Die deutsche Gesellschaft wird immer älter und die Pflege immer anspruchsvoller. Es gibt aktuell 600.000 Beschäftigte in der Altenpflege – und trotzdem reden alle vom Pflegenotstand. Ein Blick hinter die Kulissen zeigt die Problematik, den Arbeitsalltag einer Pflegekraft und das Besondere dieses Berufes.
Während die Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland immer weiter steigt, ist der Arbeitsmarkt für Pflegekräfte praktisch leer gefegt. Gesucht werden vor allem Fachkräfte. Der soziale Beruf ist für viele junge Menschen selten eine Option und ältere, überwiegend weibliche Pflegekräfte (84 Prozent) arbeiten in Teilzeit oder wechseln in besser bezahlte Berufe, wie beispielsweise die Pflege in Krankenhäusern. Daraus resultierend steigt die Arbeit für jede einzelne Pflegekraft in Altersheimen enorm.
Die Situation im Seniorenzentrum Haus Raphael
Im Seniorenzentrum Haus Raphael in Oberndorf am Neckar ist laut Yvonne Münch, der Leiterin des Pflegedienstes, jede Pflegefachkraft für 27 der Bewohnerinnen und Bewohner eines Wohnbereiches am Tag zuständig. Es wir immer schwieriger, neben der medizinischen Versorgung dabei noch Zeit für persönliche Gespräche und Probleme aufzubringen, erklärt Münch. Weil alte Menschen in unserer Gesellschaft eher als lästig gelten, ist auch die Altenpflege oft nicht attraktiv. In China beispielsweise wachsen der Respekt, die Wertschätzung und das Ansehen einer Person mit jedem dazugewonnenen Lebensjahr. Münch wünscht sich deshalb vor allem, dass die Gesellschaft der Altenpflege gegenüber offener und die Arbeit der Pflegekräfte mehr geschätzt und gefördert wird. Ma Vosseler, der in der Altenpflege im Haus Raphael tätig ist, will keinen anderen Job machen: „Für mich ist das Besondere am Beruf, dass man Dankbarkeit und Respekt gegenüber einer Generation zum Ausdruck bringen kann, die unheimlich viel mitgemacht und geleistet hat. Von alten Menschen mit so viel Lebenserfahrung lerne ich unheimlich viel für mein eigenes Leben.“
Maßnahmen der Regierung: Die „Konzentrierte Aktion Pflege“
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) möchte den Pflegeberuf ebenfalls attraktiver machen und den Alltag der Pflegekräfte konkret verbessern: 13.000 zusätzliche neue Arbeitsstellen in der Altenpflege werden finanziert. Um diese Stellen jedoch besetzen zu können, fehlt qualifiziertes Personal. Die „Konzentrierte Aktion Pflege“ soll dem entgegenwirken und beinhaltet unter anderem eine bessere Entlohnung und attraktivere Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten, um neue Pflegekräfte anzulocken. Die Vorschläge für bessere Arbeitsbedingungen reichen von einer flächendeckenden Tarifbezahlung über eine Beschränkung von Zeitarbeit und befristeten Verträgen bis hin zu neuen Anreizen für Quereinsteiger. Zudem sollen digitale Technologien die Pflegekräfte im Arbeitsalltag entlasten, beispielsweise bei der Dokumentation und Abrechnung von Pflegeleistungen. Die bessere Bezahlung in der Altenpflege durch die Einführung des Pflegetarifvertrags oder einer Lohnuntergrenze stehen für Union und SPD im Vordergrund: „Wir werden nur mehr Fachkräfte im In- und Ausland gewinnen, wenn wir es an diesem Punkt ernst meinen“, so Arbeitsminister Hubertus Heil. Um die fehlenden Stellen leichter besetzen zu können, soll zudem qualifiziertes Pflegepersonal aus dem Ausland eingesetzt werden. Hierfür sollen ausländische Berufsabschlüsse schneller durch standardisierte Verfahren anerkannt werden. Yvonne Münch aus Oberndorf stellt sich allerdings die Frage, ob es tatsächlich die Lösung des Problems ist, Menschen aus dem Ausland in die Pflegearbeit zu holen.
Im Haus Raphael beginnt der Arbeitsalltag einer Pflegefachkraft in der Frühschicht bereits um 5.45 Uhr und endet nach dem Mittagessen. Natürlich steht die medizinische Versorgung der Bewohnerinnen und Bewohner rund um die Uhr im Vordergrund. Die Pflegefachkraft kümmert sich beispielsweise, während der Essenszeiten, vor allem um die richtige Medikamenteneinnahme. Pflegehelfer, Auszubildende oder Betreuungskräfte unterstützen hingegen bei persönlichen Angelegenheiten der Bewohnerinnen und Bewohner. Am Freitagvormittag können zum Beispiel der regionale Wochenmarkt besucht oder die Besuchshunde Shila und Vin geknuddelt werden. Auch Spielenachmittage, gesellige Abendrunden, Singen oder Wohlfühlangebote wie Handmassagen stehen auf dem Programm.
Die Altenpflege gehört in den letzten Jahren zu den besonders stark wachsenden Dienstleistungsbranchen. Bereits 2015 waren insgesamt knapp 1.1 Millionen Menschen in ambulanten und stationären Pflegediensten beschäftigt – das sind rund 74 Prozent mehr als im Jahr 1999. Über Zeitarbeitsfirmen arbeiten momentan 12.000 Menschen auf Honorarbasis in der Altenpflege. Oft haben sie mehrere Auftraggeber, sind nur an einzelnen Tagen oder befristet für wenige Wochen in einzelnen Altenheimen tätig. Der vorher festgelegte Stundensatz ist meist deutlich höher als das Gehalt einer fest angestellten Pflegekraft. Jedoch macht die Leiharbeit nur zwei Prozent der 600.000 Beschäftigten aus, sodass von einem dramatischen Trend hin zur Zeitarbeit kaum die Rede sein kann. Dafür gibt es andere Probleme: Von den Rund 600.000 Beschäftigten in der Altenpflege sind 313.000 Menschen staatliche geprüfte Fachkräfte, 270.000 arbeiten als Altenpflegehelfer. Der Anteil der An- und Ungelernten unter diesen Hilfskräften ist hoch – 65 Prozent haben gar keine Ausbildung. Und genau hier liegt das Problem: 63 Prozent der offenen Stellen in der Altenpflege richten sich an examinierte Fachkräfte, aber gerade die fehlen.
Die 21-jährige Julia Baur aus Oberndorf hat sich trotz allem für den Beruf im Seniorenzentrum Haus Raphael entschieden: „Ich wollte in die Altenpflege, weil ich Menschen helfen möchte. Den Menschen zu helfen, sie im Alltag zu begleiten und einfach für sie da zu sein, macht für mich den Beruf besonders.“ Die neuen Pläne der Bundesregierung gehen in die richtige Richtung und es wird sich zeigen, ob sich so die Problematik in der Altenpflege beheben lässt.
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In China ist es auch so. Die Zahl der Pflegekräfte sind immer weniger, aber soweit ich weiß, ist das Pflegebedürfnis nicht so groß. Denn die Alten wollen normalerweise nicht ins Altenheim gehen.
Ein sehr wichtiges Thema über das du schreibst. Es muss unbedingt politisch mehr passieren, dass die Pflegeberufe wieder attraktiver werden.