Im Zeitalter der digitalen Kommunikation hält sich der handgeschriebene Brief wacker neben seiner nicht-analogen Konkurrenz alias WhatsApp, Email und Co. Trotzdem ist er durch die Schnelllebigkeit unserer Zeit deutlich seltener geworden. Dabei erfreut sich der Brief nach wie vor großer Beliebtheit – vor allem beim Empfänger. Doch was genau macht sie aus, die Magie des Briefes, die scheinbar jedem noch so modernen und schnellen Kommunikationsmittel trotzen kann? 

„Deine Liebe ist mir wie der Morgen- und Abendstern; er geht nach der Sonne unter und vor der Sonne wieder auf.“ Diesen vor Romantik triefenden Satz schreibt Goethe 1781 in einem Brief an seine heimliche Liebhaberin, die unglücklich verheiratete Charlotte von Stein. Man kann sich nur ausmalen, was seine Herzensdame wohl beim Lesen dieser poetischen Worte empfand. Die beiden reihen sich nahtlos in eine lange Liste berühmter Briefwechsel ein: Von dem regelmäßigen Schreiben zwischen Napoleon Bonaparte und seiner späteren Frau Josephine, über Schiller und Goethes intellektuellen Austausch, bis hin zu dem leidenschaftlichen Briefwechsel zwischen Hollywoods Grande Dame Elisabeth Taylor und Schauspielkollege Richard Burton.

Und wie sieht es heute so aus mit dem Briefeschreiben? Auch wenn es nicht immer der sehnsuchtsvolle Liebesbrief sein muss – niemand würde wohl abstreiten, dass man sich im Zeitalter der schnellen Kommunikation nicht aufrichtig über einen handgeschriebenen Brief freuen würde. Selbst wenn es eben nur die obligatorischen Urlaubsgrüße per Postkarte sind. Durch E-Mails, WhatsApp und Co. scheint der von Hand verfasste Brief jedoch recht selten geworden. Fragt man im Bekannten- und Freundeskreis nach, so ist der allgemeine Konsens zwar, dass diese besondere Form des Sich-Mitteilens durch Instagram und andere soziale Medien zur Seite gedrängt, aber trotzdem keinesfalls ganz aufgegeben wurde. Interessanterweise werden bevorzugt in äußerst persönlichen und emotionalen Situationen Briefe geschrieben, beispielsweise in Trauerfällen, bei Entschuldigungen oder Glückwünschen.

Die brieffreudigen Deutschen

Die Deutschen scheinen also trotz digitalisierter Kommunikation immer noch gerne persönliche Briefe zu schreiben. Das ergab auch eine Umfrage von Statista in Zusammenarbeit mit YouGov im Jahr 2017. 60 Prozent der Befragten gaben an, dass sie immerhin gelegentlich Briefe schreiben und fast jeder Zehnte erhält sogar monatlich ein persönliches Schreiben. Um zu Stift und Papier zu greifen stehen als Anlässe Geburtstage und Trauerfälle an erster Stelle. Aber auch der Liebesbrief ist heute noch angesagt: Jeder Vierte bringt für seinen Schwarm in reinster Goethe-Manier noch heute seine Liebe zu Papier. Der Tagesspiegel stellte 2017 ebenfalls fest, dass in Deutschland, verglichen mit seinen Nachbarländern, der Briefwechsel recht hoch ist. Trotzdem geht die Kommunikation via Brief Jahr für Jahr ein bisschen mehr zurück.

Briefe und Postkarten gibt es in allen möglichen Farben und Größen. (c) Amelie Behringer

Sündenbock ist natürlich wieder einmal die Digitalisierung, die eine schnelle Lebensweise nicht nur ermöglicht, sondern fast schon erzwingt. Für etwas vergleichsweise so langwieriges wie das Formulieren eines Briefes bleibt kaum noch Zeit. Doch warum genau ist der Brief trotz einfacherer Kommunikationsmöglichkeiten bei weitem noch nicht ausgestorben? Die Antwort liegt auf der Hand: Briefe kommen beim Empfänger gut an, haben für diesen sogar oft eine hohe emotionale Wertigkeit. 80 Prozent der Deutschen freuen sich über etwas Handschriftliches. Daraus lässt sich wiederum eine andere, nicht ganz so schnell zu beantwortende Frage ableiten: Warum bedeutet es uns eigentlich oft so viel mehr, handgeschriebene Zeilen auf einem Stück Papier zu bekommen als z.B. eine E-Mail?

