7 Tage Waldbaden. Das ist mein neustes Projekt. Heute kann es nicht mehr der nachmittägliche Spaziergang sein. Nein, man muss Bäume umarmen, gute Vibes aufsaugen und dem Ganzen noch einen trendigen Eigennamen verpassen. Warum also nicht? Entspannung hört sich im digitalen Semester mit massenweise Online-Kursen ganz gut an. Also los.
Tag 1
Es ist Sonntag. Der denkbar schlechteste Tag, um allein im Wald am Stadtrand sein zu wollen und Erholung zu finden: Der Familien-Ausflug wird von kreischenden Kindern begleitet und von händchenhaltenden Paaren und konzentrierten Joggerinnen überholt. Waldbaden hatte ich mir anders vorgestellt. Das hier fühlt sich mehr nach einem langweiligen und ganz gewöhnlichen Sonntagsspaziergang an, bei dem man steif versucht, den eigenen Körper an einen Baumstamm zu pressen und dabei von niemandem ertappt zu werden. Ich stiefle kreuz und quer auf den Waldpfaden umher und bin gedanklich nicht mit Meditation, sondern vor allem damit beschäftigt, mir den Weg einzuprägen. So funktioniert sie auf jeden Fall nicht, die Entspannung. Ich brauche dringend Hilfe, denke ich und drücke mir die Kopfhörer in die Ohren.
Tag 2
Heute bin ich etwas besser vorbereitet. Der Wald ist geleert von den Wochenend-Ausflüglern und ich bin bereit, meinem Experiment noch eine Chance zu geben. In einem Zeitungsartikel habe ich mir Tipps fürs Waldbaden angesehen, die ich nun versuche umzusetzen: Ohne jede Eile oder spezifisches Ziel schlendere ich auf den Waldwegen umher und gebe mir Mühe, meine Umgebung bewusst wahrzunehmen; mich für das sich brechende Licht im Laub, das leise Rauschen der Blätter, besonders krumm gewachsene Baumstämme, die frische Luft und die Ruhe um mich herum zu begeistern. Das funktioniert schon ganz gut. Aber mit Achtsamkeit und innerer Ruhe hat es noch nicht allzu viel zu tun. Zumindest schwirren mir noch permanent meine To-Do’s durch den Kopf.
Tag 3
Ein schier endloser Marathon von Online-Sitzungen und Conference-Calls liegt an diesem Tag hinter mir. Vor meinem inneren Auge flackert noch immer das kalte Bildschirm-Licht, sobald ich die Augen schließe. Heute ist es ein bisschen wie Urlaub, durch den Wald zu streifen. Weg vom Arbeitsdruck, den Meetings und To-Do-Listen die Augen in die Ferne zu richten und durchzuatmen. In einem Artikel der Zeit habe ich gelesen, dass das Waldbaden nicht etwa die Idee irgendeines urbanen Hipsters mit dem Wunsch nach Landflucht war, sondern eigentlich aus Japan stammt. Bereits in den 1980ern hat sich die Tradition des Shinrin-yoku, des Waldluftbadens, gebildet. Seither versuchen Ärzte eine medizinische Wirkung des Waldes nachzuweisen. Ob medizinisch oder nicht. Heute kann ich den Uni-Stress zumindest für einige Zeit vergessen und bin dadurch auf jeden Fall entspannter.
Tag 4
Es regnet in Strömen. Mein Mitbewohner hat mich angesichts meines Plans, bei diesem Wetter nach draußen zu gehen, darauf hingewiesen: „Da wirst du nur schon wieder krank“. „Nein“, berichtigte ich, „ich werde sogar gesund“. Tatsächlich hat bereits 1984 eine Studie des Architekturprofessors Roger Ulrich belegt, dass Patienten mit Blick ins Grüne schneller gesund werden. Studien des japanischen Umweltimmunologen Quing Li haben zudem gezeigt, dass bereits ein kurzer Spaziergang im Wald einen positiven Einfluss auf die Gesundheit hat. Das Immunsystem verbessert sich, Puls, Blutdruck und das Stresshormon Kortisol sinken. Tolle Sache also. Aber an diesem Tag hilft mir das Wissen trotzdem nicht. Denn mit nassen Füßen und klammen Klamotten sinkt höchstens meine Stimmung.
Tag 5
Ich telefoniere mit Frauke Holländer. Sie ist Trainerin für Achtsamkeit und bietet auch Natur-Coachings an – eine richtige Waldbademeisterin also. Das absichtslose Aufhalten im Wald oder auch in der Natur definiert sie als Waldbaden, das zu mehr Gelassenheit und innerer Ruhe führen soll. Anders als in geschlossenen Räumen bleibt der Geist in der Natur angenehm beschäftigt. So können sich auch Unerfahrene oder sehr gestresste Menschen auf meditative Übungen einlassen oder sich völlig auf einzelne Sinneswahrnehmungen konzentrieren. Für Stressabbau und Entspannung gibt es kein Patent-Rezept, erklärt Holländer. In ihren Coachings versucht sie darauf einzugehen, was dem Anderen ganz individuell hilft und gut tut. Was tut mir gut? Eine Antwort zu finden ist gar nicht so leicht, stelle ich bei meiner heutigen Waldrunde fest.
