Die Erwartungen an einen Beruf haben sich im Laufe der Zeit verändert. Sichere Arbeitsstellen, hohe Gehälter und ein lückenloser Lebenslauf werden von vielen als nicht mehr erstrebenswert betrachtet. Sie wollen mit ihrer Arbeit etwas bewegen, etwas Bedeutendes bewirken: eine Arbeit mit Sinn ausüben. Diesen Drang verspürte auch Theresa Offenbeck (30) und fing bei Kuchentratsch an, einem Social Start-up aus München.

Theresa Offenbeck startete nach ihrem Masterstudium in Medienwissenschaft zunächst als freie Autorin durch. Während ihrer Selbstständigkeit packte sie jedoch die Lust nach mehr. Damals dachte sie mehr an eine größere Organisation oder Filmproduktion. Heute deckt sie bei Kuchentratsch viele verschiedene Bereiche ab: Sie macht regelmäßig Fotos von neuen Produkten für die Website, plant und veröffentlicht Social-Media Beiträge und designt viel. Das klingt soweit nach Marketing. Nun arbeitet sie seit zwei Jahren bei Kuchentratsch und weiß es heute besser. Es war die Suche nach mehr Sinn in ihrer Arbeit.

Arbeit mit Sinn. Was bedeutet das für dich?

Geld ist nicht die einzige Motivation für mich. Sinn in der Arbeit zu finden, ist für mich, dass man bei einer Sache mitwirkt und seine ganze Energie in ein Projekt steckt, hinter dem ein größeres Ziel steht. Und diesen Sinn spüre ich, wenn ich unsere Seniorinnen und Senioren sehe. Manche gehen privat durch eine schwierige Phase und finden hier Ablenkung und haben eine gute Zeit bei uns. Das gibt mir die Bestätigung, dass ich nicht einfach nur einen Bullshit-Job ausführe, wie David Graeber es bezeichnen würde. Sondern meine Arbeit hat eine Auswirkung, die ich spüre.

Wie sieht dein Arbeitsalltag aus?

Theresa Offenbeck arbeitet bei Kuchentratsch, einem Social Startup

Es gibt eigentlich keinen Alltag. Der größte Unterschied zu meinen bisherigen Jobs ist, dass ich nicht ständig am Bürotisch sitze. Neben meiner Haupttätigkeit habe ich auch mindestens eine Backschicht die Woche, in der ich den Backtag organisiere und tatsächlich in der Backstube stehe. Dort unterstütze ich die Backomas und -opas, indem ich ihnen die Bestellungen durchgebe, fertige Kuchen aus den Öfen hole, sie mit Toppings verziere und sie versandfertig mache. Zu jeder Bestellung gibt es eine Omakarte, worauf der Kunde entnehmen kann, von welcher Oma oder welchem Opa der Kuchen gebacken wurde. Außerdem koordiniere ich die Lieferrouten mit den Lieferopas.

„Durch die Vergütung auf Minijob-Basis von 450 Euro im Monat wird ihnen nichts von der Rente abgezogen.“

Wie sehen die Arbeitsbedingungen für die SeniorInnen aus?

Die Backomas und -opas kommen entweder von 9 bis 13 Uhr oder von 13 bis 17 Uhr zur Backschicht, eine Schicht dauert also vier Stunden. Sie können sich einfach frei in den Backplan eintragen, daher gibt es keinen Druck für die SeniorInnen, dass sie alles schaffen müssen. Durch die Vergütung auf Minijob-Basis von 450 Euro im Monat wird ihnen nichts von der Rente abgezogen. Ebenso stehen ihnen ganz normal Urlaubstage zu.

„Wir sind eben ein soziales Unternehmen, weil unser höchster Zweck der Unternehmung nicht Gewinnmaximierung und -profit ist, sondern unser Ziel ist Leben lebenswerter machen.“

Was ist an Kuchentratsch sozial? 

Wir sind eben ein soziales Unternehmen, weil unser höchster Zweck der Unternehmung nicht Gewinnmaximierung und -profit ist, sondern unser Ziel ist, Leben lebenswerter zu machen. Das soll sowohl für unsere Seniorinnen und Senioren gelten, die bei uns neue Kontakte knüpfen und ihrem Hobby und ihrer Backleidenschaft nachgehen können, als auch diejenigen, die mal rauskommen und mehr Struktur in ihrem Alltag haben und sich natürlich etwas zur Rente dazuverdienen wollen. Aber auch für das junge Büroteam, weil wir unseren Arbeitsplatz selbst gestalten, wie wir ihn gerne haben wollen, wie wir ihn fair und mit dem modernen Leben vereinbar sehen.

Wie zeigt sich der soziale Aspekt im Alltag?

Das oberste Ziel von Kuchentratsch als Social Startup: „Leben lebenswerter machen“

Bei uns herrscht kein großer Druck oder ein großes Effizienzdenken. Wir pflegen ein sehr persönliches Verhältnis, fast wie in einer Familie. Da wird nicht auf die Uhr geguckt oder rumgestresst. Jeder macht alles in seinem Tempo. Wichtig ist, dass sich jeder wohl fühlt und gerne wiederkommt. Auch unsere Kunden tragen dazu bei. Sie kaufen natürlich nicht nur ein Produkt, sondern unterstützen mit jeder Bestellung auch die Idee dahinter. Die Kunden setzen dadurch ein Zeichen, dass ältere Menschen in der Gesellschaft nicht abgeschrieben werden sollen und in Vergessenheit geraten, sobald ein Mensch in Rente ist.

