Es war bunt, plakativ und konnte flott gegen ein neues Design eingetauscht werden. Es war der letzte Mode-Schrei – und aus Papier: Das Papierkleid war DAS It-Piece, das im Kleiderschrank jeder Frau der 1966er Jahre am Kleiderbügel baumelte. Zwei Jahre hielt der Modehype an – und ebbte genauso rasant wieder ab, wie er gekommen war. Doch wieso konnte sich der Trend nicht halten? Und welche Rolle spielt Papier in der Mode heute? Werfen wir einen genauen Blick auf die Papiermode.
Alles fing mit einem simplen Werbegag der US-amerikanischen Scott Paper Company an. Für nur 1,25 Dollar verkaufte der Klopapierhersteller Kleider, die aus ähnlichem Material wie Klopapier waren. Zu jedem verkauften Kleid gab es Gutscheine für Hygieneartikel dazu. Was als Scherz anfing, brachte der Firma über eine halbe Millionen Bestellungen ein. Ein Scherz, der sich zu einem extravaganten Modehype der Einwegkleidung in Amerika entwickelte und den Zeitgeist der damaligen Konsumgesellschaft widerspiegelte. Das erfolgreiche „Scotts Paper Caper“- Kleid zierte alles: Von buntem Paisleymuster, über geometrische, monochrome Figuren, bis hin zu Pop-Art-Design á la Andy Warhol.
Ein Werbegag als modisches Must-Have und politisches Statement
Schnell sprang die Modeindustrie auf den Trend der Papierkleider an: Designer konkurrierten um die farbenfrohsten, abstraktesten Aufdrucke, Modemagazine umwarben es, Prominente präsentierten sich in ihm und Firmen nutzten es als Werbefläche. Kleider der Marken Butterfinger und Baby Ruth, voll bedruckt mit Schokoriegeln oder das „Souper Dress“ der Marke Campbell mit den Suppenetiketten, für die Andy Warhol bekannt war, sind nur zwei Beispiele für die ausgefallenen Looks der Papierkleider.
Diese gabs für sparsame 20 Dollar zu erstehen – meist war die Preisspanne zwischen einem und acht Dollar. Der Marktführer Mars Manufactoring fabrizierte bis zu 80.000 Papierkleider pro Woche. Langeweile kam nicht auf: Noch bevor frau sich an dem Papierkleid satt sehen konnte, gab es schon eine neues Design im Kleiderschrank, das nur darauf wartete, ausgeführt zu werden. Das Papierkleid war designt, um nach einmal – höchstens zweimal – Tragen in den Müll zu wandern. Der „big paper craze“, wie der Hype auch genannt wurde, umfasste in der 1967er Jahren längst nicht mehr nur Kleider. Auch Hemden, Overalls, Unterwäsche, Abendkleider, Umstandsmode und sogar wasserfeste Papier-Bikinis waren in allen Kaufhäusern zu finden. Und wer seine Papierkleidung lieber selbst bemalte, konnte die Farben gleich mit kaufen.
Der Boom machte auch vor der Politik nicht halt: Bei der Präsidentschaftswahl 1968, bei der sich Demokrat Hubert Humphrey und Republikaner Richard Nixon gegenüberstanden, kam das Papierkleid zum Einsatz. Während Nixon an seine – bevorzugt jungen und adretten – Wählerinnen Kleider verteilte, die über und über mit seinem Namen sowie der amerikanischen Flagge bedruckt waren, war es Humphrey selbst, dessen Gesicht deren Papierkleider schmückte.
Fast Fashion: Die Vergänglichkeit der Mode
Wer denkt, Papier könne niemals als Textilie fungieren, irrt: Bereits im zehnten Jahrhundert gab es Papierkleider im asiatischen Raum (mehr dazu findet ihr in dem Beitrag von Judith Bahr „Papier als Textil“). Papier entsteht aus in einem chemischen Prozess verbundenen Pflanzenfasern. So auch Textilien, bei deren Herstellung die Fasern verwoben werden. Das Papiermischgewebe Kaycel, aus dem die Kleider entstanden, war zu 93 Prozent aus Cellulose und zu sieben Prozent aus Nylon, womit es tragbar und elastisch, wasserabweisend und feuerfest wurde. Dass das Papierkleid dennoch nicht waschbar, rissfest oder bewegungstauglich, vielmehr ein Einweg- und Wegwerfprodukt war, blieb unbeachtet. Die Rede war von rund 50 Millionen Dollar Mehrkosten durch Papierkleidungsreste.
Die DDR-Mode der 60er
Der Trend der Papierkleider kam bis nach Europa. Gerade in der DDR, in der es an Rohstoffen mangelte und modische Kleidung ein Luxusgut war, orientierten sich vor allem junge, modehungrige Leute an internationalen Trends. So entstand Vliesett-Kleidung, die zu 60 Prozent auf Zellwolle und zu 20 Prozent aus Dederon, einem Nylon-Kunstfaserstoff, und der Polyersterfaser Grisuten bestand. Wie das amerikanische Vorbild bestanden die Kleider streng genommen nicht aus reinem Papier, waren diesem optisch und in seinen Trageeigenschaften jedoch sehr ähnlich. Zwar ließen sich auch hier die verschiedensten Modelle leicht fertigen, die sogar bis zu fünf Waschgänge überstanden. Bei heftigen Bewegungen, Regen oder brennenden Zigaretten war jedoch Vorsicht geboten. Die geringe Strapazierfähigkeit störte aber nicht weiter: Risse wurden – ganz selbst ist die Frau – einfach zusammengeklebt und Kürzungen eigens mit der Schere vorgenommen. Nach einem kurzen Boom konnte sich das Vliesett jedoch nicht auf dem Markt halten. Mit zunehmendem Umweltbewusstsein verschwand die Papiermode sowohl in Europa, als auch in den USA. Papier mag zwar geduldig sein, in der Mode stand es jedoch für Vergänglichkeit, Massenkonsum und eine Wegwerfgesellschaft. Aber wie steht es heute um Papier in der Mode? Verschwand es wirklich gänzlich aus den Köpfen der Designer?
