Sag mir, was du arbeitest und ich sage dir, wer du bist. – So das Mantra unserer heutigen Gesellschaft. Arbeit definiert uns, gibt uns eine Identität. Wer nicht arbeitet, der ist nichts. Jede Arbeit ist besser als keine Arbeit, meinen viele. Doch das war nicht immer so: Es gab Zeiten, in denen es angesehener war der Muße nachzugehen als einer Beschäftigung. Begleitet uns auf einen Rundgang durch die Geschichte der Arbeit.
„Arbeit“ ist einer der Begriffe, der sich in unserer Geschichte wohl am häufigsten verändert hat. In jeder Epoche wurde der Begriff anders verstanden. Laut der Historikerin Andrea Komlosy wird damit jedoch immer eine Tätigkeit beschrieben, die zum Überleben oder der Selbstverwirklichung dient. Aber auch die Art, wie wir arbeiten, veränderte sich über die Jahrhunderte stark und wandelt sich selbst heute noch. Das Internet und die globale Vernetzung ermöglichen es uns in vielen Berufen, dass wir nicht mehr wie unsere Großeltern oder Eltern an einen bestimmten Ort gehen müssen, um unsere Arbeit zu verrichten. Wir können unserer Beschäftigung fast überall auf der Welt nachgehen. Dabei ist es egal, ob wir Zuhause auf der Couch sitzen oder im Café um die Ecke – die Digitalisierung macht es möglich. Doch durch diese neuen Arbeitsweisen vermischen sich Arbeit und Freizeit immer mehr, schließlich sind wir rund um die Uhr für unseren Chef oder unsere Kollegen erreichbar und es fällt so immer schwerer, die Grenze zwischen Arbeit und Privatleben zu ziehen. Diese Trennung von Arbeit und Freizeit ist im langen Fluss der Menschheitsgeschichte aber noch nicht alt. Ebenso ist die Idee, dass Arbeit uns ausmacht und uns definiert, eine relativ neue.
Nichtstun als Tugend
Von der Antike bis ins frühe Mittelalter wurde Arbeit als notwendiges Übel angesehen, welches lediglich dem Überleben diente und die Muße ermöglichte. Anders als heute war es im antiken Griechenland erstrebenswert nichts zu tun oder zumindest nicht gegen Bezahlung zu arbeiten. Wer dagegen für Lohn arbeiten ging, war für Philosophen wie Aristoteles unfrei. Lediglich die Arbeit zur eigenen Weiterbildung oder die Teilnahme am politischen Leben waren geachtet. Aufgaben im und ums Haus wurden von Sklaven und Frauen verrichtet.
Im römischen Reich wurde auf körperliche Arbeit zunächst ebenfalls herabgesehen. Auch Cicero betrachtete die Arbeit in einer Werkstatt oder auf dem Markt als etwas Niederes, nicht aber das gesamte Konzept der Lohnarbeit. So gab es einige Berufsfelder, die auch gegen Bezahlung als ehrenwert angesehen wurden: Architektur und Medizin zum Beispiel. Da die Landarbeit als etwas Gestalterisches wahrgenommen wurde, war auch sie bald nicht mehr geächtet.
Die generelle Ablehnung gegenüber körperlicher Arbeit und ihrer Verrichtung lediglich aus einer Notwendigkeit heraus, änderte sich aber auch mit der Ausbreitung des Christentums in Europa zunächst nicht. Gewinnstreben und Habgier galten als Laster, wodurch materieller Wohlstand zum Ausdruck von Sünde wurde. Erst mit der Zeit führte die Entstehung von Zünften in den Städten des 12./13. Jahrhunderts zu einer positiveren Betrachtung des Handwerks. Zugleich erhielt schwere und schlecht oder gar nicht bezahlte Arbeit durch die Kombination „ora et labora“ (Bete und Arbeite) eine Aufwertung, da ihre Verrichtung nun durch einen göttlichen Auftrag begründet werden konnte.
„Der Mensch ist zur Arbeit geboren, wie der Vogel zum Fliegen.“
Einen richtigen Bedeutungsschub erhielt die Arbeit durch Martin Luther im 16. Jahrhundert. Seine Vorstellung von Arbeit prägt die westliche Welt noch heute. Sie wird nicht länger als bloße Überlebensstrategie gesehen, sondern als Berufung. Arbeit gehört seit Luther zu den Hauptaufgaben eines jeden guten Christen.