Hast du seitdem das Gefühl, mit deiner Tätigkeit auch tatsächlich etwas verändert zu haben?

Ich habe durch meine PR- und Pressearbeit dazu beigetragen, Kuchentratsch bekannter zu machen. Außerdem kommen die Omas und Opas sehr gerne zu uns. Die eine Oma kann beispielsweise seit drei Jahren das erste Mal wieder ihren Enkeln Weihnachtsgeschenke kaufen, weil sie sich von ihrem Lohn wieder etwas leisten kann. Andererseits hat sie seit dem Umzug nach München endlich eine neue Freundin gefunden. Wir beeinflussen das Leben der Omas und Opas in vielerlei Hinsicht positiv. Und das motiviert mich sehr. Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass ich aus der Landwirtschaft komme. Ich sehe einfach gerne, was man mit den eigenen Händen schafft und was am Ende dabei rauskommt, wenn man arbeitet.

„Die Kunden setzen dadurch ein Zeichen, dass ältere Menschen in der Gesellschaft nicht abgeschrieben werden sollen und in Vergessenheit geraten sobald ein Mensch in Rente ist.“

Dann läuft es doch gut bei euch, oder? Warum der Schritt zur Vox-Gründershow Die Höhle der Löwen?

Der Schritt zu Die Höhle der Löwen hat sich schon etwas länger angekündigt bei uns, weil wir mit dem Sender schon seit ein paar Jahren in Kontakt waren. Katharina und Katrin hatten sich damals dagegen entschieden, weil Kuchentratsch noch nicht weit genug war. Mit dem Launch unseres Kuchenversands hätten wir eine Investition gut gebrauchen können. Mit durchschnittlich drei Millionen Zuschauern wollten wir mit unserer Teilnahme die Sendung als Plattform nutzen, um viele Menschen mit unserer Idee zu erreichen. So eine Gelegenheit hat man als kleines Unternehmen nicht, das natürlich kein Marketingbudget hat. Wir haben gar nicht groß mit einer Investition gerechnet und waren umso glücklicher, dass es sich doch ergeben hat. Dagmar Wöhrl und Carsten Maschmeyer haben insgesamt 100.000 Euro in uns investiert. Das war schon ein sehr großer Schritt für uns, denn durch die Sendung wurden wir richtig bekannt.

Wo gibt es noch Verbesserungsbedarf ?

Wir sind ein super kleines Start-up, das heißt es gibt an allen Enden und Ecken Verbesserungsbedarf. Zum Beispiel gibt es noch offene Positionen, die wir nicht besetzen können. Wir haben niemanden, der explizit Marketing macht oder der sich nur um die Onlineshop-Bestellungen kümmert oder nur Customer Service macht. Zudem ist unsere Immobilie zu klein, wir haben nicht genug Lagerplatz. Es ist eben logistisch noch nicht ganz ausgeklügelt. Auch der Backplan ist noch nicht digital, alle Bestellungen müssen noch händisch eingetragen werden. Das, was uns fehlt, ist Manpower. Das Wissen aus den Bereichen Logistik, Digitalisierung und Software.

„Das, was uns fehlt, ist Manpower. Das Wissen aus den Bereichen Logistik, Digitalisierung und Software.“

Wie geht es mit Kuchentratsch weiter?

Den ersten großen nächsten Schritt sind wir schon am Gehen. Wir haben eine Backmischung gelauncht, mit dem Ziel, in den Lebensmitteleinzelhandel zu kommen. Eine Backmischung von Oma kaufen zu können, das wäre ein riesiger Meilenstein und ein Traum von uns. Wir haben momentan eine lange Warteliste, das heißt je mehr Bestellungen reingehen, desto mehr Omas und Opas können wir beschäftigen. Die nächsten Schritte gehen also alle in Richtung: Wie können wir noch mehr SeniorInnen bei uns beschäftigen, wie kriegen wir mehr Kunden, die bei uns bestellen? Der nächste Schritt in naher Zukunft ist das neue Backbuch, das im Herbst rauskommt.

Alle Bilder sind von www.kuchentratsch.de


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6 Kommentare
  1. Lisa Ellinger
    Lisa Ellinger sagte:

    Was für eine tolle, wunderschöne Geschäftsidee!! Wenn ich das nächste Mal in München bin, werde ich da auf jeden Fall vorbeischauen 🙂
    Außerdem können sicher viele von uns, ich auf jeden Fall, Theresa’s Wunsch nach einer Arbeit mit Sinn und Herz total verstehen. Deshalb finde ich es auch richtig toll, dass du die beiden Jobbörsen verlinkt hast! Danke!! ♥
    P.S. Ein weiteres, tolles Münchner Projekt ist BrotZeit: dort machen Senioren für Kinder Frühstück: https://www.brotzeitfuerkinder.com/

  2. amelie.behringer
    amelie.behringer sagte:

    Ein wirklich schönes Interview. Ich verfolge Kuchentratsch schon seit dem Auftritt bei Höhle der Löwen und finde das Projekt super! Außerdem ist es auch mal interessant zu sehen was man nach dem Studium der Medienwissenschaft doch alles machen kann. 😛

  3. Elisabeth Harvey
    Elisabeth Harvey sagte:

    Quite an interesting interview! It is always nice to read about businesses that combine a service with a sense of social responsibility. The idea of appealing to our nostalgia for our grandmother’s baking and simultaneously supporting retirees seems to be quite a successful concept! And the cakes look delicious, too!

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