Deutschrap ist im Mainstream angekommen. Wer das immer noch bestreitet, sollte sich die Verkaufszahlen der großen deutschen Rapper*innen ansehen – oder einfach mal einen Blick in die Single-Charts werfen. Ende Juni auf Platz eins: „Royal Rumble“ von Kalazh44, Capital Bra, Samra, Nimo und Luciano. Außerdem in den Top 10 dabei: Summer Cem, Juju, Mero, Farid Bang und nochmal Samra und Capital Bra. Was das mit Papier zu tun hat? Zugegebenermaßen auf den ersten Blick nicht viel.
Tatsächlich findet sich Papier – in seinen verschiedenen Ausprägungen – in vielen Deutschrap-Texten wieder. Zum Beispiel, wenn über den Schreibprozess gerappt wird, über die Bedeutung von Stift und Papier für die Bewältigung von Problemen oder über die Möglichkeiten, die sich über das Schreiben und Rappen eröffnen können. In welchen Themenfeldern außerdem über Papier gerappt wird, erfahrt ihr jetzt.
„Was passiert zwischen ’nem Mensch und ’nem Blatt Papier“
Frederik Hahn aka Torch gilt für viele als der Vater des Deutschrap. Sein Solo-Debütalbum „Blauer Samt“, das im Jahr 2000 erschien, ist heute ein Klassiker. Es enthält den Track „Ich habe geschrieben“, in dem Torch umfassend auf die Bedeutung des Schreibens im Rap hinweist: „Gleich neben mir, da liegen sie: Blätter mit 1.000 intensiven Gedanken.“ Auch wenn der Fokus vieler Rapper heute woanders liegen mag: Der Ursprung von Rap liegt darin, seine Gedanken und Gefühle aufzuschreiben und mittels Sprechgesang in die Außenwelt zu tragen: „Exhibitionist gegenüber dem Blatt, ich muss ihm einfach mein Intimstes zeigen.“ Und hier liegt auch eine Besonderheit des Genres Deutschrap, welche sich noch immer hält: die Authentizität und die Kreativität des Musikers oder der Musikerin. Auch wenn jedem Fan klar ist, dass nicht alle Rapper*innen ihre Texte selbst verfassen, so wird die Bedeutung des Textens als Wert an sich weiterhin hochgehalten. Die Rapper*innen sind damit – im Idealfall – keine Kunstfiguren, sondern Künstler*innen.
In seinem Track „Unbeschriebenes Blatt“ (2011) beschreibt der Hamburger Samy Deluxe eindrucksvoll den Dialog zwischen Rappern und dem noch leeren „unbeschriebenen“ Blatt. Dabei betont er, wie Torch elf Jahre zuvor, die Bedeutung von Inspiration und Fantasie für deutschen Rap: „Und ich bin immer noch fasziniert, was passiert zwischen ’nem Mensch und ’nem Blatt Papier. Zwischen dem Moment, wo wir phantasieren, und dem Moment, wo der Stift dann das Blatt berührt, wenn man was kreiert“.
„Worte sind die Passagiere in dem Flieger aus Papier“
In „Flieger aus Papier“ (2010) beschreiben Sookee und Kobito ihre Musik und vor allem ihre Texte als Papierflieger. Nach der Veröffentlichung fliegt der Papierflieger in die Welt und auch die Künstler*innen wissen nicht, wo er landet und was er bewirken wird: „Erst das Blatt, dann der Text entfalten sich vor dir. Worte sind die Passagiere in dem Flieger aus Papier.“ Das Bedürfnis sich auszudrücken ist ein fester Bestandteil und ein wichtiges Charakteristikum von (Deutsch-)Rap. Die Metapher des Papierfliegers wählen auch Joshi Mizu, Chakuza und Raf Camora in ihrem gleichnamigen Track aus dem Jahr 2014. Hier geht es um die Bedeutung von Rap als Therapie und Ausdrucksmittel: „Ich würde gern der ganzen Welt sagen, was mich grade nervt, doch die Flügel fehlen. Darum schreib ich’s in ’nem Brief nieder, schicke den Papierflieger Übersee. Sieh mir nach, wie ich schwebe. Mein Blut ist die Tinte, die Wut das Getriebe.“ In „Papierflieger“ wird außerdem noch eine weitere Bedeutung von Papier im Deutschrap angeteasert. So rappt Joshi Mizu: „Wenn mal zu viel in meinem Schädel los ist, leg ich’s aufs Papier, zünd’ es an, seh’ es dann nie wieder und mache so gesehen aus OCB Papierflieger.“
„Pack die Medizin ins Paper“
Ob Kiffen ein fester Bestandteil von Deutschrap ist, lässt sich diskutieren. Fest steht: Es wird viel und gerne über Cannabis gerappt, und der 20. April (4/20) wird von Rap-Magazinen mit passenden Kiffer-Playlists zelebriert. Das hat insofern etwas mit Papier zu tun, als dass das Blättchen oder auch das „Paper“ zum Zubehör gehört. „Kein Krimineller, nur ein Freizeit-Apotheker. Mein Genuss wirkt Wunder, pack die Medizin ins Paper“, rappt Plusmacher auf seinem Track „Medizin im Paper“ (2017). Um die Vor- und Nachteile von Cannabis-Konsum soll es an dieser Stelle nicht gehen. Aber ja: Deutschrap ist natürlich nicht immer total tiefgründig und manchmal geht es einfach nur um Weed im Papier.
