Eine Stadt voller Bücher – der größte Wunschtraum für die leidenschaftlichen Leser*innen unter uns. Wohl auch für Walter Moers. Sein Buch Die Stadt der Träumenden Bücher ist eine große Liebeserklärung an das Medium Buch, auch wenn er mit der Verlagsbranche nicht ganz gnädig umgeht.
Hildegunst von Mythenmetz – der Name der Hauptfigur spricht schon für die Komik des gesamten Buches – lebt in einer Traumwelt auf dem Fantasie-Kontinent Zamonien. Der Lindwurm erzählt seine Abenteuergeschichte aus der Stadt der träumenden Bücher – einer Stadt voller antiquarischer Bücher, die sich in einem Dämmerzustand zwischen Leben und Tod befinden und davon träumen, wiederentdeckt und gelesen zu werden. Bevor Hildegunst seine Abenteuergeschichte erzählt, wobei sich Autor Walter Moers ganz bescheiden als Übersetzer ausgibt, müssen die Leser*innen erst einmal gewarnt werden: „Es ist keine Geschichte für Leute mit dünner Haut und schwachen Nerven – welchen ich auch gleich empfehlen möchte, dieses Buch wieder zurück auf den Stapel zu legen und sich in die Kinderbuch-Abteilung zu verkrümeln. Husch, husch, verschwindet, ihr Kamillenteetrinker und Heulsusen, ihr Waschlappen und Schmiegehäschen“. Ja, der Lindwurm – ein Nachkomme der Dinosaurier – schwingt große Töne über seine eigene Geschichte. Und die werden auch erfüllt.
Ein junger Autor auf der Suche nach Vollkommenheit
Als Lindwurm ist Hildegunst von Mythenmetz zum Dichter geboren. Doch bevor er etwas veröffentlicht, überreicht ihm sein ‚Dichtpate‘, eine Art Lehrer und Mentor zugleich, ein Manuskript, das von solch einer Perfektion und Vollkommenheit ist, dass es sämtliche Emotionen – von Weinen über Lachen bis zu zustimmender Euphorie – in jedem auslöst, der etwas von Literatur versteht. Hildegunst möchte den geheimnisvollen Autor unbedingt finden, um von ihm zu lernen. Er bricht auf nach Buchhaim, der Stadt der träumenden Bücher, in der sich Antiquariat an Antiquariat reiht und hinterhältige Verleger*innen, Händler*innen sowie die schlimmste Sorte – unfaire Literaturkritiker*innen – zusammenfinden. Doch Bücher können nicht nur träumen, sie können auch gefährlich werden. Hildegunst von Mythenmetz erlebt vergiftete, explodierende und sogar bissige Bücher, die durch die Katakomben der Stadt geistern, in denen die Geschichte zu großen Teilen spielt.
„Manche Toxine verursachten tödliche Lachanfälle oder Gedächtnisverlust, Delirium oder Schüttelsucht. Von anderen fielen einem alle Haare und Zähne aus, oder die Zunge verdorrte. Es gab ein Gift, das, wenn man mit ihm in Berührung kam, einem dünne Stimmen eingab, die so lange in den Ohren sangen, bis man freiwillig aus dem Fenster sprang.“
Moers lässt sich für seine Traumwelt aber noch viel mehr einfallen: Buchlinge, die sich vom Lesen ernähren, Bücherjäger, die auf der Jagd nach wertvollen Büchern vor keinem Mord zurückschrecken, und schließlich den sagenumwobenen Schattenkönig. Dass der Lindwurm in der Geschichte noch ausgesprochen hypochondrisch, ein bisschen tollpatschig und naiv angelegt ist, verleiht ihr noch mehr Komik. Aber die Vorsicht bei seinem mehr oder weniger schiefgehenden Abenteuer ist für Hildegunst ganz wichtig:
„Ich würde nicht hineingehen. Ich war gebrannt und fallengeprüft durch schmerzliche Erfahrung, ich war kein stupider Held, der zur Befriedigung niedriger Unterhaltungsbedürfnisse sein Leben riskierte! Nein, ich würde nicht wirklich hineingehen – ich würde nur ein bisschen hineingehen.“
Wenn der Alptraum zur Komik wird
Walter Moers, der Erfinder der Figur des Käpt’n Blaubär, geht auf eine einzigartige Weise mit Sprache um. Seine Sätze und Wortspiele scheinen einfach, doch sind sie so durchdacht, dass sie regelmäßig für ein Schmunzeln sorgen. Und sogar noch mehr: Die Stadt der Träumenden Bücher löst beim Lesen tatsächlich Lachanfälle aus. Dafür sorgt aber auch die Selbstironie des Autors, wobei Kapitel auch mal Titel tragen wie „Ein sehr kurzes Kapitel, in dem herzlich wenig passiert“.
