Arbeit kann vieles sein. Beruf, Berufung, Hobby oder unliebsame Pflicht. Letzteres kennen wir alle. Doch was, wenn ich behaupte, dass du deine Arbeit nicht allein verrichten musst? Was, wenn ich behaupte, dass es Heinzelmännchen gibt, die dir diese Arbeit – zumindest teilweise – abnehmen? Denn genau das tun sie. Wann? Während du schläfst. Wo? In deinem Gehirn. Psychologen nennen diese Arbeit Konsolidierung.
In seinem Gedicht „Die Heinzelmännchen zu Köln“ erzählt August Kopisch (1836) von „Heinzelmännchen“, die nachts, wenn alles schlief, die Arbeit der Bürger verrichteten. Und wenn die Einwohner von Köln morgens erwachten, war ihre Arbeit bereits verrichtet.
Wie war zu Cölln es doch vordem
Mit Heinzelmännchen so bequem!
Denn, war man faul, man legte sich
Hin auf die Bank und pflegte sich:
Da kamen bei Nacht,
Ehe man’s gedacht,
Die Männlein und schwärmten
Und klappten und lärmten,
Und rupften
Und zupften,
Und hüpften und trabten
Und putzten und schabten…
Und eh ein Faulpelz noch erwacht,…
War all sein Tagewerk… bereits gemacht!Vers 1 aus August Kopischs „Die Heinzelmännchen zu Köln“ (1836)
Wäre es nicht manchmal schön, wenn es Heinzelmännchen wirklich gäbe? Doch leider ist das alles nur eine Geschichte. In der Realität sehen die Dinge oft ganz anders aus: Die Prüfungsphase hat begonnen. Jedes halbe Jahr wieder. Es ist eine Zeit zwischen Beruhigungstees und Energydrinks. Eine Zeit zwischen Büchern, Aufzeichnungen, Textmarkern und leeren Ravioli-Dosen. Eine Zeit, in der Schlaf nichts als Zeitverschwendung ist. Jede Minute zählt. Wie auch sonst sollen 1.300 Seiten zusammengefasst und gelernt werden? Für eine einzige Klausur. Davon gibt es sechs. Aufgeteilt auf zwei Wochen.
Während meines Psychologiestudiums habe ich viel gelernt. Jeder Tag galt einem Wettlauf gegen die Zeit. Ich habe gepaukt, gebüffelt und versucht, mir den Stoff einzuprügeln. Von 7.00 Uhr morgens bis 3.00 Uhr morgens. Dann wieder schlafen. Vier Stunden lang. Verschwendete Zeit. Wirklich?
Schlaf ist wertvolle Arbeitszeit
Irgendwann im dritten Semester – ich starrte wieder auf meine Unterlagen in der Vorbereitung auf eine Klausur – lernte ich etwas über das Gedächtnis. Über die Bildung von Synapsen, also jenen Verbindungen zwischen Neuronen, die entstehen, wenn das Gehirn arbeitet. Diesen Arbeitsprozess nennt man Lernen. Das Gehirn lernt ständig und ein Leben lang. In der Entwicklungspsychologie spricht man daher vom „lebenslangen Lernen“. Unser Oberstübchen leistet dabei allerhand. Es muss neue Eindrücke aufnehmen, bewerten, in Verbindung zu bereits bestehendem Wissen setzen und ins Langzeitgedächtnis transferieren. Das geschieht praktisch ununterbrochen und meist ist uns nicht bewusst, was wir über den Tag hinweg alles Neues gelernt haben. Doch wenn wir abends schlafen gehen, macht das Gehirn nicht einfach Pause. Denn jetzt geht es erst richtig los. Diese nächtliche Arbeit des Gehirns nennt man Konsolidierung.
Die Arbeit unseres Gehirns in drei Stufen
Tagsüber ist unser Gehirn unaufhörlich neuen Reizen ausgesetzt. Die Verarbeitung dieser Reize wird dabei in drei Phasen eingeteilt: In der Lernphase findet die akute Informationsverarbeitung statt. Das führt zu einer ersten, aber noch schwachen, mentalen Repräsentation des Reizes. Psychologen nennen diese Phase Enkodierung. In der zweiten Lernphase, der Konsolidierung, werden diese Gedächtnisrepräsentationen verfestigt, damit sie in der letzten Phase, dem Abruf, erinnert werden können. Wie gut das Gelernte erinnert wird, hängt dabei vom Kontext ab, in dem es abgerufen werden soll. So fällt es uns deutlich leichter, uns an etwas zu erinnern wenn ein entsprechender Hinweisreiz vorhanden ist. Die erste und die letzte Lernphase sind damit gleichermaßen von der Interaktion des Organismus mit seiner Umwelt abhängig.
