Ein gestandener Mann mit Rauschebart, grüner Jacke und Gewehr über der Schulter. Daran denken womöglich einige von euch, wenn das Wort „Förster“ fällt. Eine sehr veraltete, doch trotzdem weit verbreitete Vorstellung. Wie wenig ich selbst eigentlich über diesen Beruf wusste, habe ich gemerkt, als ich die Revierleiterin Carla Hohberger einen Tag lang begleitet habe.
Um 7.45 Uhr geht es los. Ich treffe Carla auf einem Parkplatz, der an ihr 1.500 Hektar großes Revier Betzenberg grenzt. Das entspricht etwa 2.100 Fußballfeldern. Das Revier liegt im Schönbuch, ein hügeliges Waldgebiet südwestlich von Stuttgart. Wir steigen in ihren schlammverspritzten Geländewagen ein. Mit an Bord: Hündin Mila, schwarzes Fell, aufgeweckter Blick. Nach nur wenigen Metern halten wir an einer Grillstelle. Daneben liegt ein Müllberg. Wie Menschen teilweise mit dem Wald umgehen, sei ein großes Problem, klärt mich Carla auf. Ein Thema, auf das wir noch öfter an diesem Tag zu sprechen kommen werden. Einen Müllsack stets parat, sammeln wir den Müll ein und fahren weiter, immer tiefer ins Grün…
„Jeder Tag ist in gewisser Weise eine Überraschung“
Die Liebe zum Wald liegt bei ihr in der Familie. Schon als Kind wollte Carla Försterin werden, nachdem sie ihren Vater, der selbst Förster ist, häufig bei der Arbeit begleitet hatte. Ihren Jagdschein machte sie bereits mit 16 Jahren. Nach ihrem Abschluss in Forstwirtschaft an der Hochschule Rottenburg leistete sie ein halbes Jahr Revierunterstützung, bevor sie ein Trainee-Programm absolvierte und anschließend als kommissarische Revierleiterin in Kirchheim tätig wurde. Anfang dieses Jahres übernahm die 29-Jährige schließlich die Revierleitung für ihr Waldgebiet im Schönbuch. Auf die Frage, welche persönlichen Voraussetzungen man für diesen Beruf mitbringen muss, fällt ihre Antwort klar aus: „Man muss sehr selbstständig arbeiten und definitiv Entscheidungen treffen können, auch innerhalb weniger Sekunden.“ Damit verbunden sei eine hohe Frustrationstoleranz, denn ein Anruf oder das Wetter kann die gesamte Planung über den Haufen werfen: „Man muss ständig reagieren.“ Auch ein gewisses Maß an Führungseigenschaften sei erforderlich, immerhin trägt sie als direkte Vorgesetzte die Fürsorgepflicht für eine vier Mann starke Waldarbeiterpartie und 38 Jäger. Die meiste Zeit ist sie jedoch alleine unterwegs. Das müsse man können, sagt sie.
Mit den Jahreszeiten wechseln die Aufgaben
Carla sieht sich selbst als Managerin des komplexen Ökosystems Wald. Ihre zentrale Aufgabe ist, alle Vorgänge im Wald zu verwalten und die Nutz-, Schutz- und Erholungsfunktionen des Waldes in Einklang zu bringen. Dazu gehört auch, den Wald zu bewirtschaften. Die Hauptarbeitsspitze ist im Winter: „Da wird Holz gemacht. Da wird richtig g’schafft.“ Im Frühjahr wird erstmal kurz durchgeamtet, und danach geht es weiter mit Waldpflegearbeiten, die für eine nachhaltige Bewirtschaftung des Waldes unerlässlich sind. Flächen, auf denen Stürme gewütet oder Käfer Bäume zerfressen haben, werden wieder aufgeforstet. Carla zeigt mir eine vom Buchdrucker zerfressene Baumrinde, ein wahrer Forstschädling. Seinen deutschen Namen erhielt er für seine Larvengänge, die er dort hinterlässt. Bei der Jungbestandspflege werden kranke, schwache Bäume aus dem Bestand entnommen, um den Konkurrenzkampf der einzelnen Bäume um Nährstoffe, Wasser, Raum und Licht zu entschärfen. So können sie widerstandsfähiger heranwachsen und liefern wiederum wertvolleres Holz. Im Herbst laufen dann die Vorbereitungen für die winterliche Jagd auf Hochtouren. Darüber hinaus hält sie Hütten und Bänke instand, führt Besucher*innen durch den Wald, legt Biotope für den Erhalt von Tier- und Pflanzenarten an und kümmert sich, wenn jemand ein Wild angefahren hat. Carla lacht, als sie sich erinnert, wie sie einmal eine verirrte Wanderin im Wald aufsammeln musste.
