„Ich sehe da Blau und Grün.“ „Nee, ist das nicht eher Dunkelblau, Türkis und mehr so ein Kobaltgrün?“ Ausschnitt aus einem Dialog, den du vermutlich ungefähr so schon öfter geführt hast. Die naturwissenschaftliche Grundlage ist klar: Das menschliche Auge hat drei Rezeptoren für Rot, Grün und Blau, mit denen elektromagnetische Strahlung absorbiert wird. Diese Rezeptoren werden ja nach Wellenlänge aktiviert und das Gehirn kombiniert die Signale. Ergebnis: Wir sehen eine Farbe. Doch das ist noch nicht alles: Soziale und kulturelle Einflüsse mischen sich auch mit ein – denn welche Farbe wir benennen können, bestimmt, welche Farbe wir sehen können.
Wirft man einen Blick in den Farbwortschatz vergangener Epochen, kann man viel über die Menschen dieser Zeit erfahren. Schaut man weit zurück in die Zeit des antiken Griechenlands, fällt auf: Es gab eigentlich nur Wörter für Schwarz und Weiß. Für uns heute unvorstellbar bei der Fülle an Farbwörtern, die wir benutzen. Wie verständigten sie sich und unterschieden Farben? Dabei kamen dann andere Wörter ins Spiel, um etwas zu beschreiben: Wörter wie ‚matt‘ oder ‚glänzend‘, ‚rau‘ oder ‚glatt‘, die mehr den Lichteinfall und das Material benannten.
Es ist kaum ein Wort für Grün zu finden, weil die Grenzen zwischen Grün und anderen Farben verschwimmen. Historiker*innen nehmen an, dass die Farbe der Natur einfach keine Farbe für sie dargestellt hat. Farben sind für die Griechen jedoch kein naturgegebenes Phänomen, sondern müssen erst hergestellt werden.
Der Politiker und Homer-Forscher William Gladstone stellte im 19. Jahrhundert fest, dass die Anzahl der Farbwörter in Homers „Odyssee“ extrem gering ist. Vielmehr werden Eigenschaften des Lichts beschrieben. Das Meer beschreibt Homer zum Beispiel als ‚weinfarben‘, aber niemals als grün oder blau. Ein Wort für Blau benutzt er nie, Grün sehr selten. Daraus folgerte Gladstone, dass die Griechen Schwierigkeiten hatten, Grün und Blau zu sehen.
Konnten sie diese beiden Farben wirklich nicht erkennen oder unterscheiden? Viele Theorien versuchen das zu erklären: Vielleicht waren die Griechen farbenblind. Oder ihre Augen waren evolutionär noch nicht so weit ausgebildet, um so viele verschiedene Farben wahrzunehmen. Doch wenn eine Farbe nicht benannt wird, heißt das dann automatisch, dass sie nicht gesehen werden kann?
Grün = Blau?
In vielen Sprachen werden Grün und Blau nicht unterschieden. Ein zeitgenössischeres Beispiel: die Himba in Namibia haben kein Wort für Blau. Jules Davidoff, Professor an der Goldsmiths Universität London, machte mit ihnen ein Experiment: Im ersten Durchlauf wurden ihnen grüne Kästchen und ein blaues Kästchen auf einem Bildschirm gezeigt. Sie sollten auf das Kästchen zeigen, das sich von den anderen unterschied. Sie fanden aber keines. In einem zweiten Versuch konnten sie die Abweichung sehr leicht erkennen: Hier war das abweichende Kästchen ein leicht helleres Grün. Das liegt daran, so Davidoff, dass sie für verschiede Grüntöne mehrere Farbwörter haben.
Es stellte sich aber heraus: Kleinkinder der Himba können durchaus Grün und Blau unterscheiden. Im Verlauf des Erwachsenwerdens erlernen sie verschiedene Farbwörter, aber keines für Blau. So verschwindet die Fähigkeit dann Blau als solches zu benennen und zu unterscheiden.
Sprache beeinflusst die Wahrnehmung
Dass wir Menschen überhaupt erst über Farben reden können, verdanken wir der Sprache. Mit der Evolution haben sich Farbwörter gebildet, die unsere Farbwahrnehmung bedingen.
Ein Modell der amerikanischen Linguisten Brent Berlin und Paul Kay aus ihrem Buch „Basic Color Terms“ veranschaulicht die Entwicklungsstufen in der Farbwörterbildung verschiedener Kulturen. Zunächst kamen Schwarz und Weiß (bzw. Hell/Dunkel) auf. Dann folgte Rot und schließlich verzweigt sich der Verlauf in Gelb oder Grün. Danach folgte erst der Rest der Farben. Berlin und Kay folgern, dass die Grundfarbwörter jeder Kultur anhand ihrer Anzahl voraussagbar sind. Schwarz und Weiß wird in jeder Kultur unterschieden. Gibt es nur drei Grundfarbwörter, dann sind es Schwarz, Weiß und Rot.
