Die Bedeutung von Typografie und Schriftgestaltung für unseren Alltag ist vielen kaum bewusst. Im Atelier des Studio Tillack Knöll treffe ich die beiden Gründer aus Stuttgart. Im Gespräch geht es um Kommunikationsdesign, die Kulturgüter Schrift und Papier sowie darum, was gute Gestaltung ausmacht. Die Arbeiten von Sven Tillack und Steffen Knöll sind vielfach ausgezeichnet. Sie bewegen sich an der Schnittstelle zwischen digital und analog, von visuellen Erscheinungsbildern wie Webauftritten, Plakatdesigns und Buchgestaltung bis hin zu kommunizierender Grafik im Raum wie der Konzeption von Ausstellungen.

Vermutlich weiß nicht jede Person, was genau ein selbständiger Kommunikationsdesigner überhaupt macht. Woran habt ihr denn heute gearbeitet?

Steffen Knöll: Also ich habe heute den ganzen Tag Ecken und Kanten überprüft, also Piktogramme. Wir machen für ein Kultur- und Kongresszentrum das neue Orientierungssystem. Da haben wir uns jetzt eine Schildart überlegt und müssen sehen, ob das Schild in der Größe gestalterisch so funktioniert, wie wir uns das vorstellen. Dann erst kann ich mich drum kümmern, wie es angebracht wird.

Sven Tillack (links) und Steffen Knöll (rechts) haben sich nach ihrem Studium mit einem gemeinsamen Studio für Kommunikationsdesign selbständig gemacht. © Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart

Sonst stelle ich nachher fest, dass ich ein Schild bräuchte, das zwei Meter breit ist und nicht 1,50 Meter. Die Schrift kann ich nicht kleiner machen, ansonsten können die älteren Herrschaften, die dort zum klassischen Konzert gehen, sie nicht mehr lesen. Da gibt’s auch keinen Workaround, denn die Info muss nunmal an die Decke. Bei hohem Besucheraufkommen – zweitausend Menschen passen da rein – kann ich die nicht auf Brusthöhe anbringen.

Sven Tillack: Ich habe heute an einem Unternehmensauftritt gearbeitet. Das sind drei Freunde von uns, die sich gerade als Innenarchitekten selbständig machen. Da kann man dann natürlich auch entsprechend unter die Arme greifen, wenn Leute zu einem kommen und sagen: „Hey, wir brauchen einen Geschäftsauftritt und eine Webseite, möchtet ihr das nicht machen?“ Viele Projekte ist kann ich nicht in einem kurzen Zeitfenster machen. Zwischen Steffen und mir ist das eine relativ enge Abstimmung, dass der eine mal etwas macht und dann wieder der andere. Wir nennen das  Pingpong und überlegen: Okay, wie kann man Ideen des anderen weiter vorantreiben?

„Den Geruch von einem Buch kann ich im digitalen Entwurf nicht mitdenken.“

Eure Endprodukte sind ja dann doch oft analog. Wie arbeitet ihr im Prozess davor?

Steffen Knöll: Ich glaube, wir arbeiten schon eher digital. Aber wir versuchen auch, das Analoge immer wieder in den Entwurf mit reinzupacken. Bei uns lebt vieles davon, dass wir digital produzieren, aber analog denken. Also dass die Form, die Art und Weise, wie es veredelt wird und wie gedruckt wird, eine Rolle dabei spielen, wie wir gestalten. Wenn ich einen Siebdruck mache, kann ich gewisse Dinge nicht mehr drucken, die ich im Offset (Anm. d. Red.: verbreitetes Verfahren im Zeitungs- und Buchdruck) noch drucken kann. Das denkt man dann mit. Aber wir fangen erst mal mit dem Papier an.

Sven Tillack: Ja, wenn man mal schnell was festhalten muss.

Steffen Knöll: Manchmal auch direkt am Rechner. Das spricht schon ein bisschen mehr fürs Digitale, aber immer mit dem Gedanken: Das muss auch analog funktionieren. Am Rechner kann ich vieles nicht simulieren: Tolles Papier kann ich am Rechner nicht sehen. Das ist ja eine weiße Fläche und sieht nie so toll aus wie in der Realität, wenn dann noch Fasern drin sind. Das Papier riecht gut. Den Geruch von einem Buch kann ich im digitalen Entwurf nicht mitdenken. Aber am besten ist es natürlich, wenn man so einen Mix von allem hat.

Apollo 11, Man On The Moon, Das Visuelle Archiv © Studio Tillack Knöll

Sven Tillack: Gerade bei analogen Produkten geht es darum, wie man das Ganze produziert. Am schönsten ist es, wenn man einen Buchbinder hat, der hier regional produzieren möchte. Du kannst deinen Entwurf, der erst mal aussieht, wie er aussieht, mit dem Papier in Beziehung bringen – dadurch, dass du ein Gespür für die richtige Materialität und die richtigen Veredelungen entwickelst. Für uns ist das schön, wenn man einen Stapel Bücher hat, bei dem jedes Buch besonders ist.

„Es ist immer Schrift dabei, weil die am prägnantesten kommunizieren kann.“

Ihr habt beide Kommunikationsdesign an der Staatlichen Akademie für Bildende Künste (ABK) in Stuttgart studiert. Kommt man da automatisch zu einer Faszination für Typografie oder entstand die aus eigenem Antrieb?