Der Brief als Luxusgut

Man nähert sich dem Thema wahrscheinlich am besten über die Unterschiede zwischen der digitalen und der handgeschriebenen Nachricht. Denn das, was für viele ein Grund ist, nicht mehr auf Papier zu kommunizieren, macht den Brief gerade deshalb auch zu einem Luxusgut: Der damit verbundene Aufwand zeigt dem Empfänger des Schreibens, dass er dem Absender die Mühe auf jeden Fall Wert ist. Denn einen Brief schreibt man nicht wie eine SMS einfach mal schnell im Bus oder auf dem Weg zum Einkaufen. Man wägt ab, denkt genau über die Worte nach, die man zu Papier bringen möchte, und nachdem man den Brief frankiert hat, muss man ihn meist noch von der nächstgelegenen Poststelle abschicken lassen. Ein Prozess, der seine Zeit beansprucht und genau dadurch an Bedeutung gewinnt.

Unverwechselbarkeit durch eigene Handschrift

Eine große Rolle dabei spielt auch, dass der Brief eben handgeschrieben ist. Laut der Graphologin Rosemarie Gosemärker können bestimmte zwischenmenschliche Themen besser mit der Hand auf Papier gebracht werden als mit der Tastatur. Sie erklärt, dass das Schreiben per Hand die eigene Vorstellungskraft und Kreativität verstärkt. Der Fokus wird viel mehr auf den Inhalt des Textes gelegt und die Sprache wird dadurch bildhafter. In Briefen wird daher oft intimer, aber auch fantasievoller geschrieben.

(c) Berit Stier

Das, was den Brief dann letztendlich einzigartig und unnachahmlich macht, ist die Handschrift des Verfassers oder der Verfasserin. Die eigene Handschrift ist unverwechselbar. Man drückt der Nachricht dadurch seinen ganz persönlichen Stempel auf. Schreiben gehört laut Gosemärker im weitesten Sinne daher auch zur Körpersprache und drückt gewissermaßen, auf feinmotorische Art, dasselbe aus wie Mimik, Gestik oder Gang. Das erklärt auch, warum gerade bei emotionalen Themen oft auf das Briefeschreiben zurückgegriffen wird. Ironischerweise schreibt sogar Mark Zuckerberg, Erfinder des sozialen Netzwerkes Facebook, am Tag zwei bis drei handschriftliche Karten an seine Mitarbeitenden und Kunden, um diese noch enger an das Unternehmen zu binden.

Der Haptik-Effekt

Zu guter Letzt macht noch etwas anderes den handschriftlichen Brief so besonders: Der sogenannte Haptik-Effekt. Bekommt man einen Brief, öffnet man ihn mit seinen eigenen Händen. Man spürt die Beschaffenheit des Umschlags und des Briefpapiers, man fühlt wie leicht das Papier ist und wie es in der Hand liegt. All das fehlt bei einer WhatsApp Nachricht, E-Mail oder sonstigen digitalen Benachrichtigungen komplett. Experimente aus dem Marketing zeigen, dass die haptische Produktgestaltung die Kommunikation bestimmter Emotionen in den meisten Fällen unterstützt. Übertragen auf den erhaltenen Brief bedeutet das, dass wenn wir etwas anfassen, greifen und erfühlen können, wir automatisch auch dem Produkt, also dem geschriebenen Brief, mehr Wertigkeit und Emotionen zuschreiben.

Nehmen Sie Stift und Papier in die Hand und schreiben Sie los!

(c) Amelie Behringer

Mit dem Wissen darüber, was den handgeschriebenen Brief so viel wertvoller macht als eine WhatsApp Nachricht, sollten wir nun also erst recht mal wieder zu Stift und Papier greifen. Am 1. September ist Welttag des Briefeschreibens. Da es bis dahin aber noch ein Weilchen dauert: Wie wäre es, wenn Sie sich noch heute einfach mal eine halbe Stunde Zeit nehmen, um jemandem ein paar nette Zeilen zu schreiben? Auch wenn diese in den meisten Fällen vielleicht nicht ganz so poetisch klingen werden wie bei Goethe.

