Für den Künstler Ottmar Hörl, der hauptberuflich Figuren von Beethoven bis Thunberg klont, ist Kunststoff unerlässlich. Mit uns sprach er über 250 Hölderlin-Skulpturen und seine Kunst aus Plastik. Außerdem erklärt er, was Kunststoff mit Teilhabe zu tun hat und warum es für ihn keine Alternative gibt.
Wenn man im Oktober 2020 durch Tübingen spazierte, begegnete man dabei Friedrich Hölderlin. 250 Hölderlinen, um genau zu sein: Tübingens bekanntester Dichter wurde zu seinem 250. Geburtstag mal eben vervielfältigt. In Grün, Gold, Schwarz und Blau ließen sich die Plastik-Doppelgänger auf der Neckarbrücke oder vor der Stiftskirche bestaunen. Dafür verantwortlich war der Installationskünstler Ottmar Hörl, den die Stadt Tübingen und die Galerie Art 28 für das Projekt gewinnen konnten. Die Installation trug den Namen „Pallaksch, Pallaksch!“ (eine Wortschöpfung Hölderlins, die sowohl „ja“ als auch „nein“ bedeuten konnte) – diese Kunst aus Plastik sollte Hölderlin für die Menschen heute (be)greifbar machen.
Herr Professor Hörl, die Ausstellung „Pallaksch, Pallaksch!“ 2020 in Tübingen war speziell Friedrich Hölderlin gewidmet. Warum sollten wir uns gerade an Hölderlin erinnern?
Hölderlin war eine wichtige Persönlichkeit für Deutschland. Er war ein Vorkämpfer der Revolution 1848, die leider gescheitert ist. Er stellte als Intellektueller die Vormachtstellung einer degenerierten Adelsgesellschaft in Frage und warf wichtige Fragen auf: „Was ist Freiheit für mich und die Gesellschaft? Was ist Demokratie?“ Hölderlin hat Dinge gedacht, die man damals nicht denken durfte. Er ist für große Ideen große Risiken eingegangen. Seine spröde Dichtung sagt uns heute vielleicht nicht mehr viel, aber als Menschen halte ich ihn für wichtig.
Was wollten Sie mit der Installation erreichen?
Ich möchte die Menschen dazu anregen, sich mit Geschichte auseinanderzusetzen, denn ohne Geschichtsbezug können wir uns als Gesellschaft nicht weiterentwickeln. Welche Personen bringen außergewöhnliche Leistungen unter schwierigen Umständen? Welche Personen verändern unsere Gesellschaft, entwickeln sie weiter? Solchen Menschen setze ich gerne ein kleines Denkmal mit meinen Installationen. Die meisten Leute wollen etwas aus ihrem Leben machen. Diese Personen sind beispielhaft dafür, dass das auch möglich ist.
Wie blicken Sie nach zwei Jahren auf das Projekt zurück?
Die ausgestellten 250 Figuren haben wir verkaufen können, darüber hinaus bestellt niemand den Hölderlin. Damit hab ich etwa 0,1 Prozent der Tübinger erreicht, die Hölderlin interessant genug fanden, um ihn mit nach Hause zu nehmen. Das ist besser als nichts, aber im Vergleich zur großen Bedeutung, die Hölderlin für die Stadt hat, war das Projekt eher ein Misserfolg. Das allgemeine Interesse an der Figur ist leider nicht gestiegen.
Woran lag das?
Ich glaube, die Tübinger identifizieren sich nicht so mit Hölderlin wie die Nürnberger sich mit Albrecht Dürer oder die Aachener sich mit Karl dem Großen. Vielleicht hätte ich Boris Palmer machen sollen, da hätte ich wenigstens schlechte Kritiken bekommen. So habe ich überhaupt keine bekommen (lacht). Aber vielleicht lag es auch an mir und ich habe die Figur einfach nicht interessant genug dargestellt. Ob etwas funktioniert, weiß man immer erst im Nachhinein, Scheitern gehört in der Kunst dazu.
„Kunststoff ist der Kitt unserer Gesellschaft“
Die Hölderlin-Figuren bestehen wie ein Großteil Ihrer Kunst aus Plastik. Was ist das Besondere an diesem Material?
Kunststoff ist eine der genialsten Erfindungen, die wir je gemacht haben. Ohne diese Erfindung hätten wir heute ein echtes Problem, unsere Gesellschaft hätte sich niemals so entwickeln können. Kunststoff ist der Kitt unserer Gesellschaft, auch an Stellen, wo wir ihn nicht mehr wahrnehmen. Ohne Kunststoff würden wir noch mit Steinmeißeln operieren, ohne Kunststoff müssten drei Viertel aller Menschen nackt rumlaufen, denn nicht jeder kann sich Kaschmirpullover leisten. Autos könnten ohne Kunststoff nicht fahren und Flugzeuge nicht fliegen.
Was macht den Kunststoff so wichtig für Ihre Kunst? Ihre Figuren müssen ja nicht fliegen können.
