Bunte Bikinis, weiße Sneaker, robuste Rucksäcke oder hübsche Armbänder „made of ocean plastic“ – immer mehr Unternehmen füllen ihre Regale mit Produkten, die aus recyceltem Ozeanplastik bestehen sollen. Aber wie genau kommt das Plastik aus dem Meer in unsere Produkte? Handelt es sich dabei um einen nachhaltigen Ansatz oder lediglich um Greenwashing?
Anno 2022, Status Quo der Meeresvermüllung: Jährlich landen zehn bis zwölf Millionen Tonnen Plastikmüll in unseren Ozeanen, Tendenz steigend. WWF-Expert*innen zufolge haben sich damit über die letzten Jahrzehnte insgesamt bis zu 150 Millionen Tonnen Plastikabfälle in den Weltmeeren angesammelt. Die Menge ist vergleichbar mit 3 Millionen untergegangenen Flugzeugen – oder 25 Millionen schwimmenden Elefanten. Und jeden Tag kommen fünf Elefanten dazu.
Fischernetzen ein neues Leben geben
Geht es mit dem Plastikmüll so weiter, schwimmt im Jahr 2050 vermutlich mehr Plastik im Meer als Fische. Eine üble Prophezeiung, weswegen nicht nur Umweltinitiativen, sondern auch Unternehmen dem Ozeanplastik den Kampf angesagt haben. Big Player Adidas bewirbt seit kurzem Schuhe, von denen jedes Paar elf Plastikflaschen aus dem Meer beinhalten soll. Doch viel früher, bereits 1993, hat der kalifornische Hersteller von Outdoorkleidung Patagonia begonnen, recyceltes Polyester aus alten Plastikflaschen zu gewinnen. Seit 2016 fertigen sie unter dem Motto „Don’t waste it. Wear it“ Produkte wie etwa Badehosen aus NetPlus an. Dieses Material besteht laut Hersteller zu 100 Prozent aus ausrangierten Fischernetzen. Diese werden gereinigt, geschreddert und dann zu Garn verarbeitet. Allein im letzten Jahr wurden dadurch rund 32 Tonnen Plastikmüll, also zehn LKW-Ladungen Material, vor der Entsorgung im Ozean bewahrt.
Im Meer entsorgte kaputte Fischernetze, sogenannte Geisternetze, verwendet auch das Hamburger Unternehmen Bracenet für seine Armbänder. Sie werden fast komplett aus upgecycelten Fischernetzen hergestellt, wie uns das Unternehmen erklärt: „Wir verwenden geborgene Geisternetze und sogenannte End-of-Life Fischernetze. Letztere werden von Fischereien abgegeben, damit diese nicht verbrannt werden müssen oder eben als Geisternetz im Meer landen. Lediglich unsere Verschlüsse kaufen wir neu ein, wobei wir auch da an Alternativen aus geschmolzenen Verschlüssen aus Netz-Resten arbeiten.“
Zahlreiche Hersteller verwenden auch die 2011 entwickelte, nachhaltige Nylonfaser ECONYL als Basis für die Herstellung von Ozeanplastik-Produkten. ECONYL besteht zu hundert Prozent aus Nylonabfällen wie alten Fischernetzen aus dem Meer oder Stoff- und Teppichresten. In einem aufwendigen Reinigungsprozess werden die Stoffe getrennt, zerkleinert und komprimiert. Anschließend werden sie mit Hilfe eines chemischen Regenerationsverfahrens in ihre ursprüngliche Reinheitsform gebracht. In den Produktionsstätten wird es dann zu Teppich- bzw. Textilgarn weiterverarbeitet und fließt in neue Produkte.
Das bedeutet, dass das Nylon aus Abfällen dieselbe Qualität aufweist wie herkömmliches Nylon. Mit dem gravierenden Unterschied, dass es nicht aus umweltschädlichem Erdöl hergestellt wird, sondern aus Recyclingmaterial. Durch weitere Forschung am Regenerationsprozess hat der Hersteller das Ziel, ECONYL-Garn unendlich recycelbar zu machen, ohne dass es an Qualität verliert.
Ozeanplastik ist nicht gleich Ozeanplastik
Drei unterschiedliche Arten von Ozeangarnen, ein Problem: Es gibt keine einheitliche, gesetzlich bindende Definition, was der Begriff Ozeanplastik oder auch Meeresplastik eigentlich genau umfasst. Jeder Hersteller*in kann eigenständig definieren, was unter Ozeanplastik zu verstehen ist. Damit muss Meeresplastik nicht zwingend aus dem Meer kommen. Viele Brands schließen auch den Plastikmüll, der in Küstenregionen entsorgt wird, in den Begriff Ozeanplastik mit ein oder kombinieren ihn mit aus dem Ozean gefischtem Müll.
Trotz Begriffsunklarheiten liegen die Vorteile auf der Hand: Recycelte Garne aus Meeresplastik reduzieren nicht nur den Müll in den Ozeanen und an der Küste, sondern auch die Verwendung von Erdöl in der Neuproduktion. Zudem werden Konsument*innen über den Zustand der vermüllten Weltmeere aufgeklärt. Also die Ozeane säubern und die Welt retten, indem ich mir neue Klamotten kaufe? Eigentlich ein guter Gedanke, doch ganz so leicht ist es nicht.
