Die Plastiktüte, ob geliebt oder gehasst, hat es in die Kinos geschafft. Sie fungiert als nebensächliches Accessoire oder nimmt mit ihrem spektakulären Solo-Auftritt die gesamte Bühne ein. Sie rettet oder zerstört Leben. Sechs Beispiele zeigen den vielseitigen Einsatz von Plastiktüten im Film – in prominenten (Kurz-)Filmen wie auch in bisher übersehenen Szenen.
Die Plastiktüte bringt im Alltag ein überwiegend negatives Image mit sich. Verunreinigte Meere, große Müllberge und gesundheitsschädigendes Mikroplastik in unserem Körper untermauern ihren schlechten Ruf. Dennoch findet man den zugleich praktischen Alltagshelfer in fast jedem Haushalt. Auch in Filmen hat sich die Plastiktüte etabliert. Sie ist Protagonistin in eigenen Kurzfilmen, tritt mehrmals im Film mit unterschiedlichen Bedeutungen auf oder nimmt eine wesentliche Rolle in kurzen, langen oder ungewöhnlichen Szenen ein. Ein Einblick in die vielfältige Poesie der Plastiktüte – von ihrer romantischen über die ambivalente bis hin zur sinnsuchenden Persönlichkeit.
Die romantische Plastiktüte in „American Beauty“
Das US-amerikanische Filmdrama „American Beauty“ erschien 1999 unter der Regie von Sam Mendes. Der Film erzählt von Lester Burnham, einem unzufriedenen Ehemann, der beschließt, sein Leben zu ändern und dabei neue Bekanntschaften macht. Zum Beispiel trifft er auf Ricky Fitts, einen jungen Drogendealer und begeisterten Hobbyfilmer. Dieser sucht die Schönheit in den kleinen Dingen und fängt sie mit der Kamera ein.
Mit den Worten „Willst du mal das Schönste sehen, was ich je gefilmt habe?“ beginnt die berühmte Plastiktütenszene in „American Beauty“. Diese spielt sich während der ersten Begegnung des Drogendealers Ricky Fitts und Lesters Tochter Jane ab, die sich schon seit einer Weile beobachten. Ricky erkennt in einer Plastiktüte, die er über 15 Minuten lang filmt, die Schönheit in den Dingen. Gemeinsam sehen sie sich seine Videoaufnahme an. „American Beauty“ überrascht in dieser Szene mit einem Film im Film, in dem wir als Zuschauer*innen mit den Charakteren drei Minuten einer Plastiktüte zuschauen, wie sie sich im Wind bewegt.
Der Tanz der Leichtplastiktüte bildet eine harmonische Einheit mit den um sie herum wirbelnden Blättern. Ein Instrumentalstück untermalt die ruhige Atmosphäre. Als Zuschauer*innen entdecken wir durch die lange Aufnahme eine ganz neue, poetische Seite an dieser Plastiktüte und verstehen dadurch womöglich auch, mit welchen Augen der Protagonist die Welt sieht: Ricky erkennt in einem sonst unbeachteten Fetzen Abfall so viel Lebendigkeit, gar Beseelung. Durch die ungewohnte Aufmerksamkeit, die er ihr verleiht, wird eine neue, ungewöhnliche Persönlichkeit von ihr sichtbar. Die tanzende Plastiktüte wird in „American Beauty“ als etwas Graziles, Verbindendes und sogar Romantisches vorgeführt, weswegen sie allein mit dieser Szene auf YouTube mehrere Millionen Zuschauer*innen von sich begeistert.
Die königliche Plastiktüte in „The Majestic Plastic Bag“
Als majestätische Hauptakteurin wird die Plastiktüte im Jahr 2010 in „The Majestic Plastic Bag“ des Regisseurs Jeremy Konner dargestellt. Das vier-minütige Mockumentary begleitet eine weiße Hemdchentüte auf ihrer Reise zum Großen Pazifischen Müllteppich. Sie sehnt sich dorthin, um gemeinsam mit ihrer Community ihr Leben zu verbringen, bis sie sich irgendwann in kleine Plastikpartikel zersetzt. Auf dem Weg überwindet sie Gefahren: Sie entkommt hungrigen Tieren, aus Bäumen ragenden Ästen und flüchtet vor Reinigungsdiensten. Die Plastiktüte wirkt königlich und unbesiegbar – sie kann fliegen und schwimmen, niemand kann sie auf ihrer Reise zum Großen Müllteppich aufhalten. Der Kurzfilm macht damit auf das scheinbar unaufhaltbare Müllproblem durch Plastiktüten in Kalifornien aufmerksam.
Die ambivalente Plastiktüte in „Findet Nemo“
Der Animationsfilm und Kinderfilm-Klassiker „Findet Nemo“ des US-amerikanischen Regisseurs Andrew Stanton ist 2003 erschienen und erzählt die Geschichte des Anemonenfisches Nemo, der im Ozean von einem Taucher gefangen wird und im Aquarium einer Zahnarztpraxis landet. Daraufhin begibt sich sein Vater Marlin, gemeinsam mit Doktorfisch Dorie, auf die abenteuerliche Suche nach seinem Sohn.