Auch wenn Hildegunst so sympathisch ist, dass man eigentlich nur Empathie empfinden kann, so ist sein Leid doch auch ein witziger roter Faden, der sich durch das Buch zieht.
„Komisch war, dass inmitten eines Wirklichkeit gewordenen Alptraums, in einem unterirdischen Schloss ohne Ausgang mir schon der Anblick von lesbarer Schrift ein Gefühl von Geborgenheit geben konnte. Deshalb musste ich lachen, oh meine Freunde, schallend und anhaltend. Dann riss ich mich wieder zusammen, auch weil eine einsam lachende Person etwas Verzweifeltes an sich hat.“
Das Buch, das uns zum Träumen bringt
Die Stadt der Träumenden Bücher ist es auf jeden Fall wert, gelesen zu werden. Wer sich von Fantasy-Romanen nicht sofort abschrecken lässt, der erlebt mit Hildegunst von Mythenmetz eine Geschichte, die durch solch eine Phantasie und Tragik geprägt ist, dass man sich manchmal nicht entscheiden kann, ob man weinen oder lachen soll. Die fantasievollen Details, wie beispielsweise Autorennamen wie Ohjann Golgo van Fontheweg (ein Anagramm von Johann Wolfgang von Goethe, aber das habt ihr natürlich sofort bemerkt), wie auch die verrücktesten Wesen mit noch verrückteren Fähigkeiten machen das Buch besonders. Oder habt ihr vorher schon mal von lebendigen und träumenden Büchern gehört?
Moers wurde beim Schreiben des Buches wohl eindeutig vom Orm – der Kraft, die im Buch Kreativität hervorbringt und Schriftsteller wie im Rausch schreiben lässt – durchströmt. Passend dazu sagte der medienscheue Moers im Interview mit der Augsburger Allgemeinen: „Das Schreiben war eigentlich eine Form von regelmäßiger Psychotherapie, ich lag bei mir selber auf der Couch. Das Buch hat sich fast von selbst geschrieben – was ich wirklich nicht von all meinen Büchern behaupten kann.“ Und noch etwas verrät er über seine Branche: Die Bibliothek des Orm, die im Buch voll von unbekannten, aber grandiosen Werken ist, gibt es so ähnlich wohl auch bei ihm Zuhause. Denn gute Bücher schafften es laut Moers oft nicht auf die großen Bestsellerlisten.
Können Bücher träumen?
Und um die eingangs gestellte Frage zu beantworten: Ob Bücher in unserer Welt träumen können, das kann wohl niemand wirklich sagen. Oder habt Ihr schon mal mit einem gesprochen? Aber durch das Buch von Walter Moers, oder besser gesagt von Hildegunst von Mythenmetz, kommen wir auf jeden Fall ins Träumen – von einer Welt in Zamonien mit vielen Abenteuern und noch mehr Büchern. Denn in seinem Buch konnte Moers wohl einen großen Wunschtraum zum Leben erwecken: Eine Stadt voller Bücher und Figuren, die nur für die Literatur leben. Wobei Moers auch deutlich macht, dass die Welt als Schriftsteller*in nicht nur traumhaft ist, sondern durch die falschen Verleger*innen durchaus zum Alptraum werden kann.
Titelbild: © Penguin Random House Verlagsgruppe
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Vielen Dank für diese schöne Bücherempfehlung. Ich hab jetzt Lust bekommen, in den Roman mal reinzuschauen!
Erinnert mich auch ein bisschen an ein anderes Buch, weiß gerade nicht mehr welches, aber es ging darum, dass man Bücher im Regal auch immer in gewisse Konstellationen stellt damit sie sich „vertragen“. 🙂
Vielleicht kennst du es ja?