktuell darunter? Im Intimhaar-Horoskop bringen wir Licht ins Dunkel des Frisuren-Dschungels. Madame Spirituelli gibt kosmische Tipps für Cosmopolitinnen. Welcher Intimhaar-Stil passt zu welchem Sternzeichen? Welche Rasur wird von den Planeten begünstigt? Ein Muss für jeden Mondkalender-Fan. So viel ist sicher: haarloser Hund und Nacktkatze sind passé. Dieser Sommer steht für das Haar in der lauwarmen Freibad-Suppe. […]

  3. […] leichten Stoppeln an den Beinen wirklich so sehr stören. Mehr dazu in debbleapples Blog-Eintrag: „Hauptsache glatt – Über das weibliche Schönheitsideal unserer Generation“. Sucht man bei Männern nach einer Form dieser Erkrankung, so findet man nicht viel. Bei ihnen […]

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