Bei Nacht können Schatten bedrohlich wirken. Wäscheberge auf Stühlen verwandeln sich in stumme Beobachter, die in der Dunkelheit lauern. Doch was passiert, wenn man das Licht anmacht und auf dem Stuhl tatsächlich jemand sitzt? Nachtsichtaufnahmen in Horrorfilmen spielen mit dieser Furcht vor den Schatten und zeigen, was uns eigentlich wirklich Angst macht.
Der Nachtsichtmodus von Kameras beruht auf dem Prinzip von Nachtsichtgeräten, die überwiegend beim Militär und der Jagd eingesetzt werden. Sie machen die dunkle Umgebung sichtbar und geben sie in fluoreszierendem Grün wieder. Mit ihnen bewegen sich Soldat*innen und Jäger*innen in der Dunkelheit, ohne dass eine Lichtquelle auf sie aufmerksam macht.
Warum geben Nachtsichtgeräte das Bild in fluoreszierendem Grün wieder?
Die gängigsten Nachtsichtgeräte sind Restlicht-Verstärker. In völliger Dunkelheit funktionieren Nachtsichtgeräte nicht, denn sie wandeln die Infrarotanteile im Restlicht in Helligkeit um. Der Mensch selbst kann Infrarotstrahlung mit bloßem Auge nicht wahrnehmen. Ein Elektronenkanal im Nachtsichtgerät verstärkt die Strahlung und wandelt sie mithilfe eines Leuchtschirms in Helligkeit um. Die grüne Farbe entsteht dabei durch Teilchen auf dem Leuchtschirm, die bei dem Wechsel auf ein höheres Energieniveau grünes Licht erzeugen. Diesen Vorgang nennt man Fluoreszenz.
Der Unterschied zwischen Nachtsichtgeräten und Kameras mit Nachtsicht
Videokameras mit Nachtsicht-Option funktionieren anders als gewöhnliche Nachtsichtgeräte. Denn der Bildsensor in der Kamera kann den Wellenbereich von Infrarotstrahlung ohne Hilfsmittel erfassen. Zusätzlich zur Restlichtverstärkung haben die meisten Kameras eine integrierte Infrarotlampe, um den Nachtsichteffekt zu verstärken. Eine Nachtsichtkamera arbeitet also nicht mit fluoreszierendem Leuchtschirm. Handelsübliche Kameras geben das Bild von Nachtsichtaufnahmen in Graustufen wieder und nicht in grellem Grün. Dennoch ist die Wiedergabe von Nachtsichtkameras häufig grünstichig. Dies hat einen praktischen Grund: Das Auge reagiert am empfindlichsten auf Grüntöne und nimmt Helligkeit in der Wellenlänge von Grün am besten wahr. Dadurch kann das Display gedimmt werden und die Wiedergabe verbraucht weniger Energie.
Wieso werden Videoaufnahmen bei Nacht im fluoreszierenden Grün dargestellt?
Viele Horrorfilme setzen auf den grünen Look der Nachtsichtgeräte. Zum einen, weil die Protagonist*innen tatsächlich ein Nachtsichtgerät tragen, wie z.B. in „Das Schweigen der Lämmer“ (1991). Zum anderen, weil der visuelle Reiz des grellen Grüns verschiedene Assoziationen hervorruft. Allein die Darstellung von menschlichen Protagonist*innen kann für Unbehagen sorgen: Leuchtende Augen ohne Pupillen blicken bei Nachtsichtgeräten dämonenhaft und leblos aus scheinbar fluoreszierenden Körpern, die sich geisterhaft von der dunklen Umgebung abheben.
Video: Ausschnitt aus „Das Schweigen der Lämmer“ (1991) – SPOILER-WARNUNG! (FSK 16)
Die visuelle Rhetorik des Krieges
Auch die Assoziation mit der Bildsprache des Militärs sorgt bei vielen für Unbehagen: Im Golfkrieg 1990/1991 und im Irakkrieg 2003 setzte die jeweilige US-amerikanische Regierung in Verbindung mit dem Militär auf eine medienwirksame Inszenierung, um die Kriege vor der breiten Bevölkerung zu legitimieren. Den Einmarsch in den Irak 2003 übertrug CNN rund um die Uhr live. Wie bereits 1991 konzentrierte man sich in den USA auf die technische Überlegenheit der eigenen Truppen und weniger auf die betroffene Zivilbevölkerung. Mit Nachtsichtgeräten vor den Kameras wurde die Bombardierung Bagdads als grünes Feuerspektakel live bis in die heimischen Wohnzimmer übertragen. Auch der berühmte Einsatz des Apache-Kampfhubschraubers bei der Schlacht um Nadschaf wurde im grellen Grün der Nachtsichtgeräte festgehalten.
Das kollektive Bildgedächtnis
Diese grün eingefärbten Darstellungen wurden so zu einer bekannten Bildwiedergabe. Die Betrachter*innen hatten gelernt, dass sich die Kamera und die anwesenden Personen in Dunkelheit befanden. Bei der Wiedergabe von Nachtsichtaufnahmen in Graustufen wird dieser Aspekt schnell vergessen, da das Auge bei schwachem Licht Farben ohnehin schlecht wahrnimmt. Darum setzen einige Filme auf das erlernte Wissen um die Funktion von Nachtsichtgeräten, z.B. ”REC” (2007) und “Quarantäne” (2008). So kann das Gefühl der Isolation in der Dunkelheit vermittelt werden, ohne dass auf Bildinhalte verzichtet werden muss.