Die dunkle Seite des Seemannsgarns
Altes Plastik, das monatelang in den Meeren schwimmt, ist häufig verunreinigt. Die Fischernetze, Plastikflaschen und Kunststoffkleinteile aus dem Ozean sind sandig und salzig und je nachdem, wie lange sie sich schon im Meer befinden, auch mit Pflanzen verwachsen oder mit Muschelresten übersät. Die Stoffe dürfen jedoch maximal fünf Prozent Verunreinigung zur Recycling-Anlage mitbringen. Daher müssen sie vorher aufwendig gereinigt werden. Dieser Reinigungsschritt ist sowohl kosten- als auch energieintensiv. Zudem sind die Materialien aus dem Meer teilweise mit Schadstoffen und Pestiziden belastet, die auch durch den Reinigungsprozess nicht auswaschbar sind und in den Produkten landen.
Dazu kommt ein weiteres Problem, dem die Textilbranche genauso gegenübersteht wie Verbraucher*innen: Greenwashing. Wenn Unternehmen sich „grün waschen“, werben sie mit nachhaltigen Produkten, ohne wirklich umweltfreundlich zu handeln. Die Vermarktung mit den Schlagworten Umweltschutz und Nachhaltigkeit läuft momentan besser denn je.
Taschen-Hersteller GOT BAG stand vor kurzem in der Kritik, weil sich das Werbeversprechen eines Rucksacks komplett aus recyceltem Meeresplastik als unwahr herausstellte. Nur zu 59 Prozent besteht das Gewebe des Rucksacks aus Meeresplastik, wie auf der Herstellerwebsite inzwischen korrigiert wurde. Einen Shitstorm von Käufer*innen und Influencer*innen, mit denen das Unternehmen zusammenarbeitete, erhielt GOT BAG trotzdem.
In einer Idealwelt würden alle recycelten Ozeanplastik-Produkte immer wieder in neue recycelte Produkte verwandelt und so einen Kreislauf integriert werden, der keinen neuen Müll produziert. Paradoxerweise sind recycelte Textilien jedoch nicht zwangsläufig recycelbar, vor allem wenn ein Produkt aus einem Mix an Materialien besteht. Dann geht es nach dem zweiten Leben auch für recycelte Plastikprodukte auf die Verbrennungsanlage.
Es bleibt festzuhalten: Das Garn aus Ozeanplastik spinnt sich zwischen den Umweltvorteilen, die solche Produkte mit sich bringen, und den Problemen, die Herstellung und Vermarktung verursachen.
Titelbild: links © Pixabay / rechts © Pexels
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Ein sehr informativer Beitrag! Produkte aus Meeresplastik – was sich erstmal super anhört, hat natürlich auch seine Nachteile wie z. B. die aufwendige Reinigung des Meeresplastiks oder Greenwashing, das hat dein Artikel deutlich gezeigt. Als Konsument*in sollte man sich so gut es geht über Unternehmen und Produkte informieren, jedoch braucht es auch verbindliche Regelungen für Unternehmen.
Ich freue mich immer wieder, wenn ich sehe, dass Menschen sich mit diesem Thema auseinandersetzen.
Natürlich wird das weltweite Plastikproblem nicht gelöst, indem wir schöne Armbänder und Schuhe aus Ozeanplastik kaufen, jedoch ist der Verkauf derartiger Produkte in der Regel auch mit Aufklärung verbunden und das finde ich persönlich sehr wichtig. 4ocean ist beispielsweise ein tolles Projekt, das auf Instagram sehr präsent ist und viele wichtige Informationen teilt.
Sehr aufschlussreicher Artikel! Ich wusste zum Beispiel nicht, dass es keine gesetzlich bindende Definition von Ozeanplastik gibt und finde es sehr erschreckend, dass jede*r Hersteller*in das selbst definieren kann. Besonders eindrücklich, fand ich deinen Elefanten- und Flugzeug-Vergleich am Anfang zu den Plastikabfällen in den Meeren.
Ein sehr spannender Beitrag!
Ich finde es wichtig, Begriffe, die man vermehrt hört, mal genauer unter die Lupe zu nehmen und zu schauen, was wirklich dahinter steckt. Es liegt nahe, dass man bei „Ozeanplastik“ erstmal denkt, es komme zwingend aus dem Meer – vielen Dank für den aufschlussreichen Beitrag.
Ein sehr spannender Beitrag zu einem wichtigen Thema. Ich habe den Begriff schon oft gesehen, jedoch war mir nicht bewusst, dass der Begriff an sich nicht geschützt ist und somit Unternehmen auch dazu neigen, den Begriff für ihre Zwecke auszunutzen. Daher fand ich es super spannend mehr über die unterschiedlichen Ansätze von verschiedenen Marken zu lesen und habe einiges dazugelernt.