Ein voller Terminkalender, Meetings und Abgaben. Ängste über Aufträge und Honorare. Ständig auf Abruf bereit sein. Alles Dinge, die etliche Berufe prägen. Man muss dabei sein: mit dem Kopf, mit den Gedanken. Nach und vor der Arbeit. Oft ist der Feierabend nur eine dünne Linie, die das Privatleben nicht so scharf von der Arbeit trennt, wie sie es sollte. Aber was ist mit Berufen, die einfach Anwesenheit und Arbeit vor Ort erfordern? Mit Berufen, die geringen geistigen Aufwand erwarten oder schlicht körperliche Tätigkeit verlangen?

Im Supermarkt greift man nach Produkten, die schön verpackt in den Wagen gelegt und am Ende über das Kassenband geschoben werden. Aber wie kommt das Wasser in die Flasche oder wer füllt die Tüte Chips mit Luft und Kartoffelscheiben? Und was empfindet die Person, die eben nicht nur diese Produkte abkassiert, sondern hunderte an einem Tag? 

Wohin führen die Gedanken, wenn man stundenlang dasselbe macht?

Berufe, die körperlich anstrengend oder auch redundant sind, bilden einen großen Teil des Berufsfeldes unserer Gesellschaft. Wie begegnet man solch einer Beschäftigung jeden Tag aufs Neue, wenn der Input meist derselbe ist oder körperliche Anstrengung am Ende des Tages das Energielevel senkt? 

Andrea ist Kassiererin. Seit 25 Jahren. In einem großen Supermarkt. Jeden Tag geht sie dort Geld verdienen, wo andere für den täglichen Bedarf ihr Geld ausgeben. Eine acht Stunden Schicht und ständig eine Schlange an der Kasse. Sie zieht hunderte von Produkten über den Scanner und sieht die unterschiedlichsten Gesichter. Manche davon sind vertraut, es sind ihre Stammkunden. Und wenn sie Feierabend hat, dann ist das alles kein Thema mehr. Kein Mailverkehr, keine Sorge über fehlendes Gehalt am Ende des Monats. Die Gunst des festen Berufs.

„Es passt einfach. Da weiß ich, was mich erwartet. Und ich habe keinen Druck.“

Wenn sie zur Arbeit geht, ist sie entspannt. Sie hat keinen Druck, keine Sorge vor dem Unerwarteten. Ja, sie freut sich sogar etwas. Über die Jahre hat sie sich daran gewöhnt und aus der Gewohnheit heraus Gefallen daran gefunden. Doch trotzdem macht sie jeden Tag dasselbe. Keine scheinbar neuen Herausforderungen und Anreize. Da muss einem doch langweilig werden! Wohin führen die Gedanken, wenn man stundenlang dasselbe macht?

„Manchmal schalte ich ab. Anders geht es ja auch nicht. Sonst wird man verrückt. Da denkt man über alles Mögliche nach. Die Gedanken schweifen einfach ab. Das ist aber auch okay.“

Aber Andrea hat noch andere Möglichkeiten ihren Arbeitsalltag abwechslungsreich zu gestalten: Kundinnen und Kollegen. Vor allem die Kunden bringen sie ab und an mit einem Gespräch auf andere Gedanken.

„Es gibt Kunden, die wollen immer nur an meine Kasse. Man kennt sich schon und es ist schön ein kleines Gespräch zu führen. Ja, man kann sagen, sie sind meine Stammkunden.“

Und wenn man von der Arbeit heimkommt, was fühlt man dann? Ist man einfach nur leer oder hat man die Kapazität sich noch mit anderen Sachen zu beschäftigen?

„Körperlich bin ich schon müde, aber geistig geht es noch gut. Ich suche mir dann immer weitere Aufgaben, und darauf kann ich mich dann noch ganz gut konzentrieren.“

Andrea mag ihren Beruf. Sie holt sich die Abwechslung, wenn sie sie braucht. Während, aber auch nach der Arbeit.

