Grün steht für Gesundheit, Natur und Umweltschutz? Von wegen. Hier erzählen wir Euch, wie eine vor fast 250 Jahren erfundene Wandfarbe vielen Menschen den Tod brachte. Sie war giftgrün. Der wahre Übeltäter dabei war die Substanz, aus der die Farbe hergestellt wurde: Arsenit. Um genau zu sein: Kupfer(II)-Arsenit.
Grün gab es schon seit der Urgeschichte als Farbpigment, hergestellt aus natürlichen Substanzen wie Blättern. Aber die gewonnene Farbe war immer stumpf und verblasste leicht. Die Begeisterung war daher groß, als 1778 ein synthetisches Pigment auf den Markt kam, das strahlte und von Textilfärbung bis hin zu Süßwaren-Färbung verwendet werden konnte.
Die vielversprechenden Anfänge
Carl Wilhelm Scheele, geboren in Stralsund, war ein passionierter und fleißiger Chemiker und Apotheker. Neben der bahnbrechenden Entdeckung des Sauerstoffs machte er 1778 die erste synthetische grüne Farbe. Sie wurde Scheeles Grün genannt. Allerdings enthielt sie Arsen. Der Schweinfurter Fabrikant Wilhelm Sattler interessierte sich sehr für chemische Fragen und ließ sich von Scheeles Arbeiten über das arsenhaltige Grünpigment inspirieren. Also machte er 1814 sein eigenes Grün und taufte es Schweinfurter Grün. Die Zusammensetzung dieses Farbpigments entsprach weitgehend der von Scheeles Grün. Schweinfurter Grün war sehr erfolgreich auf dem Markt, wie eine Forscher*innengruppe rund um Sabine Werner in einem Aufsatz über arsenalhaltige Farben im Kulturerbe erläutern. Grund für den Erfolg der Farbe war ihre Leuchtkraft und Brillanz sowie die Tatsache, dass der Farbton gleichblieb, egal ob bei Tages- oder Kunstlicht.
Die Farbe, die alles tun könnte
Schnell wurde die Farbe zu einem modischen Statement – von der zunehmenden Beliebtheit bei der Dekoration von Theatern, Festsälen und Ballsälen bis hin zur Verwendung in Teppichen, Kerzen und sogar Süßwaren wie Bonbons. Giftiger geht es nicht! Es war plötzlich modisch für Frauen, grüne Ballkleider und für Männer, grüne Westen und Krawatten zu tragen. Immer mit dem Giftgrün gefärbt. Zügig erlangte die Farbe weit über die deutschen Länder hinaus Berühmtheit.
Ende des 18. Jahrhunderts hatte sich in Europa die Tapetenindustrie entwickelt. Und natürlich wurde die beliebte Schweinfurter Grüne Farbe für Tapeten populär. Zunächst konnten sich nur die wohlhabenden Adeligen diese neuen Wanddekorationen leisten. Aber durch billige und schnelle Produktion dank Endlospapierrollen fanden die Tapeten ihren Weg auch schnell in die Wohn-, Schlaf- und Arbeitszimmer der weniger wohlhabenden Schichten. Wilhelm Sattlers grün eingefärbten Tapeten waren wohl einer der größten Verkaufserfolge. Im Jahre 1822 erwarb der Unternehmer das nur wenige Kilometer von Schweinfurt entfernte Schloss Mainberg. Und erhielt die Erlaubnis, dort eine Tapetenfabrik zu betreiben, wie der Chemiehistoriker Holger Andreas ausführlich in seinem Aufsatz „Schweinfurter Grün – Das brillante Gift“ erläutert.
Die ersten Wolken am Himmel
Aber es gab ein Problem: die Toxizität von Arsenit. Obwohl dies seit der Antike bekannt war, wirkte es sich nicht negativ auf die Beliebtheit der Farbe aus. Es war bekannt, dass die Einnahme der Substanz schädliche Auswirkungen haben könnte. Aber man isst die Farbe an den Wänden oder auf dem gefärbten Kleidungsstoffen ja nicht. Und kein Mensch ging davon aus, dass das Gift auch über die Atemwege in den Körper gelangen könnte. Die erste Warnung über die Gesundheitsschäden veröffentliche 1839 der Medizin- und Chemieprofessor Leopold Gmelin in einer Karlsruher Zeitung. Seine Vermutung konnte zu dieser Zeit zwar nicht bewiesen werden. Sie löste jedoch lange Diskussionen über die Gefahren des synthetischen arsenhaltigen Grüns aus.
Erst viel später wurde festgestellt, dass nach dem Auftragen der arsenhaltigen Farbe eine chemische Reaktion mit Feuchtigkeit stattfindet. Dadurch entstehen giftige Dämpfe von Arsenverbindungen. Kleine Flöckchen können auch in die Luft freigesetzt werden und dann schädlich wirken.
