Bis 2011 führte Libyen die wohl einfachste Flagge der Welt: ein grünes Tuch. Libyens Diktator Muammar al-Gaddafi hatte diese seltsame Flagge 1977 als Protestsymbol gegen den ägyptisch-israelischen Friedensprozess eingeführt. Warum ein grünes Tuch? Die Antwort darauf reicht zurück bis zu Mohammeds Turban und Lawrence von Arabien.  

Für den 2011 getöteten Gaddafi war der Versuch Ägyptens, Frieden mit Israel zu schließen, nichts weniger als Verrat. Bis dahin war sowohl für Gaddafi als auch für die ägyptische Regierung die langfristige Einigung der arabischen Staaten Staatsräson gewesen. Der Wandel in Ägypten stellte also Gaddafis politische Ziele und Identität in Frage.

Es ist kein Zufall, dass die neue Flagge des Landes ausgerechnet Grün wurde. Die besondere Symbolik der Farbe Grün zeigt, wie stark Politik, Religion und Identität in diesem Fall zusammenhängen.

Grün: Von Mohammeds Lieblingsfarbe zur Farbe des Islam

Mohammed an der Kaaba – natürlich ganz in Grün. ©wikimedia commons

Mohammed, der Prophet des Islam, soll besonders gerne grüne Kleidung getragen haben – insbesondere sein Turban wird häufig erwähnt. Das ist aber nicht der Grund, warum Grün zur Symbolfarbe für den Islam wurde, auch wenn sich der Mythos tapfer hält. Tatsächlich wurde die Lieblingsfarbe des Propheten erst einmal nur zur „Familienfarbe“ der Nachkommen Mohammeds. Andere einflussreiche muslimische Stämme führten unter anderem Rot, Weiß und Schwarz als ihre Farben. Die Frühzeit des Islam war aber nicht nur von theologischem Streit, sondern auch von Stammeskriegen geprägt: Grün war damit als gemeinsame Symbolfarbe unvorstellbar.

Trotzdem hatte Grün auch in dieser Zeit bereits eine Reihe von religiösen Bedeutungen für den Islam: Im Koran steht die Farbe für die Seele und das Paradies. Außerdem hat Grün als Zeichen für Fruchtbarkeit und Wachstum bei beduinischen Wüstenvölkern natürlich eine größere Bedeutung als für Europäer, denen Oasen und Wüsten fremd sind.

Erst im zwölften Jahrhundert wandelte sich Grün von einer Farbe der Spaltung zu einem Zeichen der Verbundenheit – vermutlich durch die Kreuzzüge, bei denen die muslimischen Stämme sich vereinten. Grün bot sich nun als gemeinsame Farbe an, da die Kreuzritter vor allem Schwarz, Weiß und Rot als Farben führten. Von diesem Punkt an wurde die Farbe mehr und mehr zur dominierenden Farbe des Islam. Bis heute sind viele Koranausgaben mit einem grünen Einband versehen. Auch Ornamente in Moscheen wurden häufig in Grün gefertigt. Die Islamwissenschaftlerin Barbara Finster schreibt im „Kleinen Islam-Lexikon“ außerdem, dass die Verwendung in alltäglichen Dingen zurück ging und es in muslimisch regierten Gegenden für Christen und Juden verboten war, grüne Kleidung zu tragen.

Arabische Identität, der Islam und Panarabismus

Nachdem das Osmanische Reich 1914 ein Bündnis mit Deutschland eingegangen war, unterstützten Großbritannien und Frankreich arabische Revolten in den osmanischen Gebieten. Ihr Ziel war damit einerseits die Schwächung der Osmanen, andererseits wollten sie selbst ihre Kolonien ausbauen. Inmitten dieses Durcheinanders erlangte Thomas Edward Lawrence Berühmtheit – besser bekannt als Lawrence von Arabien. Dieser britische Militärberater half den arabischen Volksgruppen unter anderem dabei, die muslimischen Pilgerorte Mekka und Medina einzunehmen.

