Ob beim Gemüse schneiden, Rasenmähen oder dem Friseur: Messer, Schere und Co. sind dabei unersetzlich. Christian Wietschorke verpasst ihnen den dafür nötigen Schliff, indem er sie schärft und poliert – dadurch glänzen nicht nur sie in Zeiten von Wegwerfmentalität oder unbesetzter Azubistellen in diesem alten Beruf.

Mittelalterliche Fachwerkhäuser, geschwungene Gassen und dazwischen, ganz unscheinbar, eine kleine Hütte, die so hellblau ist wie der Himmel an diesem Frühsommertag. Spaziergänger bleiben stehen und blicken neugierig durch die kleine Scheibe hinein in den Raum, aus dem heraus man es schleifen, hämmern und rotieren hört. Sie können hier Christian Wietschorke bei seiner Arbeit als Scherenschleifer zusehen. Es hat sich schnell herumgesprochen, dass der gelernte Schreiner aus Ulm wieder einmal für zwei Wochen Halt in der schwäbischen Universitätsstadt macht, und so tummeln sich auf weniger als acht Quadratmetern verschiedenste Arten von stumpfen Messern, Scheren und Beilen, die Kunden vorbeigebracht haben und die nun darauf warten, von ihm geschliffen zu werden.

Der Alltag als Scherenschleifer

„Meistens bringen mir meine Kunden Koch- und Tafelmesser, aber auch viele Schneider- und Gartenscheren. Wenn ich sie geschliffen und poliert habe, können sie abgeholt werden und sind dann, je nachdem, welches Werkzeug es ist, wieder bis zu mehrere Jahre lang scharf“, erzählt Wietschorke. Doch sein Angebot geht noch viel weiter: Er schleift und poliert nicht nur, sondern berät über die richtige Schneidgeometrie und -form, nietet abgebrochene Spitzen auf und erneuert Griffe; und das bei den verschiedensten Messer-, Scheren-, Spaten- und Beilarten. Essentiell hierfür ist sein Werkzeug: Auf seiner Werkbank findet sich eine Vielzahl an Schleifböcken, Schleifpapier sowie Schleifstahl.Ursprünglich arbeitete er als Schreiner, bevor er sich vor über 20 Jahren dazu entschied, als mobiler Scherenschleifer in der Region seinen Schleif- und Polierdienst anzubieten. „Ich hatte schon immer Interesse an Messern und bin als Schreiner mit den Werkzeugen vertraut“, so der Zerspanungstechniker, wie seine Anstellung offiziell heißt. „Als ich mir dann eine Schleifmaschine gekauft und Messer für Freunde und Familie geschliffen habe, habe ich gemerkt, wie groß das Interesse dafür ist. Innerhalb eines Jahres bin ich dann komplett umgestiegen und seitdem nach alter Sitte viel in der Region als Messer- und Scherenschleifer unterwegs“, erzählt Wietschorke über seine Laufbahn. Der Beruf bedeutet seit jeher, viel über Stadt und Land zu reisen. So findet sich sein Ursprung im 16. Jahrhundert, als sich im Metier des Waffenschmieds dessen Gehilfen darauf spezialisierten, die hierfür nötigen Messer und Scheren zu schärfen und sich daraus schließlich ein eigener Berufsstand entwickelte.

Zwischen Wegwerfgesellschaft und fehlenden Auszubildenden

Wietschorkes Kunden achten nicht nur bei Erbstücken, sondern auch bei anderen Werkzeugen darauf, dass die Utensilien geschliffen werden, anstatt sie einfach zu ersetzen, was in der heutigen Wegwerfgesellschaft besonders erfreulich sei. Nachhaltigkeit ist demnach auch gerade in diesem Metier von großer Wichtigkeit, versichert er. „Das Ziel ist, ein Werkzeug so lange wie möglich zu erhalten und wegzukommen von dem Trend, Artikel einfach auszuwechseln.“ Doch der Beruf des Scheren- und Messerschleifers sei trotzdem gefährdet, da – ähnlich wie bei anderen Handwerkerberufen auch – die Auszubildenden fehlen. Mit Schuld daran sei eine oftmals unattraktive Bezahlung, sowie schlechte Arbeitsbedingungen. Im schwäbischen Sprachgebrauch wird der Begriff des Scherenschleifers außerdem eher abwertend benutzt. Dies rührt daher, dass der Scherenschleifer schon immer umherreiste und ihm nachgesagt wurde, unverlässlich und somit ein Taugenichts zu sein. Fest steht aber, dass der Beruf des Scheren- und Messerschleifers am Aussterben ist, weil der Nachwuchs fehlt – nicht aber, weil etwa die Nachfrage nicht da wäre: „Hier in Tübingen könnte ich noch einige Tage länger bleiben“, lächelt er. „Gerade heute habe ich wieder viele Anfragen bekommen, die ich gar nicht mehr alle während meiner Zeit hier bearbeiten kann. Aber in diesem Fall biete ich an, die Ware der Kunden mit nach Ulm zu nehmen und nach dem Schleifen per Post zu ihnen zurückzuschicken.“