Steffen Knöll: Im Studium kommt man nicht drumherum, sich mit Schrift auseinander zu setzen – und zwar sehr intensiv. Alles, was wir machen, hat mit Schrift zu tun, mit Information. Natürlich kommunizieren auch Bilder, aber es hängen ja nicht einfach nur Bilder in der Stadt. Die haben alle ein Logo oder ein Claim mit drauf, und natürlich Schrift, weil die am prägnantesten kommunizieren kann. Das Bild lässt sehr viele Interpretationsspielräume offen, was auch toll ist für manche Sachen. Aber wenn du willst, dass die Leute deine Sachen kaufen, dann muss da halt alles Mögliche drauf stehen, weil das viel zielgerichteter kommunizieren kann.

In Between, Plakat und Identität für eine Kunstausstellung der ABK Stuttgart © Studio Tillack Knöll

Sven Tillack: Man muss dazu sagen: Wir gestalten mit Schrift, aber wir sind eher Schriftanwender, nicht so sehr Schriftgestalter. Wir wissen für uns, dass wir einen gewissen Fundus haben, den man sich über das Reflektieren und auch Anschauen von anderen Leuten und anderen Arbeiten aufbaut. Das bleibt auch besser hängen, weil’s einfach Spaß macht, sich damit beschäftigen zu können.

„Typografie muss den richtigen Ton treffen.“

Was macht gute Typografie denn aus?

Steffen Knöll: Man muss den richtigen Ton treffen. Das kann natürlich mal ein sehr, sehr lauter Ton sein oder ein sehr, sehr ausgefallener Ton oder ein Tinnitus-Pfeifen. Und manchmal muss er so leise sein, dass man ihn fast nicht mehr wahrnimmt. Es geht eher um das Gefühl, das ich vermittelt bekomme, wenn ich diese Schrift lese. Das ist also immer ein Abwägen, welchen Ton ich treffe.

Warum sollten mehr Leute über Typografie nachdenken?

Steffen Knöll: Das ist ein Kulturgut. Du machst dir ja auch Gedanken darüber: Wie ist unser Handykonsum? Wie ist unser Internetkonsum? Wie gehen wir mit Büchern um? Du siehst in der Zeitung die Artikel darüber, wie viel weniger Leute die Zeitung noch lesen. Ja, wieso lesen wir weniger? Weil wir mehr digital lesen und mehr Zugang zu digitalen Texten haben und deswegen das Buch an sich nicht mehr brauchen? Da kommt so viel Gesellschaftstechnisches mit rein. Etwas, das sich schon relativ lange durch die Menschheitsgeschichte zieht. Und darüber nachzudenken, was es heißt, was und wie man liest, finde ich nicht so schlecht.

Schnell etwas anstoßen, Plakatgestaltung für eine Workshopreihe der ABK Stuttgart © Studio Tillack Knöll

Sven Tillack: Oft sind das soziale Strömungen, die den Leuten den Mut geben, etwas Neues zu machen. Schaut man sich etwa wichtige feministische Strömungen im Grafikdesign an, merkt man, dass die Leute angefangen haben zu reflektieren: Ist das gut, dass es eine Designkonferenz gibt, bei der 90 Prozent männlich sind? Jetzt gibt es ein Umdenken – so wie in vielen anderen Bereichen auch. Es gibt Schriftgestalterinnen, die Schriften machen, die einen Hang zum Feminismus haben, weil sie selber mit einer anderen Haltung herangehen. Es ist total gut, dass Leute aus unterschiedlichsten Beweggründen solche Sachen machen und natürlich ihre eigenen Einflüsse in ihre Arbeiten mit einfließen lassen.

Steffen Knöll: Und man wird tagtäglich damit konfrontiert. Du gehst in dein Office, machst Word auf. Du schreibst einen Text und du suchst dir eine Schriftart aus. Bahn-Ticket, U-Bahn-Pläne, … Man wundert sich, wenn man etwas nicht lesen kann. Man reflektiert aber nicht darüber, dass das an der Schrift liegt, sondern nimmt das einfach so hin. Ein Bewusstsein dafür zu haben, womit man täglich konfrontiert wird, das ist doch nicht so schlecht. Unabhängig davon, was die Auswirkung davon ist, dass ich mich mit Schrift auseinandersetze.

Vielen Dank für das Gespräch, liebes Studio Tillack Knöll.

 

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2 Kommentare
  1. Robert Galiard
    Robert Galiard sagte:

    Interessantes Interview! Über die Gestaltung der Schrift mache ich mir tatsächlich weniger häufig Gedanken als beispielsweise über die Gestaltung eines Fotos auf einem Cover oder auf einem Plakat. Häufig rückt die Schrift auch nicht so stark in den Mittelpunkt wie bei dem „In Between“ Beispiel, aber der Beitrag regt definitiv dazu an etwas mehr über die Wirkung und Gestaltungsmöglichkeiten von Schrift nachzudenken. Tillack und Knöll scheinen zudem coole Dudes zu sein. 😀

  2. Radwan Saad
    Radwan Saad sagte:

    Ein sehr interessanter Artikel! Das Interview stellt gut dar, warum Typografie mehr als nur ein kleiner Baustein für das Gesamtkonzept einer Kommunikationskampagne ist. Wir werden jeden Tag damit ausgesetzt und dennoch fehlt die Sensibilisierung für die wichtigen Details wie der Schriftart. Spannend ist auch der gewonnene Einblick in die kognitiven Prozesse der Kommunikationsdesigner und wie trotz der digitalen Arbeit auch das Papier immer wieder zum Einsatz kommt.

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