Unsere inneren Heinzelmännchen
Die nächtliche Arbeit unseres Gehirns stellt also die zweite Phase der Gedächtnisbildung dar: Bereits aufgenommene Informationen werden durch die Konsolidierungsprozesse vertieft, damit sie bei entsprechendem Kontext erinnert werden können. Im Schlaf wird die Konsolidierung optimiert, weil Forscher davon ausgehen, dass die akute Reizverarbeitung beim Enkodieren und beim Abruf auf die gleichen neuronalen Strukturen zurückgreift wie die Konsolidierung. Die Prozesse sind daher weitgehend inkompatibel. Im Schlaf bleibt diese akute Reizverarbeitung jedoch aus und macht Platz für die Konsolidierung. Unsere Gehirnzellen verknüpfen sich dabei zu neuronalen Netzwerken – je stärker vernetzt, desto besser ist das Gelernte repräsentiert. Man spricht hier auch von neuronaler Plastizität. Während wir also gemütlich in unseren Betten liegen und nichts von alledem mitbekommen, rackern unsere Gehirnzellen weiter.
In Kopischs Sage bekam niemand jemals die geheimnisvollen Heinzelmännchen zu Gesicht. Bis die neugierige Schneidersfrau eines Abends Erbsen ausstreute, um die kleinen Hausgeister bei der Tat zu ertappen. Als die Heinzelmännchen ausrutschten und die Schneidersfrau Licht machte, verschwanden alle Heinzelmännchen schnell. In dieser Nacht verließen sie die Stadt und kehrten nie wieder zurück. Die Bürger von Köln mussten fortan ihre Arbeit wieder selbst verrichten.
Die Moral von der Geschicht‘
Ebenso wie mit den Heinzelmännchen verhält es sich mit der nächtlichen Arbeit unseres Gehirns. Es wird niemandem gelingen, seine eigenen Lernprozesse während des Schlafes mit wachem Bewusstsein zu beobachten. Sie finden statt, ohne dass wir etwas davon mitbekommen. Halten wir uns wach, um aktiv diese Prozesse zu überwachen, so werden sie nicht stattfinden. Schlaf ist also alles andere als verschwendete Zeit. Es ist die Zeit unserer inneren Heinzelmännchen – und diese möchten bekanntlich nicht gestört werden!
Mehr zum Thema und weitere spannende Beiträge gibt es auf unserem Blog Under Construction. Außerdem halten wir unsere Leserinnen und Leser auf Facebook und Instagram auf dem Laufenden.
Toller Aspekt des Arbeits-Themas & schön, dass die Erzählung mit eingebunden wurde 🙂 Die Ich-Perspektive ist aus meiner Sicht hier sehr gelungen, sie macht den Text immersiver. Es ist wichtig, sich immer wieder ins Gedächtnis zu rufen, dass Ruhephasen das Lernen noch viel effizienter machen können! Der Text sollte vor der nächsten Prüfungsphase also Pflichtlektüre sein 😉
Interessanter Beitrag zum Thema Arbeit. Tatsächlich denke ich mir manchmal, dass Schlaf verschwendete Zeit ist. Aber mal abgesehen davon, dass der Körper einfach seinen Schlaf braucht, scheint Lernen ja noch effektiver zu sein, wenn man den grauen Zellen ihre Zeit gönnt, das Gelernt zu verarbeiten. Ich werde mich in der kommenden Prüfungsphase also ruhigen Gewissens ins Bett legen können und meine „Heinzelmännchen“ ihre Arbeit verrichten lassen 🙂
Am Wochenende lass ich die Heinzelmännchen immer besonders lange arbeiten!
Schöner Beitrag mit vielen interessanten Aspekten, die ich gerne in der ein oder anderen stressigen Bachelor-Klausurenphase schon gewusst hätte! 🙂 Da werde ich in Zukunft definitiv mehr drauf achten, den Heinzelmännchen auch ja genug „Arbeitszeit“ zu lassen! 🙂
Interessant! Wenn ich mich auf Klausur vorbereiten musste, fand ich auch, es hat die Zeit verschwendet. Aber jetzt nicht mehr, nachdem ich deinen schönen Beitrag gelesen habe:D
So ein schöner Beitrag, Laura! Er hat mich wirklich zum Schmunzeln gebracht und gelernt habe ich auch noch etwas.
Jetzt bin ich abends/nachts immer am produktivsten – Schlafe ich dann schon fast während meiner Arbeit? 😉
Während der Prüfungszeit geht es wohl jedem so. Der Tag hat einfach zu wenige Stunden und dann muss man diese auch noch mit Schlaf „verschwenden“. In diesem Beitrag ist es wirklich super erklärt, weshalb der Schlaf wichtig ist, und keine verschwendete Zeit. Ein Artikel, um das schlechte Gewissen zu beseitigen, wenn man dann doch mal länger schläft als gewollt. Danke dafür!