Die Zahl der Farbtermini der Grundfarben in verschiedenen Sprachen variiert erheblich: zwischen zwei und mehr als 20. Die Dani in Neuguinea unterscheiden nur zwischen hell und dunkel; das Neugriechische hat für Dunkelblau ein eigenes Farbwort. Es steht als eine eigenständige Farbe. Somit verfügt jede*r über einen anderen Farbwortschatz. Welches Farbspektrum mit welchem Wort bezeichnet wird, hängt letztlich von der Sozialisation in einer bestimmten Muttersprache und Kultur ab. Damit sie aber überhaupt erst bezeichnet wird, muss sie eine gewisse kulturelle Relevanz haben.
Was du nicht bezeichnen kannst, siehst du auch nicht
Eine Langzeituntersuchung von Jules Davidoff und anderen Linguisten*innen stellt fest, dass kognitive Farbkategorien erlernt werden und nicht angeboren sind. Das Farbenspektrum wird in jeder Sprache anders unterteilt, was sich dann wiederum auf die Farbwahrnehmung auswirkt.
So sagt auch der Linguist Guy Deutscher: Entscheidend für die Wahrnehmung von Blau zum Beispiel sei, dass unsere Sprache ein Wort dafür hat. Viele Sprachen machen keinen Unterschied zwischen Blau und Grün. Doch Untersuchungen zeigen, dass, wenn eine Unterscheidung zwischen Blau und Grün gemacht wird, unser Gehirn dazu neigt, die visuellen Unterschiede leicht zu übertreiben. Sind verschiedene Menschen ein und derselben Farbe ausgesetzt, nehmen sie diese alle wahr, doch die Kultur entscheidet, wie differenziert sie dies tun.
Doch damit überhaupt erst ein Farbwort entsteht, muss die Farbe eine gewisse Relevanz in der Gesellschaft haben. Auch im antiken Griechenland konnte man Grün vermutlich sehen. Doch für die Menschen damals war die Farbe wohl nicht wichtig genug, um dafür ein Wort zu bilden. In der Malerei aus dieser Zeit benutzt man durchaus Blau und Grün. Wenn eine bestimmte Gesellschaft eine Farbe nicht benennt, dann liegt es daran, dass sie in sozialen Beziehungen, der Religion, der symbolischen Welt oder in der Imagination keine wichtige Rolle spielt. Sie können sie eigentlich schon sehen, aber erst die Sprache befähigt sie dazu sie zu bemerken und zu benennen.
Vielleicht sieht dein Hellgrün genauso aus wie mein Hellgrün, wir haben aber andere sprachliche Bezeichnung dafür oder teilen das Spektrum anders ein. Das bleibt offen…
Quellen:
Lieberman, Mark (02.03.2015): „It’s not easy seeing green“: https://languagelog.ldc.upenn.edu/nll/?p=17970
Panther, Sonja (2014): „Die Macht der Kultur“: https://www.goethe.de/ins/gr/de/kul/mag/20363981.html
Pastoureau, Michel (2014): Green. The History of a Color. New Jersey, Woodstock.
Raabe, Kristin (09.01.2007) „Erhellende Farbspiele“: https://www.deutschlandfunk.de/erhellende-farbspiele.676.de.html?dram:article_id=24085
Roberson, Davidoff, Davies & Shapiro (2006) : „Colour categories and category acquisition in Himba and English“: https://www.researchgate.net/publication/43627151_Colour_categories_and_category_acquisition_in_Himba_and_English
Titelbild © Daniel Hohpe
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Das hab ich mich echt auch schon oft gefragt, vor allem bei Kleidungsstücken! Vor allem über blau, türkis und grüntöne wird da häufig diskutiert, welche Farbe das Oberteil denn nun hat.
Sehr interessanter Beitrag! Mich würde ja interessieren, wie die Farben in der Gebärdensprache aussehen – ob es da auch kulturelle Unterschiede gibt?
Mir war bisher gar nicht bewusst, dass es früher einfach keine Worte für die verschiedenen Farben gab, was ich extrem spannend finde. Vor allem, wenn man bedenkt, wie z.B. später dann im römischen Reich auf einmal großen Wert auf Farben gelegt wurde. Ich finde es auch wahnsinnig interessant, dass sich das bis heute zieht, dass manche Sprachen bestimmte Farbwörter nicht haben.
Ich hab mich schon so oft gefragt, ob alle Menschen Farben gleich wahrnehmen – ganz offensichtlich nicht. Irgendwie ist das eine eigenartige Erkenntnis. Ich habe zu diesem Thema auch verschiedene Artikel gefunden, die das selbe Phänomen für andere Breiche (z.B. Orientierung) beschreiben. Das Kultur in solchen Fällen tatsächlich Biologie aussticht ist etwas, das mich wirklich verwirrt und dazu bringt, viele Selbstverständlichkeiten garnichtmehr so selbstverständlich zu nehmen.