Zwar findet die Arbeit zu einem großen Teil draußen statt, doch darf man nicht vergessen, dass der Beruf auch mit Schreibtischarbeit verbunden ist. Etwa 50 Prozent ihrer Arbeitszeit verbringt Carla in ihrem Büro, gemütlich eingerichtet in ihrem Haus am Waldrand. „Es gibt Tage, da hänge ich nur am Telefon.“ Viel kommunizieren gehört zum Job.
„Stoppt die Holzmafia!“
Heute steht eine ‚Verkehrskontrolle‘ auf dem Plan. Ausgestattet mit Kugelschreiber und Ordner klappern wir Bänke, Wegweiser und Info-Schilder ab. Carla kontrolliert, ob zum Beispiel absturzgefährdete Äste über Orte ragen, an denen sich Waldbesucher*innen aufhalten, um ihre Sicherheit zu gewährleisten. Bis auf ein paar wenige Äste, die vor Wintereinbruch noch entfernt werden müssen, scheint alles in Ordnung zu sein. Während der Fahrt durch ihr Revier fahren wir vorbei an einer alten Forsthütte, riesigen Mammutbäumen, Waldrefugien und mit weiß blühenden Seerosen bedeckten Biotopen. Manche Flächen sind sogar immer noch gezeichnet von Orkan Lothar, der 1999 ganze Wälder zerstörte. Nach Berechnungen des Forstamtes Herrenberg riss der Sturm innerhalb weniger Stunden allein im Schönbuch rund eine Million Festmeter Holz mit sich.
Wir machen erneut Halt. Auf einem Schild lese ich: „Stoppt die Holzmafia!“ Carla erklärt mir, dass einige Menschen Förster*innen für die Abholzung des Waldes verantwortlich machen und deswegen Groll gegen sie hegen würden. Als wir später bei ihr zu Hause Mittagspause machen und uns selbstgemachte Pizza schmecken lassen, hake ich nochmal nach. „Woher soll man das Holz holen?“ fragt sie und klopft auf den massiven Holztisch, an dem wir sitzen. Man müsse das Holz dann importieren, Qualität und Nachhaltigkeit seien dann nicht mehr garantiert. Zudem komme der umweltschädliche Transport aus dem Ausland. Die Waldbewirtschaftung in Deutschland gilt als nachhaltig und international vorbildlich. Bäume wachsen heran und stehen zueinander in Konkurrenz. Ein Baum geht in der Menge unter und stirbt ab. Dort wo er abstirbt, kommt ein neuer Baum nach. „Wir Förster beschleunigen diesen Prozess, indem wir diesen Baum etwa 20 Jahre früher holen, um ihn dann noch nutzen zu können.“ Hinzu komme, dass bei der Verarbeitung von Holz das CO2 gebunden werde. Verrotte der Baum hingegen, werde es wieder freigesetzt.
„Es kann nicht sein, dass alle nur vom Wald wollen, wir ihm aber nichts zurückgeben.“
Nach dem Mittagessen unterhalten wir uns noch ein wenig und ich stelle meine letzten Fragen. Mein Interesse am Försterberuf galt nicht nur der Arbeit an sich, sondern auch der Frage, inwiefern sich der Klimawandel auf den Wald auswirkt und welchen neuen Herausforderungen Förster*innen dadurch begegnen. Doch im Gespräch mit Carla erfahre ich schnell, dass der Klimawandel wohl nicht die größte Gefahr darstellt. Natürlich spielt er keine unwesentliche Rolle, und Carla nimmt durchaus an, dass sich das Waldbild zwar immer weiter verändern, der Wald jedoch nicht sterben wird. Doch für sie sind es wir Menschen, die den Wald aufsuchen, um dort frische Luft zu atmen oder unseren Hobbys nachzugehen und ihn gefährden, indem wir uns nicht an die Regeln halten. Früher wurde der Wald hauptsächlich dafür genutzt, um Holz zu gewinnen und damit Geld zu verdienen. Heute dient er vor allem zur Erholung der Menschen. In Deutschland gilt die Wegfreiheit, das heißt, dass jedermann den Wald zu Erholungszwecken betreten darf. Doch dies bringt auch Probleme mit sich, sowohl für den Wald und seine Bewohner als auch für die Förster*innen.
Die Sonne bricht durch die grünen Blätterkronen der Bäume. Richtet man den Blick auf den Boden, entdeckt man hinter den Bäumen benutzte Taschentücher, die Menschen nach Verrichten ihres Geschäfts dort zurücklassen. Waldbesucher*innen, die nicht biologisch abbaubaren Müll auf den Boden werfen, kreuz und quer durch den Bestand abseits der ausgewiesenen Pfade trampeln, Fische in Teiche setzen, in die sie nicht gehören und so andere Arten gefährden oder mit dem Auto durch den Wald fahren, sind keine Seltenheit. Carla Hohberger verbringt viel Zeit damit, den von Menschen geschädigten Wald zu pflegen. Der Wald würde auch alleine zurechtkommen, „aber wenn es keine Förster geben würde, dann würde das ja nicht bedeuten, dass der Wald unberührt wäre, dann würde jeder nur noch das machen, was er will.“ Demzufolge würde es keine Kontrolle mehr darüber geben, ob Wander*innen oder Fahrradfahrer*innen die Wege einhalten, kein Müll liegen bleibt und vieles andere mehr. „Man hat als Förster die Hand drauf.“ Carla glaubt nicht, dass es gut ausgehe, wenn sich das Denken der Menschen nicht verändere.
