Home-Office, Gleitzeit, Jobsharing – feste Arbeitsstrukturen wie der klassische „Nine-to-five“-Job haben ausgedient. Vor 100 Jahren noch als revolutionär gefeiert, ist der 8-Stunden-Tag heute schon nicht mehr zeitgemäß. Flexible Arbeitszeitmodelle sind auf dem Vormarsch und werden von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zunehmend eingefordert.
Die Lebensverhältnisse haben sich verändert: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wünschen sich einen selbstbestimmten Umgang mit dem kostbaren Gut „Zeit“ und eine bessere Vereinbarkeit von Freizeit und Beruf. Stichwort: Work-Life-Balance. Bei der Entscheidung für eine Arbeitsstelle ist dieser Faktor oftmals ausschlaggebender als das Gehalt. In einer Studie von Indeed wurden über 1.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern danach befragt, wie wichtig ihnen Flexibilität am Arbeitsplatz ist und welche flexiblen Modelle an der Arbeitsstelle bereits angeboten werden:
Neben den oben genannten flexiblen Arbeitszeitmodellen wie Jobsharing oder Home-Office werden immer mehr innovative Konzepte entwickelt und von verschiedenen Unternehmen, auch innerhalb Deutschlands, getestet (und immer öfter auch beibehalten). Einige davon sollen im Folgenden vorgestellt werden.
Der 5- bzw. 6-Stunden-Tag
In aller Munde ist der sogenannte 5- bzw. 6-Stunden-Tag, auf den Unternehmen im Ausland, allen voran Schweden, aber auch Unternehmen in Deutschland umgestellt haben. So beispielsweise auch die Bielefelder IT-Firma „Digital Enabler“. Für alle Angestellten der Agentur startet der Arbeitstag um 8 Uhr und endet bereits um 13 Uhr. Die Vision des Arbeitgebers: Die Angestellten können das Leben mehr genießen, den restlichen Tag über Freizeitaktivitäten nachgehen und in den fünf Stunden am Arbeitsplatz produktiver arbeiten, indem Zeitfresser wie unnötige E-Mails, Privatangelegenheiten, lange Meetings und Kaffeepausen vermieden werden.
Auch Psychologen bestätigen, dass kürzere Arbeitszeiten von fünf oder sechs Stunden produktiver sind, was sich an der höheren Motivation der Angestellten und einer größeren Leistungsfähigkeit zu Arbeitsbeginn erklären lässt. Dieses neue Arbeitsmodell bedeutet aber auch, dass das gleiche Arbeitspensum in kürzerer Zeit erreicht werden muss, was zu Zeitdruck und Arbeitsverdichtung führt. Effizientes und konzentriertes Arbeiten ist also gefragt. Auch der soziale, zwischenmenschliche Aspekt innerhalb der Kollegschaft kommt bei diesem Modell scheinbar zu kurz. Die Angestellten von „Digital Enabler“ nutzen dafür nach eigener Aussage die Zeit nach Dienstschluss für ein gemeinsames Mittagessen oder verabreden sich für den Abend.
Die 4-Tage-Woche
Ähnlich wie mit dem 5-bzw. 6-Stunden-Tag verhält es sich mit der 4-Tage-Woche, die von der neuseeländischen Finanz- und Immobilienfirma „Perpetual Guardian“ in einem zweimonatigen Testlauf erprobt wurde. Als Auslöser für dieses Pilotprojekt galt die Annahme, dass sich eine unausgewogene Work-Life-Balance negativ auf Arbeitsmoral und Gesundheit auswirken würde. Außerdem ließe sich die Zeit, die bei vielen Arbeitnehmern für das Pendeln zur Arbeit benötigt wurde, so reduzieren.
Bei „Perpetual Guardian“ werden 30 Stunden Arbeitszeit auf vier Tage verteilt, bei gleichem Gehalt. Der Versuch wurde wissenschaftlich von der Auckland Business School begleitet. Sie fanden heraus, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dank der 4-Tage-Woche weniger gestresst und glücklicher waren und 20% produktiver arbeiteten. Auch identifizierten sich die Angestellten wieder stärker mit „Perpetual Guardian“ und die Gewinne des Unternehmens stiegen an. Nach der Pilotphase wurde beschlossen, die 4-Tage-Woche langfristig einzuführen, wobei alle Angestellten die Möglichkeit hatten, sich für ein individuell angepasstes, flexibles Modell zu entscheiden. Internationale Anfragen zum neuen Arbeitszeitmodell folgten – auch aus Deutschland. Ein kleiner Handwerksbetrieb in Baden-Württemberg hat ebenfalls die 4-Tage-Woche eingeführt, vor allem, um für neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter attraktiver zu sein. Hier arbeiten die Angestellten etwa jeweils neun bis zehn Stunden an vier Tagen die Woche, von Montag bis Donnerstag, und haben dann nach der harten, körperlichen Arbeit drei verdiente Tage frei.
