Wolfgang H.s größte Leidenschaft sind Schaufenster. Seit fast 70 Jahren dekoriert er zahlreiche Ausstellungsflächen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Ein Portrait.

Wenn meine Freundin Emma über ihren Großvater Wolfgang spricht, nennt sie ihn immer den „Kleinen Opa“. Das liegt daran, dass er einfach nicht ganz so hochgewachsen ist wie ihr anderer Opa Hubert. In seinem Beruf als Schaufensterdekorateur war Wolfgang „Mac“ H. dagegen definitiv eine Größe. Mit seinen 85 Jahren kann er heute auf eine beachtliche Karriere zurückblicken.

Der Weg zum „Mekka der Dekorateure“

Mitte der 1950er Jahre beginnt der damals 16-Jährige „Mac“ als einfacher Ferienjobber in einer Grafikabteilung.  Seine Kolleg*innen erkennen schnell seinen Sinn für Ästhetik und vermitteln ihn prompt an die Kaufhauskette „Wagner“ in Kempten. In einem Dekorationsteam bestehend aus 25 Mitarbeiter*innen durfte er die 50 Schaufenster des Ladens im Schwerpunkt Teppiche, Gardinen und Bettwäsche von nun an mitgestalten. Der Spitzname „Mac“ leitet sich übrigens von Wolfgang H.s einstiger Meckifrisur ab.

Vom Arbeitgeber wie auch von Kund*innen bekam Wolfgang H. durchweg positive Resonanz und wurde nach abgeschlossener Ausbildung von „Wagner“ übernommen. Dort wollte er aber nicht ewig bleiben. Es zog ihn fort, da er sich in allen möglichen Geschäften anderer Städte im Bereich Dekoration weiterbilden wollte. Nach einigen Stopps in deutschen und österreichischen Unternehmen, schaffte er es schließlich ins Schweizer Kaufhaus „Globus“ in Zürich. „Globus“ gehörte damals schon zu den größten und einflussreichsten Adressen der Branche. Wer es erst einmal hier her geschafft hatte, konnte überall arbeiten, so H. Deshalb bezeichnet Wolfgang H. die Kaufhauskette auch heute noch liebevoll als das „Mekka der Dekorateure“.

Schaufenster von Wolfgnag Holzer

Mit seinem gekonnten Umgang mit Textil konnte Wolfgang H. seinen Arbeitgeber schnell von sich überzeugen.

Der Traum vom eigenen Laden

Nachdem Wolfgang H. im Laufe der Jahre in einigen Modegeschäften tätig war und in seinen Schaufensterbildern viel mit Stoff experimentierte, wurde er zu einem echten Kenner der damaligen Kleidertrends. Als in den 1970er Jahren dann eine Ladenfläche in Überlingen frei wurde, ergriff er die Gelegenheit und erfüllte sich den Traum vom ersten eigenen Streetwear-Shop namens „Topdress“. Dieser wurde mit der Zeit so erfolgreich, dass Wolfgang H. mit der Boutique „Ladydress“ sogar noch einen zweiten Laden speziell für schicke Kleider eröffnen konnte.

Der Gestaltung fremder Schaufenster kehrte er dennoch nicht den Rücken zu, wenn auch nicht mehr als fest angestellter Gestalter. Ähnlich wie mit seinen beiden Läden machte sich Wolfgang H. auch in der Schaufensterdekoration selbstständig. Zu seinen Kund*innen pflegte er familiäre Verhältnisse auf Augenhöhe. Das half ihm einerseits ihre Geschmäcker besser einzuschätzen und ermöglichte ihm andererseits Freiheiten wie jene, seinen Sohn Christoph in dessen Schulferien mit zur Arbeit zu nehmen.

Wolfgang Holzers Arbeit festgehalten in Polaroid

Wolfgang H. richtete sich immer nach den Wünschen der Kund*innen, verlieh seinen Schaufenstern dennoch eine persönliche Note.

Ein „Familienunternehmen“

Wenn Christoph H. heute an seinen rödelnden Vater denkt, kommt ihm sofort folgendes Bild in den Kopf: eine Klappleiter in der Hand, Perlonschnur um den Arm, ein Hammer am Hosenbund und mindestens 20 Dekonadeln im Mund. Außerdem war ein kleiner Koffer in sein Schaffen involviert, den sein Vater selbst als „Druckkoffer“ bezeichnete. In diesem befand sich ein hölzernes Druckset, mit welchem Preisschilder individuell gesetzt und bedruckt werden konnten. Manchmal durfte Christoph bei dieser Aufgabe sogar aushelfen.

Trotz vieler Freiheiten sahen es nicht alle Ladenbesitzer*innen gerne, wenn Wolfgang H. ihre Schaufenster während der Öffnungszeiten dekorierte. Darum konnte er oftmals erst nach Ladenschluss richtig loslegen, kam dementsprechend sehr spät nach Hause und morgens nicht so gut aus dem Bett. Wenn dann mal wieder das Telefon klingelte und der nächste Kunde fragte, wo er denn bliebe, hielt ihm seine Frau Erna stets den Rücken frei. Sie schindete dann Zeit, indem sie behauptete, er sei schon auf dem Weg, was nicht immer ganz der Wahrheit entsprach.

Mac H.s Gestaltungsphilosophie

Am liebsten waren Wolfgang H. selbstverständlich Aufträge ohne großartige Vorgaben. Hier konnte er seiner Kreativität freien Lauf lassen. Dann wurde das Schaufenster für Sommermode gerne auch mal zum Dschungel oder Strand auf Hawaii. Inspiration holte er sich regelmäßig auf Dekomessen, in Modekatalogen oder auch mal im Schaufenster der Konkurrenz. Dennoch waren nicht alle Dekorationen gemietet oder gekauft. Manchmal fertigte Wolfgang H. auch selbst Modelle in wochenlanger Arbeit für themenspezifische Schaufenster an. Eine Menge des alten Dekomaterials bewahrte er tatsächlich noch bis vor kurzem in seinem persönlichen Fundus auf.

Automodell von Wolfgang Holzer

Handgefertigte Miniaturen gehörten auch zu den Werken Wolfgang H.s. Dieses Automodell fertigte er neben zahlreichen anderen für die Firma Eisenhut in Überlingen an.

Damit die Gestaltung der Schaufenster ordentlich zur Geltung kommen konnte, durften diese nicht mit Ware überfüllt sein. Wolfgang H.s persönliche Hölle stellten deshalb Schlussverkäufe dar. Diese bedeuteten nämlich das genaue Gegenteil: überladene Fenster beinahe ohne jeglichen künstlerischen Anspruch. Auch wenn ihn sein gestalterisches Auge beim Einrichten ein wenig schmerzte, nahm Wolfgang H. die Umstände in Kauf und freute sich auf den nächsten kreativen Auftrag.

Beruf oder Berufung?

Mit so einer großen Leidenschaft abzuschließen ist überhaupt nicht einfach, auch nicht für Wolfgang H. Denn obwohl dieser nun schon seit einigen Jahren offiziell im Ruhestand ist, geht er seiner Berufung auch nach 70 Jahren noch immer nach und nimmt die modernen Schaufenster der Stadt unter die Lupe. Außerdem genießen zwei seiner Stammkunden das große Privileg, ihn auch weiterhin für ihre Projekte verpflichten zu dürfen. Tja, einmal Dekorateur, immer Dekorateur.

Alle Fotos © Wolfgang H.

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