Arabische Revolutionsfahne ©wikimedia commons

Die Revolte endete zwar in einem militärischen Sieg gegen die Osmanen, aber in einer politischen Niederlage für die Araber: Statt wie erhofft einen arabischen Staat zu errichten, verleibten nun die Kolonialmächte die befreiten Gebiete ihren eigenen Reichen ein.

Trotzdem war mit dieser Revolte der Grundstein für den Panarabismus gelegt. Die Flagge, unter der die Araber kämpften, enthält die vier panarabischen Farben Rot, Weiß, Schwarz und Grün. Grün stand dabei sowohl für den Islam als auch für den Anspruch der Araber auf ihre Heimatgebiete.

Arabische Befreiungsfahne – die späteren Versionen enthalten grüne Sterne im Zentrum ©openclipart

Nach dem Zweiten Weltkrieg gewann der Panarabismus erneut an Beliebtheit, und die Kolonialmächte mussten nach und nach unabhängigen arabischen Regierungen das Feld überlassen. Zur Flagge der arabischen Revolte trat jetzt noch die arabische Befreiungsfahne mit der gleichen Farbsymbolik. Diese beiden Flaggen sind die Basis der meisten Flaggen im arabischen Raum und verankern den Islam damit fest in der politischen und kulturellen Identität der arabischen Welt.

Gaddafis grüne Flagge

Die Flagge Libyens komplett grün umzugestalten hatte also drei Funktionen: Erstens wurde damit die alte Flagge abgeschafft, die die gleiche Basis wie die ägyptische hatte. Zweitens war Grün die Farbe Gaddafis politischer Ideologie, die aus einer Mischung aus Panarabismus, Islamismus und Sozialismus bestand. Gaddafi versuchte also auch, sich und seinen Ansichten Einfluss innerhalb der Arabischen Liga zu verschaffen. Drittens: Indem Libyen die Farbe des Islam als Reaktion auf die ägyptische Politik derart prominent betonte, unterstellte Gaddafi der ägyptischen Regierung implizit, nicht treu zu ihrer Religion zu stehen.

Aus unserer Perspektive ist es leicht, die Umstellung der libyschen Flagge als exzentrisches Manöver eines exzentrischen Diktators abzutun. Wenn man sich die Hintergründe anschaut, sieht man aber, welche vielfältigen Bedeutungen dahinterstecken und was für eine enorme Bedeutung die Farbe Grün für eine ganze Region und Kultur haben kann. Und alles nur wegen eines grünen Turbans.

 

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Thomas Marschall (2019): Im Namen der Flagge. Die Macht politischer Symbole. München: dtv.

Titelbild © Abdullah Shakoor auf pixabay

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5 Kommentare
  1. Johanna Hiesl
    Johanna Hiesl sagte:

    Ein sehr interessanten Beitrag, Bene! Es ist beeindruckend wie viele unterschiedliche Bedeutungen die Farbe Grün im Islam hatte und wie sich diese entwickelt haben. Vor allem die Verwendung der Farbe in Flaggen ist spannend, da man sich darüber nur selten Gedanken macht.

  2. Natalie Adler
    Natalie Adler sagte:

    Ich hatte mich damals tatsächlich gefragt, wie diese Flagge zustande gekommen ist, wusste aber nicht, wie viel Geschichte und Politik dahintersteckt. Vielen Dank, dass du uns diesen schönen Überblick darüber gegeben hast!

  3. Stella Enge
    Stella Enge sagte:

    Sehr spannender Beitrag! Auch ich habe mir über die grüne Flagge noch nie Gedanken gemacht – aber wirklich interessant, was da alles hintersteckt. Kaum zu glauben, was eine Vorliebe für grüne Kleidung alles bewirken kann.

  4. Ipek Ivecan
    Ipek Ivecan sagte:

    Sehr interessanter Beitrag! Insbesondere die Assoziation der Farbe Grün im Islam ist dir sehr gelungen und passt sehr gut in den historischen Diskurs.

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