Einfach nur während der Arbeit arbeiten

Vergleiche ich das mit der eigenen Erfahrung, die ich während Ferienarbeiten  ebenfalls im Supermarkt  gemacht habe, ist es die Routine, die bei der Arbeit wie auch im Alltag einen psychischen Halt schaffen kann. Immer dieselben Dinge zu machen, schafft Kontrolle und Freiraum für andere Sachen, für andere Gedanken. So mag es augenscheinlich sein, man würde bei der Arbeit nicht allzu viel nachdenken, verfällt aber doch in tiefe Gänge und reflektiert aktiv das Leben. In Andreas Fall hat sie sogar noch den Kontakt mit den Kunden.

Und dann, wenn die Schicht vorbei ist, geht man nach Hause. Jetzt fängt das Privatleben an und die Arbeit setzt aus. Ein Modell, dessen man sich meist jeden Tag sicher sein kann. Der Druck nicht zu wissen, wie finanziell tragbar der Beruf ist, als auch der Hang zum Workaholismus ist etwas, das bei vielen Berufen nicht selten ist und einigen Menschen nicht bekommt, Stichwort Burnout. Dagegen wirkt es schon wie ein paradiesischer Gegenentwurf, einfach nur während der Arbeit zu arbeiten. Das hatte man noch nicht mal in der Schule.

Die Unterforderung treibt die Leere voran

Aber redundante Tätigkeiten und körperliche Berufe haben auch ihre Schattenseiten. Statt Burnout herrscht Boreout. Unterforderung und jahrelang dieselben Tätigkeiten, das Ausgelangweilt-Sein in Kombination mit schlechten Arbeitszeiten im Schichtsystem. Die Konsequenzen können dieselben sein wie beim Burnout: Die Arbeitnehmerinnen können sich ausgebrannt und leer fühlen und das, obwohl es den Geist gar nicht derart gefordert hat. Eben deswegen! Die Unterforderung treibt die Leere voran.

Das konnte ich teilweise bei meiner Tätigkeit in solch einem Berufsfeld erfahren. Andrea hingegen langweilt sich selbst nach über 20 Jahren nicht. Schließlich hat sie eine Beschäftigung und den Kontakt mit Kunden. Auf die Frage hin, was sie vom Boreout-Syndrom hält, meint sie nur:

„Es kommt klar auf den Charakter an. Manche können so etwas einfach nicht.“

Zum Schluss kann ich aus eigener Erfahrung in solchen Berufen sagen, es hilft  und das gilt schlussendlich für jeden Beruf  immer den Ausgleich zu schaffen. Entweder in Form eines Hobbys, das entschleunigen oder ein kognitives Surrogat bilden kann. 

In dieser Kombination können solche Berufe einen erfüllenden Alltag bilden und auf Dauer einen geringeren Stresspegel bedeuten. Jeden Tag aufs Neue ohne Anspannung zur Arbeit zu gehen, ist doch eigentlich eine erstrebenswerte Situation. Ganz gleich, ob der Beruf jetzt „dumpf“ oder „aufregend“ ist.

3 Kommentare
  1. Judith Geyer
    Judith Geyer sagte:

    Vielen Dank für deinen interessanten Einblick! Zudem teile ich deine Erfahrung, dass die Lösung oft in der Kombination zu finden ist: Während meines geisteswissenschaftlichen Studiums habe ich lange Zeit in einer Kaffeerösterei gearbeitet. Ich habe die körperliche Arbeit dabei immer als sehr erfüllenden Ausgleich empfunden. Als Kontrast zu der Arbeit am Schreibtisch war es schön, etwas handfestes zu schaffen. Gleichzeitig war ich aber froh über die geistige Stimulation, die mir mein Studium bot.

  2. Lena Rebentisch
    Lena Rebentisch sagte:

    Ein guter Text, der zum Nachdenken anregt: es gibt so viele Jobs, von welchen mich die Motivation und Meinung der Arbeiter interessieren würde: Mitarbeiter der Müllabfuhr, LKW-Fahrer oder Leichenbestatter. Was gefällt Ihnen wohl an ihrem Job und wieso machen sie ihn? Guter Denkanstoß!

Trackbacks & Pingbacks

  1. […] Beschäftigte selbst Sinn in seiner Arbeit sieht. Für einen Außenstehenden mag der Beruf eines Kassierers eintönig wirken. Das muss jedoch keineswegs die Ansicht des Beschäftigten selbst sein. So sieht […]

Kommentare sind deaktiviert.