Im Jahr 2009 vermuteten Millionen Iraner*innen Manipulation bei den Präsidentschaftswahlen und schlossen sich zu Massenprotesten zusammen. Ganz vorne dabei: die Farbe Grün. Ein persönlicher Bericht über eine Farbe der Hoffnung, einen inhaftierten Präsidentschaftskandidaten, eine tödlich angeschossene Demonstrantin und die Frage, was von der grünen Bewegung noch übrig ist.
Die grüne Bewegung entwickelte sich 2009 als Antwort auf die internationale Politik des iranischen Präsidenten Mahmood Ahmadinejad. Verschiedene gesellschaftliche Gruppen, insbesondere die Intellektuellen, Student*innen und auch die Mittelschicht, waren über das gesunkene internationale Prestige Irans und die Misswirtschaft des Präsidenten seit 2005 frustriert.
Die Gegner*innen seiner Politik sahen die anstehende Präsidentschaftswahl als eine Chance, das Land in eine andere, bessere Richtung zu bewegen. Deshalb hatten sie ihre politischen Aktivitäten vor der Wahl von 2009 zusätzlich verstärkt. Auch der Amtsvorgänger von Ahmadinejad wurde zum Befürworter der grünen Bewegung und sah Chancen für den gemäßigten Präsidentschaftskandidaten Mir Hossein Mousavi. Der Amtsvorgänger unterstützte Mousavi symbolisch mit einer öffentlichen Inszenierung, indem er ihm ein grünes Tuch überreichte. Von da an gewann die Farbe Grün eine neue Bedeutungsdimension für die Iraner*innen und das Land.
Ahmadinejad konnte schließlich die Präsidentschaftswahl (wohl) auf demokratische Weise für sich entscheiden. Die Bekanntgabe des Wahlsiegs Ahmadinejads löste bei einem Teil der Wähler*innen lautstarke Empörung aus. Als Reaktion forderten Massenproteste die Islamische Republik heraus. Millionen Teilnehmer*innen verliehen den grauen Straßen mit ihren grünen Protestschildern Farbe. Zusammen mit den Reformer*innen wurde die Regierung des Wahlbetrugs beschuldigt. Die grüne Bewegung und der redegewandte Mousavi mit dem grünen Band auf seinen Schultern gingen über Social-Media viral und färbten die Gesamtstimmung im Land.
Hausarrest und hohe Kosten
Die Antwort der Regierung ließ nicht lange auf sich warten. Mousavi und weitere Personen der Bewegungsführung wurden unter Hausarrest gestellt. Mit ihrer Inhaftierung stand die grüne Bewegung wachsenden Herausforderungen gegenüber. Solchermaßen führungslos driftete sie auseinander, die Organisation ließ nach und hatte zudem mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen. Hohe Kosten entstanden während der ständigen Selbstverwaltung und aufgrund der Tatsache, dass sie ihre Forderungen über mehrere mediale Kanäle kundgetan haben. Schließlich löste sich die grüne Bewegung Dezember 2009 auf.
Inwiefern ist die grüne Farbe verblasst? Schauen wir uns zwei wissenschaftliche Beiträge an, die sich mit dem Phänomen der grünen Bewegung beschäftigt haben. Seyed A. Niakooee ist Politologe an der nordiranischen Universität von Guilan. In seiner Publikation von 2020, „Explaining the Crisis of the Green Movement in Iran (2009-2017)“, stützte er sich in erster Linie auf die Reden des Kopfs der Bewegung, Mir Hossein Mousavis, sowie auf Slogans der grünen Bewegung. Sein Schluss: Je heftiger die rhetorische Konfrontation der Bewegung mit der gesamten Regierung wurde, desto gewaltvoller folgten die Reaktionen der mächtigen islamischen Institutionen. Bei dieser Hin-und-Her-Bewegung habe die grüne Bewegung nur verlieren können. Die grüne Farbe verlor ihre Intensität.
Seine wissenschaftliche Kollegin Elisabeth J. Yarbakhsh stimmt ihm in dem Bedeutungsverlust der Farbe Grün nur teilweise zu. Als Forscherin ist sie am Zentrum für Arabische und Islamische Studien an der Australian National University wissenschaftlich tätig. In „Green martyrdom and the Iranian state“ beschreibt sie die Macht von Symbolen. Ihr Fazit lautet: Symbole verlieren nicht gänzlich an Bedeutung.
