Es ist ein kleiner Laden im Herzen von München. Im Sommer bekommt man hier vor allem Eis, im Winter Crêpes und selbstgemachte Pralinen. Was die wenigsten auf den ersten Blick erkennen: Das Plaisir ist kein „normaler“ Eisladen. Steht ja auch schon auf dem Straßenschild: „Plaisir – das etwas andere Ladencafé“. Einfach nur ein Werbeslogan, um die Konkurrenz auszustechen? Wohl eher kaum. So kann es schon mal sein, dass man hier auf seinen Cappuccino etwas länger warten muss oder von einem besonders schweigsamen Kellner bedient wird. Doch: Was bedeutet dann „etwas anders“? Eine Erklärung findet man auf der ersten Seite der Speisekarte:

„Bei uns wird alles – von Apfelsorbet bis Zitronenkuchen – in liebevoller Handarbeit hergestellt. So ist keine Praline genau wie die andere und doch sind sie alle gleich gut. Weil auch unter uns Menschen keiner exakt dem anderen gleicht, schaffen wir als sozialer Betrieb des Zweiten Arbeitsmarkts seit 2005 einen Rahmen, in dem jeder einzelne in seiner Besonderheit wertgeschätzt und unterstützt wird. Oder wie wir manchmal mit einem Augenzwinkern sagen: „Wir können für nichts garantieren. Weder für den besten Service noch für eine prompte Bedienung. Aber das von Herzen!“

Ein Arbeitsmarkt. Oder zwei?

Das Plaisir – bunt, etwas anders und in jedem Fall auffällig.

„Der Zweite Arbeitsmarkt ist ein geschützter Rahmen, in dem weniger Leistung und Druck als auf dem Ersten Arbeitsmarkt herrschen“, erklärt mir Andrea Staudinger, Psychologin beim Verein Kontakt und Beratung Haidhausen KiD e.V., dem Verein, zu dem auch das Plaisir gehört. Der Erste Arbeitsmarkt ist also der, den wir alle kennen. Als Berufstätiger ist man hier sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Doch wir erleben eine beunruhigende gesellschaftliche Entwicklung seit der Globalisierung, meint Frau Staudinger. Immer schneller, immer weiter und immer mehr Kohle sei die Devise. Da komme einfach nicht jeder mit. „Das war früher anders. Da war es normal, dass es jemanden gab, der halt nicht so belastbar war. Der hat halt dann einen Aushilfsjob gemacht und war trotzdem integriert. Heute erleben wir zwei Parallelwelten“. Damit meint sie den Ersten und den Zweiten Arbeitsmarkt.

Kein Ausweg aus der Langzeitarbeitslosigkeit?

Einrichtungen wie das Plaisir dienen denjenigen, die abgehängt wurden und nun versuchen, wieder auf dem Ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. „Wir wollen Leute wieder arbeitsfähig machen, die einfach mehr Begleitung, Unterstützung und weniger Druck brauchen. Wir wollen ihre Belastungsgrenzen wieder aufbauen und ihnen so helfen, auf den Ersten Arbeitsmarkt zu kommen“. Gründe für eine Beschäftigung auf dem Zweiten Arbeitsmarkt sind dabei „Hemmnisfaktoren“, also beispielsweise mangelnde Sprachkenntnisse oder körperliche beziehungsweise psychische Einschränkungen, wie sie die Mitarbeiter des Plaisirs teilen. Diese Hemmnisfaktoren treiben die Betroffenen in die Langzeitarbeitslosigkeit, aus der sie selbst oft nur schwer wieder rausfinden. In sozialen Betrieben wie dem Plaisir sind die Arbeitsanforderungen niedriger.

Eine gastronomische Mitarbeiterin bei der Arbeit.

Ein Leben am Existenzminimum

Grundvoraussetzung für eine Anstellung am Zweiten Arbeitsmarkt ist der Bezug von Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe. Das soll die Existenz sichern. Das Gehalt auf dem Zweiten Arbeitsmarkt kann man bestenfalls als Taschengeld bezeichnen. „Die Stellen, die wir anbieten, werden entweder vom Jobcenter, dem Bezirk oder dem Sozialreferat bezahlt. Das Jobcenter zahlt 2 Euro die Stunde. Oder wenn die Mitarbeiter über Bezirk oder Sozialreferat kommen, dann sind das bei uns 1,25 Euro plus die Fahrkarte. Man kann das Mehraufwandsentschädigung nennen. Unsere sozialversicherungspflichtigen Stellen werden mit Mindestlohn bezahlt.“ Die gibt es nämlich auch. Jedoch nur wenige. Und selbst für diese Stellen gilt: Mehr als 30 Stunden in der Woche darf nicht gearbeitet werden. Da wird es am Ende des Monats schon mal eng.