In „Findet Nemo“ stellt die Plastiktüte ein zentrales und ambivalentes Element dar – lebensbedrohend und zugleich lebensrettend. Aus Nemos Sicht ist die durchsichtige Plastiktüte eine Lebensbedrohung. Er ist als Geschenk für die Nichte Darla des Zahnarztes bestimmt. Die anderen Fische im Aquarium warnen Nemo davor, dass Darla bereits in der Vergangenheit einen Fisch tötete, indem sie ihn zu oft in einer solchen Tüte schüttelte. Als Darla schließlich in die Zahnarztpraxis kommt, und Nemo in der gefürchteten Plastiktüte untergebracht wird, stellt er sich tot, um nicht langfristig in die Hände der Nichte zu gelangen. Dennoch schüttelt das Mädchen zornig die Plastiktüte, um den vermeintlich toten Nemo zu wecken. Dem Halterfisch und Anführer des Aquariums Kahn gelingt es, Nemo zu retten und ihn über den Abfluss in das Meer zu manövrieren. Nemo konnte der Plastiktüte und seinem damit verbundenen Todesurteil durch die Hilfe seines Freundes gerade noch entkommen.
Als lebensrettend wiederum wird sie dargestellt, als es den anderen Fischen im Aquarium gelingt, mithilfe von Plastiktüten zu fliehen. Die Fische sorgten dafür, dass der Zahnarzt das Aquarium reinigen musste und sie vorübergehend in Plastiktüten verpackt, woraufhin sie sich aus dem Fenster ins Meer rollen. Die Tüte fungiert an dieser Stelle zwar als ihre Rettung aus dem Aquarium – nach ihrem erfolgreichen Ausbruch fragen sich die Fische allerdings, wie sie nun aus den Plastiktüten wieder herauskommen. Diese dramatische Frage bleibt offen und der Film endet mit dieser Szene.
Die konsumfördernde Plastiktüte in „Im Dutzend billiger“
In der 2003 publizierten US-amerikanischen Filmkomödie „Im Dutzend billiger“ mit Shawn Levy in der Regie zieht das Ehepaar Baker mit ihren zwölf Kindern nach Chicago. Dort nimmt der Familienvater Tom ein Jobangebot an. Seine Frau Kate muss währenddessen beruflich auf Promotion-Tour und lässt Tom und die Kinder alleine, was im Chaos endet.
Als die Familie Baker in Chicago ankommt, betrachten die wohlhabenden Nachbarn das Auto der Großfamilie. Sie bemerken den Müllberg an Plastiktüten, der sich hinter der Wundschutzscheibe angesammelt hat, und rümpfen die Nase über das Konsumverhalten der Bakers. Die zerknüllten Plastiktüten werden hier als Symbol für die amerikanische Konsum- und Wegwerfgesellschaft eingesetzt.
Die unzuverlässige Plastiktüte in „Kevin – Allein zu Haus“
Im Weihnachtsklassiker „Kevin – Allein zu Haus“, der unter der Regie von Chris Columbus im Jahr 1990 erschienen ist, wird der Junge Kevin von seinen Eltern daheim vergessen, als sie in den Weihnachtsurlaub aufbrechen. In der Zwischenzeit verteidigt Kevin das Haus gegen zwei Einbrecher. Um sich zu versorgen, geht der achtjährige Junge allein einkaufen. Die Lebensmittel füllt er in zwei große Tragetaschen und trägt sie im Schnee nach Hause. Mittendrin reißen die Plastiktüten und Kevin schaut enttäuscht auf die am Boden liegenden Lebensmittel. Die Plastiktüte wird in dieser Szene als unzuverlässig und folglich unbrauchbar dargestellt. Der wesentlichen Aufgabe einer Plastiktüte, Dinge von einem Ort zu einem anderen zu transportieren, wird sie nicht gerecht.
Die sinnsuchende Plastiktüte in „Plastic Bag“
Der Kurzfilm „Plastic Bag“ wurde im Jahr 2010 publiziert. Regie geführt hat der US-amerikanische Regisseur, Drehbuchautor und Filmproduzent Ramin Bahrani. Die Geschichte handelt von einer Plastiktüte, die sich auf die Reise begibt, um ihren Erfinder aufzuspüren. Sie sucht dabei nach dem Sinn ihrer eigenen Existenz. Werner Herzog begleitet den Film mit einem Voice-Over aus Sicht der Plastiktüte, welches eine emotionale Wirkung erzielt. Obwohl das Voice-Over humorvolle Züge aufweist, tut einem die Hemdchentüte fast leid, wie sie vergeblich nach ihrem Platz in der Gesellschaft sucht. Die Reise der Plastiktüte endet – wie diejenige der königlichen Plastiktüte oben – jedoch im Großen Pazifischen Müllteppich. Sogar die Plastiktüte selbst versteht sich in diesem Kurzfilm als verlassen, sinnlos und überflüssig, frei von einem langfristigen Zweck.
Titelbild © Ines Maly
Alle GIFs © Tenor
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Als Filmschauerin achte ich normalerweise gar nicht so sehr darauf, wie Plastiktüten auf der Leinwand dargestellt werden – deswegen finde ich deinen Artikel total interessant! Die Plastiktüte hat unerwartet viele Persönlichkeiten. Mein Favorit: die königliche Plastiktüte, einfach genial wie auf so unterhaltsame, ironische Art und Weise die Reise der Tüte erzählt wird, man fiebert richtig mit ihr mit!