7 Kommentare
  1. Costanza Terino
    Costanza Terino sagte:

    Vielen Menschen ist nicht bewusst, wie viel persönlicher eine Karte oder ein Brief sein kann. Wenn man einen Brief oder eine Postkarte erhält, dann trägt dieser/diese unmissverständlich und deutlich die Konnotation „Ich habe mir Mühe gegeben und mir den Aufwand gemacht, Dir zu schreiben“. Die Entschleunigung des Schreib- und Sendeprozesses könnte in Zeiten der Rastlosigkeit als Zeichen für besondere Wertschätzung angesehen werden.

  2. Judith Geyer
    Judith Geyer sagte:

    Ich kann mich noch gut an die Freude und Aufregung erinnern, die ich als Kind bei jedem Brief oder jeder Postkarte empfunden habe, die an mich adressiert war. Gerade die Außergewöhnlichkeit der Situation hat das Gefühl verstärkt. Heute erhalte ich eine Vielzahl an Nachrichten täglich, Freude und Aufregung stellt sich dabei aber leider eher selten ein. Umso mehr schätze ich auch jetzt noch handgeschriebene Nachrichten, auch wenn die Anzahl abgenommen hat. Dein Artikel ist ein guter Anreiz, selbst mal wieder zu Stift und Papier zu greifen!

  3. Shanting Hu
    Shanting Hu sagte:

    Ich habe immer gedacht, dass handgeschriebene Briefe ein guter Weg sind, um unsere Liebe auszudrücken. In einigen wichtigen Momenten, wie dem Jubiläum, werde ich auch meinen Eltern, meinem Freund und so weiter schreiben. Außerdem werde ich eine Antwort von ihnen erhalten. Ich bin wirklich gerührt. Ich denke, das Wichtigste ist, dass es gute Erinnerungen geben wird, wenn wir in Zukunft auf diese Briefe zurückblicken. Vielen Dank für dein schönes Blog!

  4. Yichi Zhang
    Yichi Zhang sagte:

    Ein sehr schöner Beitrag:) Ich bin immer der Meinung, dass wenn man Briefe schreibt, kann man seine Emotionen und Ehrlichkeit besser darstellen und zeigen. Außerdem kann man sich durch das Schreiben der Briefe komplizierte Wörter besser merken. In China vergessen viele junge Menschen, wie manche Schriftzeischen geschrieben werden sollen, weil sie immer das Handy benutzen. Das finde ich sehr schade, denn die Schriftzeichen ist ein wichtiger Teil von der traditionellen Kultur.

    • Stefanie Hoschka
      Stefanie Hoschka sagte:

      Was ein toller Einwand! Ich habe Berits Blogbeitrag bisher auch nur aus meiner eigenen Sicht gesehen. Ich selbst bin ein großer Fan von Briefen und lege jedem Paket, das ich an Freunde schicke, eine handgeschriebene Karte bei. Ich denke auch, gerade weil heutzutage kaum einer mehr einen Brief erwartet, ist die Freude umso größer.
      Die Vorstellung, dass Menschen einer bestimmten Kultur, wie in deinem Fall China, ihre eigenen Schriftzeichen verlernen, finde ich auch sehr schade und ist für jemanden, der 26 (+3) Buchstaben gewohnt ist, glaube ich unvorstellbar. Was mich da noch interessieren würde: Wird in den Schulen Abe einem bestimmten Alter auf dem Computer oder Tablet mitgeschrieben?

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  1. […] wurden an die Front geschickt, ihre Familien konnten nur hilflos auf sie warten. Damals flogen Briefe, Glückwunschkarten und Postkarten zwischen Frontlinie und Heimat hin und her und überbrachten […]

  2. […] so also nicht wahr. Während digitale Adaptionen oft eher praktische Zwecke erfüllen, geht es beim Brief oder Tagebuch um haptische, kreative, aber vor allem emotionale […]

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