Wusstest du, dass du mehr als nur Geld aus dem Fenster werfen kannst? Dass Ausräumen sogar ein Trend geworden ist? Wenn dein Zimmer sich füllt und füllt, aber du einfach nichts wegschmeißen kannst, findest du in diesem Beitrag Gründe dafür, warum du öfter Dinge aus dem Fenster werfen solltest.
Ich habe alle paar Monate einen „Ich könnte doch mal wieder ausmisten“-Moment. Meistens, wenn ich mich mitten in der Klausurenphase vom Lernen ablenken will, aber auch nicht „klassisch“ prokrastinieren möchte, indem ich stundenlang vor meinen aufgeschlagenen Büchern aus dem Fenster schaue und die Zeit totschlage. Ich möchte mir zumindest vorgaukeln, produktiv zu sein, also mache ich mich ans Ausmisten. Zwei Semester pro Jahr bedeutet zwei Klausurenphasen pro Jahr, macht zweimal ausmisten. Und meistens komme ich über ein paar Kleidungsstücke, in die ich schlicht nicht mehr reinpasse, nicht hinaus: Letztlich bleiben die meisten Sachen bei mir und verstauben ein weiteres Semester – ungetragen, unbenutzt, ignoriert. Dazu kommen aber stetig neue Dinge, und so füllt sich mein Zimmer immer mehr. Statt aus dem Fenster zu starren wäre es also gar nicht so schlecht, dieses zu benutzen, um Dinge wegzuschmeißen. Ich habe mal überlegt, warum wir genau das tun sollten.
Die Redewendung „etwas aus dem Fenster werfen“ ist im deutschsprachigen Raum vielen bekannt. Allerdings ist sie eher negativ konnotiert. Im Zusammenhang mit Materiellem wird oft von „Geld aus dem Fenster werfen“ geredet, womit etwas verschwenden gemeint ist. Etwas aus dem Fenster zu werfen ist also mit Verlust verbunden – Verlust von etwas, das man danach nicht mehr hat und für das man auch nichts zurückbekommt. Klingt doof. Warum also sollte ich mich von etwas, das rechtmäßig mir gehört, trennen?
Aus alt mach neu
Was dabei rauskommt, wenn ich nichts ausmiste, ist nicht nur Unordnung. Klar platzt mein Zimmer aus allen Nähten, aber das ist nicht das einzige Problem. Denn wenn ich horte und überflüssige Dinge nicht weggebe, behalte ich altes Zeug. Das können mit schönen Erinnerungen verbundene Dinge sein, aber eben auch Gegenstände, die mich an schlechte Momente denken lassen. Nur indem ich loslasse und mich von Altem verabschiede, kann ich Neues zulassen. Genau hier setzt Marie Kondo mit ihrer spätestens während der Corona-Pandemie viral gegangenen KonMari-Methode an. Die Philosophie dabei ist, dass ein ordentliches Zuhause auch innerlich ordnet. Zentral ist dabei das Aussortieren von Dingen, die einen nicht mehr glücklich machen, denn dadurch wird Ballast abgeworfen und Platz geschaffen.
Mit ihrer Aufräummethode hat Marie Kondo auch den in den letzten Jahren weltweit gewachsenen Nachhaltigkeitsdiskurs vorangetrieben. Im Trend liegt vor allem bei jungen Menschen der Postminimalismus, also der bewusste Verzicht auf Überflüssiges und die generelle Reduktion des Besitzes – ein aus unserer Konsumgesellschaft hervorgegangenes Phänomen. Das Bedürfnis nach Glück durch Struktur und Ordnung geht weit übers Aufräumen hinaus, von Ernährung über Kleidung und Medien bis hin zur Wohnkultur. Und wer kann der Bewegung fehlende Logik vorwerfen? Wir leben in einer Gesellschaft, die von Überkonsum geprägt ist und ansammelt, statt auszusortieren. Nach einem Bericht des MDR im Jahr 2020 kaufen Menschen in Deutschland etwa 30 Kilogramm Kleidung, laut Greenpeace bleiben 40 Prozent der Kleidung ungenutzt. Die Textilproduktion wird sich bis 2050 auf 300 Millionen Tonnen pro Jahr verdreifachen (Ellen Mac Arthur Foundation) und ist einer der umweltschädlichsten Produktionszweige der Welt. Wir kaufen, obwohl wir nicht brauchen – und zerstören dabei unsere Erde.