Video: Finale Szene aus „REC“ (2002) – SPOILER-WARNUNG! (FSK 18)
Die Bedeutung der Handkamera im Horrorfilm
Die Hilflosigkeit von Protagonist*innen in der Dunkelheit vermittelt sich besonders gut im sogenannten “Found–Footage–Film„. Das Filmmaterial wird als Amateuraufnahme inszeniert, wie beispielsweise in „Blair Witch Project“ (1999). Ein oder mehrere Protagonist*innen filmen das Geschehen mit einer Handkamera aus dem sogenannten „Point of View“ (POV). Die Zuschauer*innen wissen also immer nur so viel wie die Protagonist*innen selbst. Im klassischen Horror, wie beispielsweise „Freitag der 13.“ von 1980, setzte man noch auf den POV des Killers, der auf der Suche nach seinen Opfern war. Heutzutage ist der POV aus der Opferperspektive gängiger. Die ständige Bewegung der Handkamera und die mangelnde Übersicht über die Gesamtsituation lassen die Zuschauer*innen die ausgelieferte Situation unmittelbar erfahren. Es besteht potenziell immer die Gefahr, dass sich etwas Bedrohliches außerhalb der Bildbegrenzung befindet.
“Horror stories […] are dramas of proving the existence of the monster.”
Noel Carroll, Philosoph und Autor von The Philosophy of Horror or Paradoxes of the Heart (1999)
Hilflos und ausgeliefert in der Dunkelheit
Ist der Protagonist oder die Protagonistin im Dunkeln und kann die Umgebung tatsächlich nur über die Nachtsichtfunktion der Handkamera wahrnehmen, verstärkt sich das Gefühl, ausgeliefert zu sein. Mit Hilfe der Nachtsicht erhoffen sich Protagonist*innen und Zuschauer*innen, die Gefahr zu erfassen. Letztlich fürchtet man sich aber auch vor dem Moment, in dem die Bedrohung erkannt wird. Denn wenn das Monster auf dem Bildschirm erscheint, weiß der routinierte Fan des Horrorgenre, dass die Person hinter der Kamera vermutlich angegriffen oder getötet wird. Die Monster in Horrorfilmen sind in der Dunkelheit zu Hause und bewegen sich ganz selbstverständlich in ihr. Und darum wissen wir auch, dass der vermeintliche stumme Beobachter auf unserem Schreibtischstuhl uns längst angegriffen hätte, wenn er nicht ein banaler Wäscheberg wäre.
Filmempfehlungen:
- Blair Witch Project (1999): Der Horroklassiker gilt als wegweisend im Found-Footage-Genre. Die Handkameras sind mit Licht ausgestattet und im Film kommen, entgegen der geläufigen Meinung, keine Nachtsichtaufnahmen vor. Dennoch ist er ein absolutes Muss, wenn man sich für Found-Footage-Filme im Horrorgenre interessiert.
- REC 1 (2007): Als Mockumentary inszeniert besteht der Zombie-Film aus zahlreichen Plansequenzen mit subjektiver Kameraführung. Die Nachtsichtfunktion der Kamera wird nur in der Schlussszene eingesetzt, wo sie letztendlich den Schrecken offenbart, dem die Protagonist*innen ausgesetzt sind.
- REC 2 (2009): Die Fortsetzung von REC 1 (2007) setzt die Nachtsichtfunktion der Kamera bewusst ein. Bestimmte Bedrohungen und Hinweise auf eine dämonische Bessesenheit können nur mit der Nachtsichtfunktion sichtbar gemacht werden.
Titelbild © DarkWorkX from Pixabay
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Mir war geläufig, dass in Filmen teilweise blaue Filter auf das Bild gelegt werden, um Abend- oder Nachtszenen darzustellen. Dass grüne Szenen vor allem in Horrorfilmen auftauchen, ist wirklich spannend. Danke für den Artikel!
Ich finde es eigentlich gar nicht okay, dass ich jetzt Angst im Dunkeln haben muss, weil ich auch ohne Licht angegriffen werden könnte! 🙂
Ein richtig spannender Beitrag – ich fand den geschichtlichen Exkurs ziemlich cool, weil mir gar nicht bewusst war, wie der Kriegseinsatz funktioniert.
Ich finde deinen Beitrag echt faszinierend! Ich bin zwar kein Experte von Horrorfilmen, aber es ist spannend zu lesen, wie Nachtsichtgeräte funktionieren und wo sie überall zum Einsatz kommen. Und ich finde es toll, dass du so viele Beispiel-Bilder integriert hast. So kann man sich das viel besser vorstellen 🙂
Das Nachtsichtgeräte in Action- und Kriegsfilmen super eingesetzt werden können, um Spannung zu erzeugen, ist mir vor einiger Zeit schonmal aufgefallen. Bezeichnend, dass Horor und Krieg auch in der filmischen Darstellung so nahe beieinander liegen.
Bei dem Einsatz von Nachtsichtgeräte in Horror- und Kriegsfilmen überkommt mich jedes Mal ein sehr unwohles Gefühl. Vor allem die Kombination mit der Handkamera verstärkt diesen Eindruck noch zusätzlich. Es ist toll nun ein wenig besser zu verstehen wie diese ungewöhnliche Farbe auf einer technischen Ebene zustande kommt.
Es war unfassbar interessant zu lesen, wie die grüne Farbe in diesem Bereich wirkt. Und, ich muss mich Natalies Kommentar anschließen: sehr gruselig zu wissen, wie viel man von mir eigentlich im Dunkeln sehen könnte! 🙂 Toller Beitrag, liebe Sandra!