Ein eiskalter Luftzug durch das offene Fenster oder gar ein dumpfes Klopfen an der beschlagenen Scheibe: Das Fenster ist ein beliebtes Motiv im Horrorfilm. Anhand von Film-Klassikern gehe ich der Frage nach, wie Regisseur*innen das Fenster im Horrorfilm einsetzen, um die Zuschauer*innen das Fürchten zu lehren.
Ich gebe es zu – ich grusle mich gerne. Dafür reicht meist ein kurzer Blick in das Politik-Ressort der Tageszeitung. Alternativ bleibt mir das Anschauen guter Horrorfilme, von denen es leider viel zu wenige gibt. Allein die Vorstellung, in einer verregneten Sommernacht mit schwerer Decke im Bett zu liegen und einen Gruselfilm auf der Heimkinoanlage anzugucken, lässt meinen Puls in die Höhe springen. Gelegentliche Blicke zum offenen Fenster meines Zimmers verraten irrationale Gedanken: Könnte sich das grauenhafte Monster hinter dem halb zugezogenen Vorhang verbergen? Als leidenschaftlicher Horrorfilm-Junkie kam mir in einer dieser besagten Nächte der Gedanke, ob Regisseur*innen das Motiv des Fensters möglicherweise gezielt nutzen, um uns ins Schaudern zu bringen. Wie und mit welchen Bedeutungen es eingesetzt wird, möchte ich anhand mehrerer Film-Klassiker des Genres herausfinden. Also, einmal tief durchatmen, mich erwarten lange Nächte des Gruselns.
The Exorcist (1973)
Zunächst will ich wissen, wie das Motiv des Fensters zum Aufbau einer unheimlichen Atmosphäre beitragen kann. Nachdem ich zahlreiche Horrorfilme aus verschiedenen Jahrzehnten gesichtet habe, bin ich auf einen geeigneten Kandidaten für meine Analyse gestoßen – den Kult-Horrorfilm The Exorcist von Regisseur William Friedkin. Er gilt unter einschlägigen Kritiken als einer der prägendsten Filme des Genres und sorgte damals aufgrund seiner makabren Szenen für eine Welle der öffentlichen Empörung. In dem verstörenden Film geht es um das junge Mädchen Regan (Linda Blair), das von einer dämonischen Macht besessen ist. Die Mutter wendet sich in ihrer Verzweiflung an zwei Geistliche, die den Versuch unternehmen, den Dämon aus dem Körper des Mädchens zu vertreiben.
In einer Szene betritt die Mutter das Zimmer der bettlägerig gewordenen Regan und stellt fest, dass das Fenster weit offensteht. Durch dieses fallen die Strahlen des bläulichen Mondlichts in den Raum und enthüllen die Silhouette des Mädchens unter der Bettdecke. Gespenstisch weht der Vorhang im Wind, was uns die eisige Kälte im Zimmer verdeutlicht. Der Anblick lässt nicht nur die Mutter, sondern auch uns frösteln.
Im späteren Verlauf des Filmes macht sich einer der beiden Geistlichen mit dem Taxi auf den Weg zum Anwesen der Familie. Ein schwerer, dichter Nebel liegt auf den Straßen der Stadt und schafft dadurch eine beklemmende, szenische Atmosphäre. Als der Mann aus dem Auto steigt, richtet sich sein Blick auf das Fenster von Regans Zimmer. Das Licht, das durch die geschlossene Vorhänge dringt, lässt den Nebel im Hof aufleuchten. Der Einsatz von Licht und Schatten richtet unsere Augen auf die Figur des Priesters und verdeutlicht dessen Bedeutung für den bevorstehenden Exorzismus.
Hush (2016)
In vielen Horrorfilmen überprüfen Protagonist*innen bei aufsteigendem Unbehagen, ob alle Türen und Fenster fest verschlossen sind. Das ist verständlich, denn eine schützende Scheibe trennt uns vor den Schrecken der Nacht. Das Fenster dient als Ein- und Austrittspunkt des Grauens, wie auch im Horrorthriller Hush. Die Geschichte dreht sich um Maddie Young (Kate Siegel), eine taubstumme Schriftstellerin, die nachts von einem maskierten Mann (John Gallagher Jr.) heimgesucht wird. Dieser betreibt dabei ein perfides Katz- und Maus-Spiel um ihr Landhaus. Bevor Maddie auch nur ahnen kann, was vor sich geht, ersticht der Mann ihre beste Freundin vor der verglasten Balkontür des Hauses.
Das Landhaus im Film besitzt zahlreiche Fenster, die uns einen Blick auf die abgelegene Lage inmitten eines Waldes ermöglichen. Hier geben die Fenster der Protagonistin die Möglichkeit, die Handlungen des Mörders zu beobachten. In einer Szene versteckt sich Maddie in einem Nebenzimmer und kauert sich neben einem der Fenster nieder. Als ein Schatten in das Zimmer geworfen wird, kann sie trotz ihrer Angst nicht widerstehen, nachzuschauen. Durch das Fenster erblickt sie den Mörder, der mit der Hand ihrer getöteten Freundin gegen die Fensterscheibe schlägt. Er will ihr zeigen, dass er genau weiß, wo sich Maddie befindet. Das Fenster können wir als Symbol des inneren Konflikts von Maddie interpretieren. Indem sie durch sie hindurchblickt, kann sie versuchen, die Situation einzuschätzen, läuft gleichzeitig aber auch Gefahr, dass der Mörder sie entdeckt.