Minimal maximal leben
Der Minimalismus trennt sich von Dingen, und das ist wichtig. Es muss jedoch bedacht werden, was weggeworfen wird. Verabschiede ich mich von Sachen, die ich nachher vermisse, ist das, zumindest aus psychologischer Sicht, nicht zielführend. Ebenso wenig macht es Sinn, auszusortieren und danach sofort wieder anzuschaffen. Ausmisten will also gelernt sein. Denn dann entsteht nicht nur mehr Raum in meinem Zimmer, sondern auch Raum für neue Dinge. Es öffnen sich Wege, Potenziale und Möglichkeiten, die ich vorher vielleicht gar nicht sehen konnte, weil ich so sehr an der Vergangenheit festgehalten habe. Statt mich festzuklammern an vergangenem Ballast kann, ja, sollte ich neue Wege gehen, Neues ausprobieren, Anderes entdecken.
Das kann ich nicht, wenn ich nur aus dem immergleichen Fenster auf die immergleiche Aussicht starre. Und daher gehören zum „Dinge aus dem Fenster Werfen“ auch neue Sichtweisen. Mein Fenster muss nicht nur freigeräumt sein, damit ich Dinge entdecken kann, und geöffnet, um Dinge herauszuwerfen, sondern auch geputzt, damit ich die Welt mit klaren Augen sehen kann. Es lohnt sich, Dinge von einer anderen Perspektive aus zu betrachten, auch wenn das bedeutet, sich aus der eigenen Komfortzone zu bewegen. Von draußen hereinschauen, von der Seite spicken, gerade so über den Rahmen lugen… oder gar aus ganz anderen Fenstern schauen.
Give love to get love
Bisher habe ich viel von Herauswerfen im Sinne von Weggeben gesprochen. Eine andere Idee ist es, Dinge abzugeben. Denn etwas aus dem Fenster werfen bedeutet nicht immer den Verlust von Materiellem. Klar, im ersten Moment verliere ich etwas, aber genau dadurch kommt der Gewinn. Indem ich Dinge, die ich eigentlich nicht brauche, anderen Leuten gebe, die sie nötiger haben als ich und ihnen so eine Freude mache. Wenn ich Liebe wortwörtlich gebe, gewinne ich dadurch die Dankbarkeit und Freude des anderen. Außerdem kommt diese Liebe vielleicht zu mir zurück, wenn ich mich in der gleichen Lage befinde und selbst etwas brauche. „Wie man in den Wald ruft, so schallt es heraus“ wäre dann „Was ich aus dem Fenster werfe, kommt zu mir zurück.“ Das ist keinesfalls Verlust oder Verschwendung, vielmehr werfe ich die Dinge freiwillig und bewusst aus dem Fenster, in dem Wissen, etwas Gutes, das Richtige zu tun.
Ich merke an mir, dass ich viel zu selten und viel zu wenige Dinge aus dem Fenster werfe. Ich behalte so Vieles, in dem Glauben, dass ich es irgendwann einmal brauchen könnte – was letztlich nie passiert. Silbermond hat recht: „Eines Tages fällt dir auf, dass du 99 Prozent davon nicht brauchst“. Stattdessen könnte ich so viel Gutes damit tun. Und darum möchte ich in Zukunft mehr Dinge aus dem Fenster werfen. Weil es mir guttut und weil es anderen guttut. Hier also, nach langem Überlegen, mein Rat: Lass es los und wirf es aus dem Fenster.
Illustrationen: Sarah Lins
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[…] brauche oder der eher nicht zur wiederholten Betrachtung gedacht ist. Als ich den gesamten Ordner in den Papierkorb werfen möchte, zögere ich jedoch – es könnte ja doch noch etwas Wichtiges dabei sein, das ich eines […]
[…] An dieser Stelle ist es jedoch wichtig zu erwähnen, dass das Window Shoppen nicht ausschließlich negative Auswirkungen hat. Es bietet auch einige positive Aspekte. Window Shopping kann beispielsweise auch als Inspirationsquelle dienen, die uns ermöglicht, neue Trends, Stilrichtungen und kreative Ideen zu entdecken. Hinzu kommt, dass wenn wir die Unterschiede wahrnehmen, wir unser eigenes Konsumverhalten kritisch reflektieren können und uns genauer überlegen, ob uns all diese materiellen Dinge wirklich glücklicher machen. […]
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