In 1855 berichteten die „Herren Doktor F. Müller und Chr. Fabian“ des Augsburger Krankenhauses in den Sitzungsberichten der Bayerischen Akademie der Wissenschaften von erkrankten Kindern, die in der örtlichen Einrichtung für Taubstumme lebten. Alle Räume waren in den Herbstferien grün gestrichen worden. Nach ihrer Rückkehr wurde mehr als die Hälfte von ihnen schwer krank. Er schrieb: „Sie wurden bleich, die Eßlust war gemindert, große Abmagerung folgte, die Pulse wurden klein und schwach, bei mehreren Zöglingen stellte sich Brechreiz, dann Kolik und Durchfall ein. Bei drei Patienten traten Schwindel, Kopfleiden und ein derartiges Anschwellen des Körpers auf, so daß bei ihnen der Tod zu befürchten war.“
Die Gefahr ist noch nicht vorbei
Der Prozess der Aufklärung, dass das schöne Giftgrün tatsächlich Menschen vergiftet, wurde verlangsamt, da viele Ärzte immer noch skeptisch waren. Denn viele hatten wiederholt Patienten mit vollkommen gesunden Familienmitgliedern behandelt. Obwohl Kranke und Gesunde die gleichen tapezierten bzw. bemalten Räume teilten. Erst später wurde klar, dass die identische Menge an Aufnahme nicht auf alle Menschen die gleiche Wirkung haben muss. Dieselbe Menge, die für Kinder oder ältere Menschen tödlich sein kann, kann bei gesunden Erwachsenen ungefährlich sein.
Was nun?
Nach der Reichsgründung im Jahr 1871 griff das Reichsgesundheitsamt das Problem mit dem Schweinfurter Grün erneut auf. Wegen der zunehmenden Zahl der gemeldeten Krankheiten wurde 1879 ein Gesetz erlassen, das jedem, der solche Tapeten herstellte, verkaufte oder auf andere Weise in Umlauf brachte, mit Gefängnis drohte. Auch wenn der Verkauf von Schweinfurter Grün als Tapete und Anstrich nach der Einführung dieses Gesetzes zurückging, stieg die Zahl der Erkrankungen bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts weiter an. Es waren schon viel zu viele Wohnungen gestrichen und viel zu viele Wänden mit dem geliebten Grün bereits tapeziert worden. Zudem war die ordnungsgemäße Entsorgung der betroffenen Bauteile ziemlich teuer und zeitaufwendig.
Es dauerte fast 50 Jahre von den ersten Berichten über Vergiftungen durch Giftgrün bis zum endgültigen Verbot arsenhaltiger Pigmente für Tapeten und Innenfarben. Und anschließend, um die 1940er Jahre herum, bekam die synthetische Substanz, die unter vielen Namen wie Scheeles Grün, Schweinfurter Grün, Paris Grün, Smaragdgrün, Schloss Grün bekannt war, einen neuen Namen (und Anwendung): Insektizid.
Und wie sieht es heute aus?
Man sollte nun jedoch nicht anfangen, sich über die überall vorhandene künstliche grüne Farbe Sorgen zu machen. Die verschiedenen Grüntöne, die wir heute in Innenräumen um uns herum sehen, sind mittlerweile völlig harmlos und frei von Arsen. Auch wenn einige Töne immer noch als Giftgrün bezeichnet werden.
Arsenhaltige Farbe am Kulturerbe
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Interessant, wie sich die Bedeutung der Farbe oder die Assoziationen damit im Laufe der Zeit geändert haben!
Ich habe schon vom Schweinfurter Grün gehört, aber bis vor ein paar Minuten kannte ich die Geschichte dazu nicht. Schöner Beitrag!
“ Obwohl dies seit der Antike bekannt war, wirkte es sich nicht negativ auf die Beliebtheit der Farbe aus. Es war bekannt, dass die Einnahme der Substanz schädliche Auswirkungen haben könnte. Aber man isst die Farbe an den Wänden oder auf dem gefärbten Kleidungsstoffen ja nicht.“ Der Mensch will halt leider doch immer die Dinge, von denen er weiß, dass sie ihm nicht gut tun 🙂 Ich fand den Beitrag richtig spannend! Ich habe davon schon gehört, aber mir war nicht bewusst, wie viel Geschichte dahintersteckt und dass die Leute buchstäblich Arsen auf der Haut trugen. Richtig interessanter Beitrag zu einem absurden Stückchen Geschichte!
Richtig spannender Beitrag! Ich hatte noch nie davon gehört und fand es total interessant zu lesen. Mir gefällt vor allem, dass du die alte Karikatur gefunden und mit reingepackt hast.