Manche Geister sind realer, als man denkt. Wenn man mit Depressionen lebt, ist es andauernd so, als würde man von Gespenstern verfolgt. Diese Gespenster kann man nur besiegen, wenn man sie konfrontiert. Ein Erfahrungsbericht.
Wenn man mit Depressionen lebt, ist es ein bisschen so, als würde man konstant von Geistern verfolgt. Diese Geister sind anhaltende Traurigkeit, oft über Tage oder sogar Wochen. Schlaf- und Essstörungen. Lustlosigkeit und Selbstisolation. Selbstverletzende Tendenzen und Ängste. Im schlimmsten Fall sind es Selbstmordgedanken oder -versuche. Weltweit sind es mehr als 300 Millionen Heimgesuchte. Allein in Deutschland sind über fünf Prozent der Bevölkerung betroffen. Unsere Schreckgespenster sind Depressionen.
Dreierlei Gespenster
Wenn ich von Depressionen als Gespenstern schreibe, hat das viele Gründe. Der eine ist, wie schon erwähnt, dass die Symptome und die Krankheit selbst die Betroffenen heimsucht, wie böse Geister, ohne Ankündigung und oft ohne Gründe. Es ist nicht überraschend, dass in religiösen Kreisen bis heute Depressionen oft als Zeichen dämonischer oder geisterhafter Besessenheit gedeutet werden. Betroffene können sich ihren Zustand oft selbst nicht erklären. Angehörige stehen dem häufig hilflos und unverständlich gegenüber.
Der zweite Grund, warum ich Depressionen mit Geistern gleichsetze, ist, dass Menschen mit Depressionen oft selbst zu Geistern werden. Man kapselt sich von der Gesellschaft ab und erfindet Ausreden dafür, nicht aus dem Haus zu gehen. Bekannt ist das Bild davon, tagelang kaum das Bett zu verlassen. So geht es vielen Betroffenen, und auch enge Angehörige kriegen davon leider oft nichts mit.
Der dritte Grund dafür, dass Depressionen wie Gespenster sind, ist ein gesellschaftlicher. Trotz der Allgegenwärtigkeit der Krankheit wird über Depressionen immer noch sehr ungern gesprochen. Ebenso wenig wie über Selbstmord und Suizidgedanken. Wie einen bösen Geist versucht man sie zu ignorieren. Doch Geister kann man nur besiegen, wenn man sie konfrontiert und sich den Gespenstern stellt.
Nicht böse, nur uninformiert
Dass Depressionen in der Öffentlichkeit nicht allzu gerne behandelt werden, kann für Betroffene fatale Folgen haben. Durch fehlendes Wissen sind allerlei Gerüchte oder Falschinformationen über Depressionen im Umlauf. Menschen setzen Depressionen gerne mit Traurigkeit gleich. Traurig zu sein ist jedoch nur ein Symptom von Depressionen. Medikamente können helfen, dieser tief verwurzelten Traurigkeit Herr zu werden. Entgegen dem Glauben vieler Menschen machen Antidepressiva nicht süchtig.
Frauen sind weltweit häufiger depressiv als Männer, doch Männer sind gesellschaftlich bedingt oft weniger fähig, sich ihre Krankheit einzugestehen oder Hilfe zu suchen. Zudem sind Depressionen keine rein psychischen Zustände, sie können auch erblich bedingt sein und manchmal ohne Anlass und selbst bei intaktem Umfeld auftauchen. Der klassische Ausruf hierbei ist wohl: „Warum bist du denn depressiv, dir geht es doch gut?”
Derlei Unverständnis ist meines Erachtens nach und aus persönlicher Erfahrung selbst im besten Fall nicht hilfreich. Im schlimmsten Fall ist es schädlich und mitunter lebensgefährlich. Allerdings ist es auch verständlich, dass man sich ungerne über solche düsteren Themen unterhält oder sich damit auseinandersetzt. Solche Verhaltensweisen in der Gesellschaft sind also nicht bösartig, egal wie fatal die Folgen auch sein können. Sie zeugen allerdings von gefährlicher Ignoranz. Dass ein Wandel im Gange ist, durch soziale Medien und öffentliche Initiativen, ist jedoch positiv anzumerken, so können sich in sozialen Netzwerken betroffene finden und sie liefern Kanäle, über die Krankheit offen zu sprechen.
Die Geister meines Lebens
Dieses Thema bedeutet mir persönlich sehr viel. Denn auch meine Geister sind Depressionen. Es ist noch nicht lange her, dass ich alleine zuhause war und ernsthaft darüber nachdachte, wie ich einen Suizid am geschicktesten anstellen könnte. Es ist nicht lange her, dass meine Mitbewohner*innen mich tagelang nicht gesehen haben und ich mir nur die Zähne geputzt habe, wenn ich unbedingt aus dem Haus musste, an die Uni oder zur Arbeit. Damals habe ich mich selbst wie ein Geist gefühlt. Ich fühlte mich alleine, hilflos und unverstanden. Obwohl ich viele gute Freund*innen und eine tolle Familie habe. Meine Krankheit und mein eigenes Unwissen haben mich viele Jahre meines Lebens gekostet.