Neda als Gesicht der grünen Bewegung
Das wichtigste ‚grüne Symbol‘ ist wohl Neda Agha-Soltan, die im Iran nur unter ihrem Vornamen bekannt ist. Während die staatliche Medienfläche keinen Platz für die grüne Bewegung hatte, stellte ihr die Social-Media-Landschaft eine breite Vernetzungswiese zur Verfügung. Die iranische Regierung hatte bis dahin mit diesem Kommunikationskanal nur am Rande Erfahrungen gemacht. Die junge Studentin Neda konnte sich zu Beginn der Proteste bereits ein Bild von der Gesamtstimmung machen. „Where is my vote“? Überall grüne Schilder und Fahnen. Stimmen aus den Massenprotesten, die wissen wollen, wo ihre demokratischen Stimmen bleiben. Stimmen, die scheinbar zu laut wurden. Die Regierung griff zu immer härteren Maßnahmen. Das hatte aber die Teilnehmer*innen und insbesondere auch Neda nicht davon abgehalten, immer wieder auf Demonstrationen zu gehen.
Am 20.Juni.2009 ging Neda nach der Uni auf eine Demo und erhob zum letzten Mal ihre Stimme. Von diesem Tag an sollte sie zum Gesicht und zur Märtyrerin der grünen Bewegung werden: eine junge Studentin, die im Tumult einer friedlichen Demonstration tödlich angeschossen wurde. Das Bild der Schwerverletzten – inmitten der grünen Bewegung – wurde auf Videos festgehalten, ging über Social-Media viral und färbte von dort an die grüne Farbe mit roten Flecken.
Intensität der grünen Farbe
Nach meinem letzten Besuch in der Hauptstadt und zwei weiteren Großstädten von Iran kann ich mich der Meinung anschließen, dass die grüne Farbe ihre Intensität verloren hat, aber nicht gänzlich verblasst ist. Bei den Gesprächen mit den Einheimischen ging es meist in der Essenz darum, wie frustriert sie über die Regierung, die wachsende Misswirtschaft und das sinkende Prestige sind. Gleichzeitig hatten sie klare Vorstellungen: zum Beispiel von Handelspartnerschaften „wie in der EU“. Es erschien mir so, als sei die physische grüne Bewegung von den Straßen vertrieben. Doch der Geist der grünen Bewegung und die Hoffnung für eine bessere Zukunft blüht scheinbar noch in ihnen. Die Frustration gegenüber der Regierung und die demokratische Forderung nach gerechten Wahlen sind nach wie vor präsent – und so auch das symbolische Erbe Nedas.
Ob die grüne Bewegung wieder aufblüht? Die Regierung Irans hat Anfang 2020 den versehentlichen Abschuss eines Passagierflugzeugs über iranischem Boden tagelang verleugnet und erst dann eingeräumt. Danach folgte eine Reihe an Massenprotesten mit wütender Kundgebung. Die Demonstrant*innen bezeichneten die Regierung als Lügner und forderten die Verantwortlichen zum Rücktritt auf. Offensichtlich kann die grüne Bewegung wieder aufblühen und sich in Zeiten von Social-Media auch weiterhin schnell mobilisieren. So scheint ist die grüne Farbe des Protestes nicht gänzlich verblasst. Dennoch wurden die Demonstrationen, laut der Nachrichtenagentur Agence des feuilles politiques (AFP), von der Polizei aufgelöst. Auch offensichtlich: Die Regierung hat auch dieses Mal eine weitere Machtdemonstration nicht verpasst.
Titelbild © Roham Bahramian
Illustrationen © Mona Shafer Edwards
Wie auch beim Libyen-Beitrag war mir nicht bewusst, wie viel diese Farbe politisch bedeutet außerhalb der klassischen grünen Parteien. Das war wirklich spannend zu lesen und ich fand auch die bildliche Untermalung sehr schön eingesetzt.
Eine schöne Übersicht über die Ereignisse eines sehr komplexen Themas. Schön umgesetzt 🙂