Tag 6
Ein Versuch, meinen Waldbade-Bedürfnissen auf den Grund zu gehen: Ich schnüre meine Schuhe fester, vor mir erhebt sich die grüne Flut der Bäume, dann jogge ich los. Sehr langsam, sodass ich noch Zeit habe, mich umzusehen. Das einzige meditative Gefühl, das ich kenne, habe ich beim Laufen; also versuche ich Waldbaden nun so. Auf meine eigene Weise. Sonst höre ich beim Laufen gern Musik – heute lausche ich meinem gleichmäßigen Atem. Ein und zwei Schritte, aus und vier Schritte. Will ich eine Herausforderung in der Steigung zu meiner Linken oder lieber die Gerade am Bach entlang – heute entscheiden meine Beine. Mein Kopf ist leer. Mein Atem wird eins mit der Bewegung und dem Rauschen der Blätter. Ich atme tief ein und fliege.
Tag 7
4.37 Uhr. Die erste Röte färbt bereits den Horizont. Ich liege wach, Alpträume, die Gedanken rasen über Aufgaben, Deadlines und Termine hinweg und drehen sich in meinem Kopf in einem unaufhaltbaren Kreisel, mein ganzer Körper kribbelt. Ich schlüpfe aus dem Bett, in meine Jacke und dann in die Nacht hinaus. Die Straßen sind leer, keiner begegnet mir auf meinem Weg. Der Wald erhebt sich schwarz und majestätisch in der Dunkelheit. Ich wische mit dem Finger über die Tautropfen auf einer Bank, setze mich auf ihre Lehne und schließe die Augen. Ich atme den kräftigen Geruch der Erde, den würzigen Duft des blühenden Bärlauchs, die feine Luft des Morgens, die schon nach Sommer schmeckt. Die ersten Vögel singen lauthals in der sonst so stillen Erwartung des nahenden Tages. Ein Sonnenstrahl bricht sich durch das Laub und wärmt mein Gesicht. Als ich wieder nach Hause komme, riecht es im Flur nach frischem Kaffee. Das Leben ist schön.
Tja, das war sie also. Meine Reise in den Wald. Und ich habe am Ende einsehen müssen, dass es nicht um irgendeinen Trend geht, nicht um eine Anleitung. Sondern viel eher darum, im Kontrast zur Hektik der Stadt, auf sich selbst zu hören – zum Beispiel im Schutz der Bäume.
Du willst Waldbaden selbst ausprobieren?
Hier findest du Tipps.
Hier findest du den Artikel zum Waldbaden auf Zeit Online.
Du hast Waldbaden auch schon mal getestet?
Schreib mir deine Erfahrung in die Kommentare!
Bild © Natalie Lenhof
Interessante Woche, interessantes Thema! Auch ich habe schon einmal einen Video-Beitrag über das Waldbaden und die heilende Kraft des Waldes gemacht. Vermutlich tut es jedem heutzutage ganz gut, mal aus der Hektik der Stadt und des Alltags zu entfliehen und draußen im Grünen die Natur – und vor allem sich selbst – zu spüren.
Hast du damals Waldbaden auch mal selbst ausprobiert?
Leider nein – als Kind war ich jedoch sehr oft mit meinen Großeltern im Wald unterwegs. Das sollte ich mal wieder aufnehmen!
Gute Idee! Die passenden Tipps für Waldbade-Anfänger sind im Artikel verlinkt.
Spannendes Projekt und viel Input. Danke dafür! Ich hatte beim Lesen das Gefühl, es selbst zu erleben.
Super schön geschrieben mit einem sehr lebendigen und unterhaltsamen Schreibstil! Spazieren war ich im Wald schon öfter. Waldbaden (so mit Bäume umarmen und dem ganzen Programm) habe ich aber noch nicht probiert. Sollte ich vielleicht mal tun!
Ich glaube, Waldbaden á la Bäume kuscheln war bei mir eher ein Klischee. Aber sich mal auf eine neue Erfahrung einzulassen, war wirklich bereichernd!
Ein wirklich sehr persönlicher Einblick in dein Waldbaden-Experiment!
Ich kann auch nachvollziehen, dass nicht direkt nach der ersten Stunde im Wald die absolute Erholung einsetzt, vermutlich sollte man das Ganze noch etwas fortführen 🙂 Auf jeden Fall eine gute Inspiration
Bis jetzt habe ich Waldbaden noch nicht selbst ausprobiert! I will do it soon! Du hast den Artikel sehr gut geschrieben !
Erzähl uns doch dann kurz von deinen Erfahrungen, wenn du es probiert hast!
Sehr interessanter Beitrag! Ich habe vorher mal in einem Wald in Thailand gewohnt (nicht richtig Waldbaden). Die frische Luft, der blaue Himmel und die grüne Bäume haben mir gut gefallen. Wenn ich die Gelegenheit habe, würde ich gerne mal Waldbaden in Deutschland probieren 🙂
Thanks for your article! It reminds me of the beautiful old days ❤️.