Ohne die Idee des Kunststoffes könnte ich meine Arbeit gar nicht machen. Ich bin wahrscheinlich der einzige Künstler auf der Welt, der Kunststoff so vehement verwendet, weil es bei mir um serielle Konzeptionen geht. Viele meiner Projekte sind große Installationen für den Außenraum mit bis zu 10.000 Figuren. Wenn ich die aus Bronze oder Aluminium machen würde, würde das Millionen kosten, das wäre finanziell nicht möglich. Ich müsste anfangen, nur noch Einzelskulpturen zu machen. Aber die serielle Idee ist für mich sehr wichtig, denn sie bedeutet Teilhabe.
Das heißt, jeder soll sich Hörl-Figuren leisten können?
Ja, das ist mir sehr wichtig, weil sie sonst niemanden erreichen und nicht kommunizieren. An meiner Kunst soll jeder teilnehmen können, denn das ist das Grundprinzip der Demokratie. Eine Gesellschaft ist erst dann demokratiefähig, wenn ihre Mitglieder in allen Bereichen des alltäglichen Lebens teilnehmen können – das gilt für Bildung ebenso wie für Kultur. Deshalb dürfen Theaterkarten, Museumstickets und eben auch meine Skulpturen nicht überteuert sein, sonst schließt man automatisch Menschen aus.
„Ein Hörl-Gartenzwerg landet nicht im Meer“
Tübingen versucht gerade, durch eine Verpackungssteuer plastikfreier zu werden. Wie passt das Ihrer Meinung nach zu einer Marketingaktion für die Stadt, die aus Plastikfiguren besteht?
Das sind verschiedene Arten von Plastik. Auf der einen Seite haben wir fragwürdige Kunststoffe, dünne Plastikteile wie Frischhaltefolien und Plastiktüten, die sich sofort zersetzen und zu Mikroplastik werden. Mikroplastik ist so gefährlich, weil man es nicht mehr sehen kann, denn dann kann man sich nicht mehr dagegen wehren. Es landet im Meer und dringt in andere Organismen ein.
Meine Figürchen dagegen braucht man nicht zu bekriegen. Ein Hörl-Gartenzwerg landet nicht im Meer, er wird aufgestellt und dann wird drauf aufgepasst. Draußen hält er 100 Jahre, drinnen vielleicht sogar 1000. Dann wird er spröde und zerfällt irgendwann wieder in seine Bestandteile, aber Mikroplastik entsteht dabei eher nicht.
Haben Sie trotzdem je darüber nachgedacht, ein umweltfreundlicheres Material als Kunststoff zu verwenden?
Natürlich, aber es gibt keine Alternative. Wenn es ein Material gäbe, das genauso günstig, langlebig und wetterbeständig wäre wie Kunststoff, dann hätte ich das schon längst. Aber im Moment haben wir keinen Ersatzstoff, der unschuldig, rein und sauber ist.
Wenigstens tun meine Figuren nicht so, als wären sie irgendetwas anderes als Plastik. Und wenn das jemand nicht mag, ist das in Ordnung. Man muss es ja nicht kaufen.
Ihre aktuelle Installation in Schweinfurt heißt „Plan B“. Darin geht es unter anderem um unseren Umgang mit dem Planeten. Wie sehen Sie das Thema Umweltschutz?
Ich liebe die Natur und halte es für eine gute Idee, auf die Umwelt zu achten. In der neuen Ausstellung sieht man neben Greta Thunberg, dem „Gewissen der Welt“, Raumfahrer, die der Erde „Goodbye“ sagen. Das ist natürlich ironisch, denn es gibt keinen zweiten Planeten, wenn wir diesen zerstört haben.
Aber die ganze Sache mit dem Umweltschutz ist so komplex, dass unsere Welt nicht mehr mit einfachen Mitteln zu retten ist. Wir wissen nicht, was wir zuerst bekämpfen sollen. Plastik? Wir wissen ja gar nicht mehr, wo Plastik überall drin ist. In der Kleidung, der Acrylfarbe, im Kühlschrank. Worauf können wir verzichten, ohne uns neue Probleme zu schaffen?
Noch dazu wird die Welt immer ärmer, aber Umweltschutz ist teuer. Deshalb brauchen wir intelligente Menschen, die unsere gesellschaftlichen Strukturen grundlegend verändern. Doch das wird dauern. Die grüne Bewegung ist ein guter erster Schritt, aber wir dürfen das Problem nicht abwimmeln, auch wenn es unangenehm wird.
© Titelbild von Ottmar Hörl und Hölderlin-Bild: „Pallaksch, Pallaksch!“. Hölderlin-Skulpturen-Installation in Tübingen, 2020. www.ottmar-hoerl.de. Foto: Michael Kleß / Art28
© Thunberg-Bild: „Ottmar Hörl – Plan B“, Ausstellung in Schweinfurt, 2022. www.ottmar-hoerl.de. Foto: Jürgen Schabel
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