Ein mobiler Schleifservice

Wichtig bei der Wahl des Standorts ist für Wietschorke immer, dass er nicht weiter als 200 Kilometer von seiner Heimat Ulm entfernt ist, sodass er zwischen seinen Reisen von Stadt zu Stadt genügend Zeit mit seiner Familie verbringen kann. So macht er mit seiner kleinen Hütte neben Tübingen beispielsweise auch in Pforzheim, Erlangen, Friedrichshafen und Öhringen jeweils für einige Tage pro Jahr Halt. Aktuelle Infos zu den nächsten Terminen gibt es auf seiner Website. Wer stumpfes Werkzeug zu Hause hat und es nicht persönlich vorbeibringen kann, für den gibt es den eigens dafür eingerichteten Postservice. Schere und Co. können so zu Wietschorke nach Ulm geschickt und nach Bearbeitung von ihm an den Kunden zurückgesandt werden. Einen ‚typischen Kunden’ gebe es bei ihm nicht, so der Scherenschleifer: „Bei mir kommen junge Studierende vorbei, aber auch die klassische ältere Generation. Was aber auffällt ist, dass gerade die Jüngeren die qualitativ hochwertigeren Messer besitzen, seitdem Kochshows so beliebt sind. Ältere Leute benutzen eher Messer, die sie schon sehr lange haben oder die sogar Erbstücke sind.“

Der Besuch beim Messerschleifer – mehr als nur eine Dienstleistung

Eines haben alle Kunden gemeinsam, egal ob sie mit einem stumpfen Brotmesser, einer chirurgischen Schere mit abgebrochener Spitze oder einem alten Spaten vorbeikommen: Sie bleiben allesamt gerne ein paar Minuten für ein gutes Gespräch stehen. Besonders in Erinnerung geblieben ist Christian Wietschorke hierbei eine ältere Dame, die ihn vor einigen Jahren bat, eine Schere aus Blech zu schleifen. „Da sagte ich zu ihr, dass das Schleifen bei diesem Material nicht viel Sinn macht, weil es nicht lange scharf bleibt“, berichtet er, „aber die Frau wollte unbedingt, dass ich ihre Schere bearbeite“. Als er sich die alte Schere genauer ansah, fiel ihm auf, dass darauf die Zahl ‚1938’ eingraviert und die Schere ein Erbstück der Großmutter war: „Das war für mich ein Beispiel dafür, dass Werkzeuge wie Messer oft sehr stark emotional beladen sind. Darum schätze ich die Scheren- und Messerschleiferei auch so.“ Das interessanteste Erlebnis während seiner zwei Wochen in der Stadt am Neckar: Ein Herr, der zu seinem Stand kam und zwar weder eine stumpfe Schere noch Messer zum Schleifen vorbeibrachte. Dafür aber ein Gedicht, das er ihm lächelnd vortrug, bevor er sich den Wanderrucksack zurück auf den Rücken schnallte, sich fürs Zuhören bedankte und pfeifend weiterging.

 


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4 Kommentare
  1. Amelie Rebmann
    Amelie Rebmann sagte:

    Dein Beitrag ist sehr lebendig und abwechslungsreich geschrieben – gefällt mir sehr gut! Die Arbeit eines Scherenschleifer hatte ich zuvor nicht im Kopf und du zeigst interessante Facetten des Berufs auf, wie beispielsweise die verschiedenen Kunden und deren Einstellung zur heutigen Wegwerfgesellschaft.

  2. Laura Mitlewski
    Laura Mitlewski sagte:

    Schade, dass ich deinen Beitrag nicht schon früher gelesen habe. Ich habe eine ganze Menge stumpfe Messer und Scheren, die ich jetzt gerne zum Scherenschleifer bringen würde. Ich wusste gar nicht, dass es dieses Berufsbild noch gibt!

  3. Lioba Wunsch
    Lioba Wunsch sagte:

    Ich finde deinen Beitrag super – sowohl vom Schreibstil als auch vom Thema! Scharfe Messer, Scheren etc. braucht jeder aber kaum einer wird sich mit der alles andere als stumpfsinnigen (genialer Titel 🙂 ) Arbeit des Scherenschleifers tatsächlich auskennen. Dank deinem Beitrag tun wir das jetzt.

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