Heute geht es mir besser. Ich habe mich meinen Geistern gestellt und mir Hilfe gesucht. Diese habe ich dann auch erhalten, wenn auch mit einigen Umständen. Denn ein weiteres Problem ist die Erwartungshaltung, dass depressive Menschen sich selbst Hilfe suchen und monatelange Wartelisten in Kauf nehmen. Das alles mit Ängsten und Motivationsproblemen. Hier ist leider noch einiges zu tun.
Sollte irgendjemand diesen Text lesen, der selbst betroffen ist oder Betroffene kennt, die mit ihren Geistern zu kämpfen haben, dem sollte zuletzt das hier noch gesagt sein: Es ist keine Schwäche, sich Hilfe zu suchen. Es ist auch nachvollziehbar, hilflos zu sein, wenn andere betroffen sind. Manchmal reicht es, zuzuhören. Manchmal reicht es, einfach nur da zu sein.
Stellt euch euren Geistern
Wer sich selbst seinen Geistern stellen will, dem seien diese Nummern ans Herz gelegt:
Info-Telefonnummer der Deutschen Depressionshilfe: 0800 3344533
Telefonseelsorge: 0800 111 0 111; 0800 111 0 222; 116 123
In Baden-Württemberg gibt es zudem den Arbeitskreis Leben, der an vielen Orten aktiv ist und oft kurzfristig Hilfe bieten kann. Weitere, tiefer gehende Hilfe muss oft psychiatrisch und/oder psychotherapeutisch erfolgen. Sich Hilfe zu suchen, um mit seinen Geistern nicht allein zu sein, ist jedoch keine Schande und jeder ist es wert, diese Hilfe auch zu erhalten.
Dein Beitrag macht auf ein gravierendes gesellschaftliches Problem aufmerksam: die Unwissenheit über das Krankheitsbild und die mangelnde Sensibilität im Umgang mit Betroffenen, also etwa das mangelnde Verständnis dafür, dass Sätze wie: „Jetzt lach doch mal“ oder „Stell dich nicht so an, dir geht es doch gut, du hast doch alles“ nicht helfen – im Gegenteil.Häufig wird die Depression noch nicht einmal als eigenständige Krankheit betrachtet.
Ich hoffe, dass Dein Beitrag zumindest einen kleinen Beitrag dazu leisten kann, diese Sensibilität endlich zu schaffen. Du hast großen Mut bewiesen, gleich in doppelter Hinsicht, wie ich finde: Du hast Dir nicht nur eingestanden, dass Du Hilfe brauchst und der Krankheit den Kampf angesagt – du schreibst sogar noch darüber, und machst damit wiederum anderen Betroffenen Mut. Mut, sich für Ihre Krankheit nicht länger zu schämen, sondern sich ebenfalls Hilfe zu suchen – und sich den Geistern zu stellen. Ich wünsche Dir, dass du Deine Dämonen für immer in Schach halten kannst.
Wahnsinn, wie ehrlich du bist – finde ich richtig mutig! Vor allem, weil Depressionen, wie du ja auch in deinem Beitrag schreibst, immer noch ein Tabu-Thema sind. Umso wichtiger, darüber zu sprechen, zu schreiben und sowohl mit eigenen Erfahrungen als auch mit Fakten über die Krankheit zu informieren.
Sehr guter, ehrlicher und bewegender Beitrag. Über Depression wird einfach noch viel zu wenig gesprochen und ich finde es super, dass du es tust!
Ich finde deinen Beitrag sehr lesenswert. Er bietet einen Einblick in eine Welt, die viele Menschen nicht kennen und nicht verstehen. Du hast meinen größten Respekt dafür, dass du darüber schreibst und andere ermutigst, sich mit dem Thema Depression auseinander zu setzen.
Ich wünsche dir nur das Beste für die Zukunft!
Sehr mutiger Beitrag! Ich hoffe, dass durch solch persönliche Texte auch andere Menschen den Mut finden, sich ihren Geistern zu stellen und die Gesellschaft Depressionen als Krankheit anerkennt und dadurch Betroffene nicht mehr mit „Stell dich nicht so an, dir geht es doch gut, du hast doch alles“ begegnet.
Ich kann mich den restlichen Kommentaren nur anschließen und dir ebenfalls meinen größten Respekt für den Beitrag zollen. Es ist dir sehr gut gelungen, mittels der „Vorgabe“: Gespenster, eine Brücke zu einem der leider immer noch größten Tabuthemen unserer Gesellschaft zu schlagen.
Vielmehr beindruckt mich aber dein Mut, dir zum einen Hilfe an der richtigen Stelle geholt zu haben, als auch deine Entscheidung, über die Krankheit öffentlich zu informieren. Über das Thema Depression kann nicht oft genug gesprochen werden.