Ganz im Gegensatz zu den Ansichten in der Antike und dem frühen Mittelalter wurde nun nicht mehr das Arbeiten, sondern das Nichtstun verachtet. Luther schrieb dazu: „Gott will keine faulen Müßiggänger haben, sondern man soll treulich und fleißig arbeiten, ein jeglicher nach seinem Beruf und Amt, so will er den Segen und das Gedeihen dazu geben.“ Diesen neuen, christlichen Arbeitsethos trugen insbesondere die Puritaner in die Welt. Noch heute lässt er sich vor allem in den USA wiederfinden.
Mehr Arbeit, keine Freizeit
Den größten Bedeutungswandel erlebte der Begriff Arbeit durch die Industrialisierung Mitte des 19. Jahrhunderts. Durch den sektoralen Wandel, der Häufung von technischen Neuerungen und dem starken Wirtschaftswachstum änderten sich Gesellschaft und Weltbild rapide. Arbeit wurde in Fabriken und Büros zentralisiert.
Man arbeitete nicht mehr Zuhause, wodurch zum ersten Mal eine strikte Trennung von Arbeits- und Wohnraum stattfand. Diese Entwicklung beschrieb der Historiker Jürgen Kocka in einem Artikel für „Zeitgeschichte-Online“ so: „Die Erwerbsarbeit erhielt ihren eigenen Raum, der ‚Arbeitsplatz‘ entstand.“ Hieraus folgte wiederum die Unterscheidung von Arbeitszeit und Freizeit. Erstmals wurde die Arbeitszeit erfasst. Davor wurde unregelmäßig, abhängig vom Tageslicht, gearbeitet. Ehemals leibeigene Bauern waren nun als freie Lohnarbeiter in Fabriken tätig.
Durch die Trennung von Arbeits- und Wohnraum und der damit einhergehenden Differenzierung von privater und öffentlicher Sphäre ging aber auch die Entwicklung der (leider) noch heute vorherrschenden Rollenbilder einher. Hausfrauen waren abhängig von ihren Männern und deren Lohn. Die Aufgaben, die die Frau im Haus verrichtete, wurden hingegen selten als Arbeit angesehen. Der Begriff „Arbeit“ wird seit dieser Zeit häufig synonym zur außerhäuslichen Erwerbstätigkeit verwendet.
„Die Gesellschaft findet nun einmal nicht ihr Gleichgewicht, bis sie sich um die Sonne der Arbeit dreht.“
Die Industrialisierung änderte die Vorstellung von „Arbeit“ also grundlegend. Auf einen Lohn, der von einer anderen Person gezahlt wurde, angewiesen zu sein, war für die meisten Menschen eine völlig neue Erfahrung. Arbeiter und die Arbeitskraft an sich wurden zur Ware. Durch die anhaltende Mechanisierung gab es bald weniger offene Stellen, wodurch die Fabrikanten nur noch Hungerlöhne zahlten. Die zuvor meist unfreien Bauern wurden nun von ihren neuen Arbeitgebern ausgebeutet. Bald bildeten sich hierdurch Gewerkschaften, welche für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen kämpften. Die Lohnarbeit wurde nun durch Gesetzestexte geregelt.
Bei Karl Marx nahm die Arbeit eine Schlüsselposition ein. In seinen Augen macht sie das Wesen der Menschen aus. Auch wenn er die Art der Arbeit im kapitalistischen System immer wieder stark kritisiert. Berühmt ist die Streitschrift von Marx′ Schwiegersohn Paul Lafargue „Das Recht auf Faulheit“. Im späteren Sozialismus wurde die Arbeit verherrlicht. So wurde in der DDR jedes Jahr ein „Held der Arbeit“ gekürt. Aber auch Westdeutschland kann man nach dem Zweiten Weltkrieg als Arbeitsgesellschaft bezeichnen.
„Stell dir vor, es ist Feierabend und keiner will heim.“
Heute ist Arbeit eine der Eigenschaften, über die wir uns am meisten definieren. Doch auch in den letzten Jahrzehnten änderte sich Arbeit noch einmal grundlegend. Die meisten Menschen sind nicht mehr im industriellen Sektor, sondern im Dienstleistungssektor oder gar im Informationssektor tätig. Und auch Freizeit spielt eine immer wichtigere Rolle. Hierfür werden eine Vielzahl von neuen Arbeitszeitmodellen ausprobiert. Klar, Arbeit ist wichtig, aber es gibt so viel mehr im Leben: Deswegen haltet es doch ab und zu wie die Griechen und tut nur das, was euch gut tut und persönlich weiterbringt.
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Dein geschichtlicher Rückblick auf das Thema Arbeit war wirklich sehr interessant. Deutlich wurde dadurch meiner Meinung nach auch, dass unser heutiges Arbeitsverständnis nicht ewig währen wird. Gerade aus der historischen Sicht bleibt die wirklich spannende Frage – wo geht es als Nächstes hin?