Das 3+3-Modell
Skandinavien zählt in Sachen flexible Arbeitszeiten und Work-Life-Balance zu den Vorreitern. Das 3+3-Modell wurde in schwedischen Kliniken und Pflegeheimen erprobt und scheint sich dort im Gesundheitswesen bewährt zu haben. Angestellte arbeiten zuerst drei Tage und haben anschließend drei Tage frei, mit Vollzeitvergütung (wobei Wochenendzuschläge dann wegfallen). Es konnte festgestellt werden, dass sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ihrer Freizeit besser erholten und die Kosten für Krankheitstage gesunken sind. Außerdem fielen viele Überstunden weg, da es längere Dienstzeiten gab. Sabine Richter, Pflegedirektorin des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, hat seit drei Jahren ebenfalls den Wunsch, ein solches Pilotprojekt in Deutschland zu starten. Jedoch hapert es derzeit noch an der Finanzierung des Testlaufs.
Fazit
Für IT-Unternehmen ist es ein Leichtes, ihren Angestellten Home-Office oder andere flexible Arbeitszeitmodelle anzubieten, da deren Arbeit mit Hilfe eines guten PCs ohne Probleme von Zuhause aus erledigt werden kann und sie nicht zeitgebunden ist. In kreativen Berufen ergeben flexible Modelle ebenfalls Sinn, da tolle Ideen meist nicht unter Zeitdruck entstehen. In Branchen mit Schichtarbeit, wie es beispielsweise im Gesundheitswesen üblich ist, müssen andere flexible Modelle entwickelt werden, die keine zu hohen Kosten für den Arbeitgeber nach sich ziehen. Neue Arbeitszeitmodelle müssen zudem ständig überarbeitet und an individuelle Bedürfnisse angepasst werden. Die Psychologin Ulrike Hellert äußerte sich in einem ZEIT-Interview dazu:
„Es gibt aber kein Arbeitszeitmodell von der Stange. In jedem Betrieb sind Ausgangslage, Ziele und Bedürfnisse unterschiedlich. Es wird in Zukunft daher vor allem viele hoch individuelle Lösungen geben.“
Es geht also darum, verschiedene Anliegen – von Arbeitgebern und Arbeitnehmern – in Einklang zu bringen. Während sich Arbeitgeber eine profitable Auslastung, effizientes Arbeiten und eine fokussierte Orientierung am Kunden wünschen, möchten Angestellte Beruf und Privatleben optimal vereinbaren und am liebsten über Arbeitszeit und -ort mitentscheiden. Um als Unternehmen jedoch qualifizierte Arbeitskräfte anzuziehen, lohnt es sich, mit flexiblen Arbeitsmodellen Anreize zu schaffen und längerfristig zu halten, gerade wenn sich die Lebensverhältnisse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ändern.
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Ein sehr interessanter und spannender Beitrag – gerade im Hinblick auf die unterschiedlichen Berufsfelder und die damit einhergehenden Möglichkeiten, flexible Arbeitszeitmodelle umzusetzen. In kreativen Berufen und der IT-Branche ist der Trend in aller Munde. Ich habe mir aber noch nie Gedanken über innovative Arbeitszeitmodelle in Branchen, wie etwa dem Gesundheitswesen, gemacht. Das 3+3-Modell ist da ein spannender Ansatz, der hoffentlich auch bald in Deutschland umgesetzt werden kann und dann vielleicht auch andere Bereiche, die eine reguliertere Arbeitszeitgestaltung haben, zu flexibleren Modellen inspiriert.
Auch mich hat dein Artikel sehr überrascht! Ich hatte schon oft das Gefühl, dass flexible Arbeitszeitmodelle in vielen Branchen immer wichtiger werden, in anderen hingegen an der Lebensrealität der Arbeiter vorbei gehen. Umso mehr haben mich deine Praxisbeispiele aus dem Handwerk und der Pflege erstaunt. Ich bin sehr gespannt, wie sich die Arbeitsmodelle auch bei uns in Deutschland verändern werden. Ich glaube, viele Menschen wollen sich heute nicht mehr entscheiden, ob sie leben um zu arbeiten oder arbeiten um zu leben. Wie so oft ist es die Kombination aus einem erfüllenden Berufs- und Privatleben, die den Reiz ausmacht.
Liebe Anne, dein Beitrag hat mir wirklich gut gefallen! Dass Arbeit immer flexibler verrichtet werden kann, halte ich persönlich für eine sehr wünschenswerte Veränderung – gerade im Hinblick auf das Arbeiten von unterwegs und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Insbesondere für Frauen! Ich sehe hier auch einen direkten Link zur Schließung der Pay Gap. Überrascht hat mich daher tatsächlich auch, dass es für alle Arbeitszeitmodelle in Deutschland bereits Vorreiter gibt – ich hätte hier mit mehr Rückständigkeit gerechnet. Schön finde ich auch die Infografik!