Um 13 Uhr endet der ‚Arbeitstag‘ für mich. Carla hat noch einen Termin auf dem Forstamt. Die Begegnung mit ihr war sehr lehrreich. Ich habe nicht nur die verschiedenen Facetten des Försterberufs kennengelernt, sondern habe auch aus einem neuen Blickwinkel heraus gelernt, wie wichtig es ist, keine Spuren zu hinterlassen. Ich selbst gehe auch gerne in den Wald, um den Kopf frei zu bekommen und das viele Grün zu genießen. Aber nun gehe ich mit einem ganz anderen Wissen als zuvor.
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Bilder © Stephanie Kufner
Wenn man, wie ich, das das nächtliche Sturmtief Lothar 1999 „hautnah“ mit verfolgt hat, als verantwortlicher Betriebsleiter der Bahnstrecke Ulm – Augsburg, wundert man sich heute noch, wie gut die immensen Schäden in den Wäldern bis heute wieder aufgearbeitet wurden. Innerhalb von wenigen Minuten wurden durch die gewaltige Zerstörungskraft nahezu alle Strecken lahmgelegt, in erster Linie durch umgestürzte Bäume und dadurch herabgerissene Oberleitungen. Eine persönliche Besichtigung am nächsten Tag in einem Waldstück am Münchner Stadtrand erzeugte in mir einen unvergessenen Eindruck: Große Waldfläche komplett und einheitlich niedergelegt, wie von einer riesigen Hand sauber in eine Himmelsrichtung geordnet. Mein erster Gedanke war, dass die Aufarbeitung dieser Generationen brauchen würde. Daher weiß ich heute eine engagierte und nachhaltige Forstwirtschaft umso mehr zu schätzen. Allen anderen Menschen gibt Dein Beitrag einen sehr eindrucksvollen Einblick in die meist unsichtbare, aber doch so unverzichtbare Basisarbeit zur Entwicklung unserer Wälder. Informativ, leicht verständlich und doch bunt geschrieben. Ich freue mich auf Deine nächste Reportage.
Schöner Beitrag über einen Beruf, den man zwar kennt, aber eigentlich keine Ahnung davon hat. Das hat sich hiermit geändert.
Danke für den äußerst lehrreichen Beitrag! Wer hätte gedacht, dass Förter*innen gut die Hälfte ihrer Arbeitszeit im Büro verbringen 🙂 Außerdem sehr gelungene Fotos!
Danke, dasss du meine Vorstellung vom Försterberuf etwas korrigiert hast 🙂 Besonders der Exkurs über die Nachhaltigkeit der deutschen Forstwirtschaft im internationalen Vergleich war sehr spannend, darüber hatte ich noch nie nachgedacht…
Ein wunderschöner und interessanter Beitrag! 🙂 Mir gefallen vor allem die vielen Details, die z.B. auch unter den schönen Fotos zu finden sind.
Das war ein wahrere Genuss zum Lesen 🙂
Da krieg ich tatsächlich gleich Lust meine Ausbildung hinzuschmeißen und doch was Richtung Forstwirtschaft zu machen!
Die Bilder sind super schön geworden und du hast vor allem sehr aussagekräftige Motive gewählt! Ich habe den Beitrag richtig gerne gelesen und man merkt, wie viel Mühe dahinter steckt! 🙂
Echt verblüffend, wie vielfältig und umfassend die Tätigkeiten in diesem Berufsfeld sind. Danke, dass du uns einen Tag mitgenommen hast und diesen informativen Beitrag verfasst hast. Die Bilder gefallen mir sehr gut, auch wenn mich der Anblick des ganzen Mülls wirklich traurig macht. Hoffentlich bleiben uns die schönen Wälder noch ganz lange erhalten. 🙂
Ein sehr schönes Berufsportrait. Da steckt viel Mühe und Liebe zum Detail drin, das merkt man gleich ?
Dein Beitrag hat mir das Vorurteil gegenüber Förstern (was du perfekt in der Einleitung getroffen hast) aufgebrochen. Der Beruf steckt entgegen meiner Vorstellung voller Überraschungen. Hätte nie gedacht, dass man solche vielfältigen Tätigkeiten hat und deine Bilder sind wunderschön geworden! 🙂