In der Mitte des Filmes schreibt Maddie aus purer Verzweiflung mit einem Lippenstift die Worte „WONT TELL. DIDNT SEE FACE. BOYFRIEND COMING HOME.“ auf eine der großen Fensterscheiben. Mit einer Taschenlampe leuchtet sie durch die Scheibe in die dunkle Nacht und lässt so das Geschriebene aufleuchten. Auf ihre Bitte, dass der Mörder von ihr ablässt, verdeutlicht er seine Absicht, indem er die Maske abnimmt. Das Fenster zeigt uns den Mörder hautnah und ermöglicht Maddie eine vermeintlich sichere Kommunikation mit ihm. Die Armbrust des Mörders als Waffe kontextualisiert allerdings, dass diese Sicherheit äußerst fragil ist und das Fenster jederzeit als Eintrittspunkt genutzt werden kann.
Room 1408 (2007)
Hush zeigt uns, wie Fenster eingesetzt werden, wenn das Böse des Filmes dahinter lauert. Was aber, wenn sich eben jenes im eigenen Raum befindet? Im US-amerikanischen Spuk-Film Room 1408 wird meine Überlegung auf die Spitze getrieben, denn der Antagonist des Filmes ist der Raum selbst. Die Story basiert auf einer Kurzgeschichte von Stephen King. Der Schriftsteller und Kettenraucher Mike Enslin (John Cusack) möchte den Gerüchten eines angeblichen heimgesuchten Hotelzimmers in der New Yorker Innenstadt nachgehen. Darin sollen bereits 56 Gäste auf mysteriöse Art ums Leben gekommen sein. Trotz der Warnungen des Hotelmanagers (Samuel L. Jackson) mietet sich Mike in das Zimmer im 14. Stock ein. Der Beginn paranormaler Ereignisse lässt nicht lange auf sich warten.
In Room 1408 spielt das Fenster eine zentrale Rolle für die Erzählung des Filmes und erhält dabei mehrere symbolische Bedeutungen. Am Fenster beginnt der Spuk des gewaltsamen Geistes, der dem Zimmer innewohnt. Kurz nachdem Mike eingezogen ist, lehnt er sich aus dem Fenster des Zimmers, um auf die belebten Straßen der Stadt herabzublicken. Als er in den Raum zurückkehrt, schließt sich das Fenster plötzlich mit großer Wucht und klemmt dabei Mikes Hand so fest ein, dass dieser blutüberströmt zurücktaumelt. Uns wird dabei deutlich: Der Protagonist wird dieses Zimmer nicht mehr so schnell verlassen.
Das Fenster im Film können wir als symbolischen Schauplatz für den zunehmenden Wahnsinn und die Paranoia der Hauptfigur interpretieren, die durch das Treiben des Zimmers verursacht werden. Mike erblickt immer wieder Halluzinationen verstorbener Hotelgäste am Fenster, die sich anschließend durch dieses in den Tod stürzen. In seiner Verzweiflung erscheint auch Mike der Sprung aus dem Fenster als die schmerzloseste Option.
Das Fenster erscheint zugleich als Symbol der Hoffnung, dem Grauen des Zimmers doch noch entfliehen zu können. In einem verzweifelten Versuch klettert Mike aus dem Fenster, um über einen Vorsprung das nächstgelegene Zimmer zu erreichen. Doch das Verblassen der Realität rüttelt auch an den Grundfesten des Hotels selbst. Anstelle eines Fensters zeigt sich eine endlos lange, graue Hauswand. Eine Flucht ist unmöglich.
An einer anderen Stelle kommt Mike die Idee, einen Mann durch das Fenster des gegenüberliegenden Gebäudes auf seine Situation aufmerksam zu machen. Der Mann, der anfangs lethargisch an seiner Zigarette raucht, beginnt plötzlich, die Bewegungen von Mike zu imitieren. Mike wird misstrauisch und leuchtet sich mit einer Tischlampe ins Gesicht. Auch das Gesicht seines Gegenübers wird dadurch beleuchtet und enthüllt, dass es sich um Mike selbst handelt – ein wahrlich schauderhafter Moment. Das Fenster, das ursprünglich als Symbol der Hoffnung auf Flucht diente, verdeutlicht ihm und uns erneut, dass er sich in einer ausweglosen Situation befindet.
Den Höhepunkt des Filmes erreichen wir, als Mike sich bewusst wird, dass er das Zimmer nicht lebend verlassen wird. Darauf trifft Mike die Entscheidung: Wenn er sterben muss, wird er wenigstens den Geist des Zimmer mit sich nehmen. Mit einem selbst gebauten Molotov-Cocktail zündet er einen Teil des Zimmers an und wirft darauf das Fenster ein. In einer heftigen Explosion gehen er und das Zimmer in Flammen auf. Das Fenster markiert den Anfang des Schreckens und beendet es, in dem es zerstört wird.
The Exorcist, Hush und Room 1408 – die Filme geben uns einen Einblick, welche vielfältigen Rollen das Fenster als Motiv im Horrorfilm einnehmen kann. Es kann dazu dienen, eine gespenstische Atmosphäre zu verstärken, die Erzählung zu unterstützen oder als Symbol für innerer Konflikte eingesetzt werden. Manchmal verwenden es Regisseur*innen sogar als zentrales Leitmotiv. Die Liste der Horrorfilme, die ich noch anschauen werde, ist lang, und weitere Erkenntnisse zum Fenster stehen noch aus. Für die kommenden Nächte reicht es mir jedoch vorerst. Eine Überlegung will ich zum Schluss dann doch noch einwerfen. Ich glaube, ich schlafe heute mit geschlossenem Fenster.
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Ned schlecht 🙂
Cooler Beitrag! Vielleicht traue ich mich ja doch mal irgendwann, einen der Filme zu schauen 😀