Papiermode heute: Zwischen Funktionalität und Kunst
Natürlich nicht. Papier mag zwar nicht das typische Material für die Herstellung von Kleidern sein, aber darin liegt seine Faszination. Heute bedeutet Papiermode weit mehr als die Anzüge der Spurensicherung, die grünen Operationskittel der Ärzte, die Haarnetze für Köche oder Lätzchen in Restaurants. Zahlreiche internationale Designer versuchen sich an den verschiedensten Kreationen aus Papier: Nicht nur kunstvolle Kleider, sondern auch Accessoires wie Schuhe, Taschen und Schmuck sind auf den Haute Couture Laufstegen der Welt zu bestaunen. So präsentieren namhafte Designer wie das belgische Duo A. F. Vandevorst, die schwedischen Modeschöpferinnen Sandra Baklund und Bea Szenfeld sowie die verstorbene Schweizer Designerin Christa de Carouge Haute-Couture-Kreationen aus Papier. Der Berliner Künstler Stephan Hann ist für seine Werke aus recyceltem Papier bekannt und der japanische Designer Issey Miyake ließ seine abstrakten, origamiartigen Papierkleider sogar live auf dem Runway an die Models falten. Und auch bei Stars ist das experimentelle Design der Papierkleider beliebt: Für Schlagzeilen sorgte das berühmte Papierkleid des Designers Mathieu Mirano, das Lady Gaga 2013 auf dem Laufsteg zu ihrer Videoprämiere „Applause“ trug. Und selbst Kleidung, die nicht aus Papier ist, eifert dem Material zumindest optisch nach: Bei Labels wie Dolce & Gabbana drehte sich in der Frühjahr-/Sommerkollektion von 2018 alles um Zeitungsprints.
Ein Herz für Papierkleider: Die ATOPOS Paper Dress Collection
All die Papierkleider aus den verschiedensten Jahrzehnten von Designern aus aller Welt werden von der Kultur-Organisation ATOPOS contemporary visual culture seit dem Jahr 2003 gesammelt. Die Ausstellung ATOPOS Paper Dress Collections ist noch in diesem Jahr in Athen zu bestaunen. „Wir sind überglücklich! Es ist schön zu sehen, dass sich eine immer grösser werdende Zahl an Menschen für die Mode aus Papier interessiert“, so Foteini Salvaridi, Operation Manager der Ausstellung. Damit dieser extravagante Modetrend nicht in Vergessenheit gerät, ist in den Ausstellungen von kunstvoller Vintage-Kleidung der 1960er Jahre bis hin zu abstrakten, modernen Papierdesigns alles zu sehen. Wie das Bildmaterial der ATOPOS jedoch schon vermuten lässt, besteht das Herzstück der Ausstellung aus den allseits beliebten, farbenfrohen und plakativen Papierkleidern aus den kurzen, aber stürmischen Modejahren von 1966 bis 1968. Papier ist also noch lange nicht aus der Mode. Der Unterschied: Heute wird dabei mit echtem Papier experimentiert. Und: Die aufwendigen Kunstwerke sind dabei, ganz im Gegensatz zu ihrem verschwenderischen Vorbild der 1966er Jahre, zwar sehr gewagt und nicht gerade alltagstauglich, jedoch nicht selten auch eine Hommage an das Recycling und dem Überschuss an gebrauchtem Papier.
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So viele bunte, schöne Kleider! Kann man die Kleider auch waschen?
Interessanter und auch sehr unterhaltsamer Blog – ich wusste nicht, dass Papierkleider so ‚verbreitet‘ waren, nur dass es auch Papieruniform gab. BOAC, jetzt British Airways, gab ihren Stewardessen in den späten 60ern solche ‚paper dresses‘ für die Flüge zwischen New York und der Karibik. Sie wurden für jeden Flug neu ‚kurz geschnitten“nach dem Motto ‚the shorter the sexier/better‘ und waren angeblich nicht brennbar (just as well, die Passagiere rauchten damals noch nach Herzenslust an Bord). Wohlbemerkt: die Stewards oder gar Piloten blieben von solchen Carnaby Street Kapriolen verschont! Hier kann man’s sehen:
https://blog.nms.ac.uk/2010/08/30/our-boeing-707-is-50/
Super schöner Text 🙂 Ich wusste gar nicht, dass Papiermode so eine Geschichte hat. Wäre es aus ökologischer Sicht nicht sogar sinnvoll, „Altpapier“ in der Mode zu recyclen? Und noch viel interessanter: Kann man in Papierkleidern sitzen? 🙂
Ein interessanter Blog mit schönen Fotos! Es hat mich überrascht, dass Papierkleider so lange Geschichte hat.
Ein sehr interessanter Blog! Ich hätte nie gedacht, dass Papier in der Modewelt eine so wichtige Rolle spielt! Ich habe eine Freundin und sie ist ein Model. Ich habe mal gesehen, dass sie Papierkleidung trug, um Fotos zu machen. Ich finde es sehr cool!