Empathie statt Abmahnung

Doch um die Bezahlung geht es nicht vorrangig. Im Vordergrund steht viel mehr, die Mitarbeiter psychologisch und sozial zu betreuen. Das bedeutet einerseits den Ausbau von Belastungsgrenzen, Unterstützung bei der Tätigkeit, aber auch Krisenintervention, wenn es beruflich – und nicht selten auch privat – mal brennt. „Oft geht es um alltagspraktische Dinge: Wie gehe ich mit Problemen in der Arbeit um, wie kläre ich Konflikte mit Kollegen?“ Frau Staudinger und ihr Team sind Ansprechpartner jeder Art. Außerdem bieten sie Kurse an, in denen Basisfähigkeiten wie Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit trainiert werden. Und wenn doch einmal jemand zu spät zur Arbeit erscheint – weil die Depression wieder zu stark war oder die Angst zu groß – dann reagieren Frau Staudinger und ihre Kollegen nicht sofort mit einer Abmahnung, sondern mit einer großen Portion Empathie und halten auch den Kontakt, wenn ein Mitarbeiter mal für längere Zeit in die Klinik muss.

Die Teestube – Treffpunkt und Arbeitsplatz für Psychiatrieerfahrene

Seit über 30 Jahren ist die Teestube Arbeitsplatz und Szenetreffpunkt für Psychiatrieerfahrene.

Das Plaisir gehört zum sozialen Betrieb KontakTee, ebenso wie ein weiterer Laden auf der anderen Straßenseite. Die Teestube ist das ältere Projekt und ein beliebter Szenetreffpunkt für Menschen mit Psychiatrieerfahrung. Für die Mitarbeiter ist die Teestube ein sozialer Betrieb, in dem sie sich ausprobieren und über sich hinauswachsen können. Für die Gäste ist sie ein Ort der Inklusion, entstanden aus der Antipsychiatriebewegung der 1960er und 1970er Jahre, um Menschen mit Psychiatrieerfahrung in die Gesellschaft zu integrieren. Hier begegnet man sich auf Augenhöhe, hört einander zu und zeigt Verständnis. Die Teestube ist an sechs Tagen in der Woche geöffnet und jeden Abend ist ein Psychologe oder Sozialpädagoge vor Ort, um einerseits Ansprechpartner für die Mitarbeiter und andererseits psychosozialer Berater für die Gäste zu sein, die um ein Gespräch bitten.

Menschlichkeit statt Wirtschaftlichkeit

Das Plaisir: Nicht perfekt, aber menschlich.

Auf dem Zweiten Arbeitsmarkt gilt nicht die Prämisse der Wirtschaftlichkeit, sondern der Menschlichkeit, wie Frau Staudinger betont: „Ich mag das Bunte an meiner Arbeit. Es geht nicht um Leistung, sondern mehr um die Person und wie es ihr geht. Das ist manchmal sehr turbulent und man weiß nie, was einen erwartet.“ Man kann bei einem Besuch im Plaisir vieles lernen: Über die eigene Ungeduld, über Vorurteile und Unreflektiertheit, aber auch über Empathie und Menschlichkeit. Und beim nächsten Mal hält man vielleicht einen Moment inne, bevor man sich beim Kellner über den „zu kalten Kaffee“ oder die „zu dünne Apfelschorle“ beklagt und bedenkt, dass auch der Kellner nur ein Mensch ist.

Weitere Informationen und Kontakt findest du auf der Homepage des Vereins.

2 Kommentare
  1. Lioba Wunsch
    Lioba Wunsch sagte:

    Ein sehr schöner und wichtiger Beitrag! Gerade in unserer heutigen Leistungsgesellschaft verliert man häufig aus den Augen, dass es noch etwas abseits vom großen Geld und der Karriere gibt, nämlich die Menschlichkeit, zu der neben Höhen eben nun mal auch die Tiefen gehören. Zwar erhalten diverse Achtsamkeitspraktiken immer mehr Einzug in die Corporate-Welt von heute und der Grundstein für mehr Menschlichkeit am Arbeitsplatz ist damit gelegt, die Grenzen auf dem ersten Arbeitsmarkt sind jedoch immer noch zu schnell erreicht. Dass der zweite Arbeitsmarkt genau hier ansetzt, geschweige denn überhaupt existiert, war mir bisher nicht bewusst. Dein Beitrag zeigt sehr exemplarisch, wie die Wiedereingliederung funktionieren kann und dass auf dem Weg dorthin etwas so Schönes und Kultiges wie das Plaisir entstehen kann.

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