„Der Kuli kostet dreißig Cent, doch in meiner Hand ist der dreißigtausend wert, yeah“
Eine weitere Facette von Deutschrap zeigt Eko Fresh mit seinem Track „Blatt Papier“ (2016). Auch wenn sich eine Nähe zu Samys unbeschriebenem Blatt und Torchs „Ich habe geschrieben“ vermuten lässt, legt Eko den Fokus auf einen anderen Aspekt von Rap. Das leere Blatt Papier wird hier zur großen Chance, das bisherige Leben hinter sich zu lassen und etwas zu erreichen: „Vor mir liegt nur ein leeres Blatt Papier, es wird entweder ein Hit oder leben von Hartz IV“. Schon seit seinen Anfängen in den 1970er Jahren ist Hip-Hop mit dem Wunsch nach sozialem und finanziellem Aufstieg verknüpft. Rap wurde zu einer Möglichkeit, sich als Teil einer unterprivilegierten Minderheit Gehör zu verschaffen – auch in Deutschland. Nicht unwichtig dabei ist die Tatsache, dass im Rap die eigene Stimme als Instrument fungiert und außer Stift und Papier zunächst kein Equipment nötig ist: „Schreibe aus dem Herzen, der Kuli kostet dreißig Cent, doch in meiner Hand ist der dreißigtausend wert, yeah!“
„Heute bin ich reich Brudi“
Berücksichtigt man diesen Aspekt, erklärt sich auch (zumindest ein Stück weit) warum es im Deutschrap oft um Geld und Konsumgüter geht. Dahinter steht das Bedürfnis zu zeigen, was man erreicht hat. So rappt auch Eko auf „Blatt Papier“: „Heute bin ich reich Brudi, zwar nicht wie ein Scheich Brudi, doch für Hood-Verhältnisse und es war nicht leicht Brudi“. Ja, Geld (aka Papier aka Paper) war und ist ein zentrales Thema im deutschen Rap. „Den Harten markieren, vom Staat observiert, das sind wir auf der Jagd nach Papier“, reimte die 187 Strassenbande auf ihrem zweiten Sampler im Jahr 2011. Vier Jahre später auf einem anderen Sampler („Chronik III“) rappt Karuso von Genetikk: „Zieh inzwischen wieder los und besorg buntes Papier. Immer fokussiert, in Gedanken nur ein Ziel Mann, Versagen ausgeschlossen, an mir hängt viel zu viel dran.“ Auch KC Rebell (2016) und LGoony (2017) widmen dem „Paper“ einen eigenen Track und betonen damit nicht nur die Bedeutung von (Papier-)Geld in unserer Gesellschaft, sondern auch im Deutschrap.
Papier kann symbolisch für viele verschiedene Facetten des Deutschraps stehen. Die Liste ist noch lange nicht vollständig und könnte noch viel mehr Beispiele von verschiedenen Künstler*inen umfassen. Doch um ein Ende zu finden soll – passend zum Thema – abschließend aus KC Rebells „Paper“ zitiert werden:
„Eigentlich geht es nur um’s Paper, Paper / Eigentlich geht es nur um’s Paper, Paper.“
Alle genannten Tracks zu denen es kein offizielles Musikvideo gibt, findest Du hier:
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Das ist ein sehr interessanter Beitrag, der aufzeigt in welchen Formen und Ausführungen ‚Papier‘ in der Musik, konkret im deutschen Rap, auftritt. Einerseits wird Papier im engeren Sinn behandelt, als schlichtes Papier, auf das man beispielsweise Gefühle und Probleme in Form von Songtexten niederschreiben kann. Anderseits wird Papier in vielen Texten auch im weiteren Sinn behandelt, indem man über Geld, also Papierscheine, und den damit verbundenen Konsum rappt. Das beweist nochmal, dass hinter dem Begriff Papier noch viel mehr steckt, als man denkt.
Deutschrap und Papier? Erst denkt man die beiden Sachen haben einfach nichts miteinander zu tun. Den Schreibprozess finde ich sehr spannend, wenn die intimsten Gedanken niedergeschrieben werden, um schlussendlich daraus Musik entsteht. Jeder Track beginnt eben mit dem Blatt Papier. Deutschrap und Papier haben also sehr wohl viel miteinander zu tun.