In einer Welt der Nationalstaaten sind Ausweispapiere unerlässlich. Der Pass zeigt uns nicht nur, wie ein Mensch heißt und wie er aussieht, sondern auch, wo er vermeintlich hingehört. Er verweist auf die Staatsangehörigkeit und attestiert diese für jeden einsehbar. Anträge stellen, umziehen, verreisen – ohne Identitätsnachweis ist ein geordnetes Leben kaum möglich. Der Pass ist das wohl bedeutungsvollste Papier, das ein Mensch besitzen kann.
Was es bedeutet, die eigenen Identitätspapiere und damit seine Staatsbürgerschaft abzugeben, hat die Frankfurterin Belinda P. gerade erst erlebt. In den letzten zweieinhalb Jahren durchlief die 25-Jährige den aufwendigen Prozess der Erlangung der deutschen Staatsbürgerschaft. Während ausländischen EU-Bürgern dabei in der Regel eine doppelte Staatsbürgerschaft zusteht, gilt dies für Bürger anderer europäischer Staaten wie der Türkei oder Serbien nicht. Seit drei Wochen ist Belinda nun endlich in Deutschland eingebürgert. Den Personalausweis konnte sie schon abholen, der Reisepass lässt noch auf sich warten. Derselbe Mensch, aber neue Papiere. Wie sie diese Erfahrung erlebt hat und ob die neuen Identitätspapiere ihr tatsächlich ein Stück weit eine „neue Identität“ verschafft haben, erzählt Belinda im Interview.
„Es ist ein kleiner Schritt für die Menschheit, aber ein großer Schritt für mich.“
Heute war die Europawahl und du durftest zum ersten Mal mitwählen. Ein gutes Gefühl?
Ja total! Ich habe mich darauf schon seit Tagen gefreut und auch jedem ein Foto von der Wahlberechtigung geschickt (lacht). Bei der letzten Wahl – ich glaube es war die Hessen-Wahl – tat es mir schon sehr leid, dass ich nicht mitwählen konnte. Man möchte natürlich auch mit entscheiden und seine Stimme abgeben.
Warum hast du dich entschieden, den deutschen Pass zu beantragen?
Ich bin in Deutschland aufgewachsen und möchte hier auch alt werden. Es war für mich klar, dass ich das früher oder später machen würde. Die Möglichkeit zu wählen ist nur ein wichtiger Punkt von vielen. Dazu kommt, dass ich Lehramt studiere und es für das Referendariat und die Verbeamtung mit der deutschen Staatsbürgerschaft sehr viel einfacher ist. Außerdem kann man mit dem deutschen Pass in viele Länder reisen, ohne ein Visum beantragen zu müssen. Ein Erlebnis war für mich da sehr einschneidend, das war im September 2016. Ich wollte nach England reisen und bin fälschlicherweise davon ausgegangen, dass Großbritannien im Schengenraum ist. Dementsprechend hatte ich mich nicht um ein Visum gekümmert. Am Flughafen durfte ich dann tatsächlich nicht in den Flieger steigen. Da wusste ich: Okay, jetzt wird es Zeit.
„Ich erinnere mich noch genau, wie der Flughafenmitarbeiter meinen Pass durchgeblättert und das Visum gesucht hat.“
Du standest also mit gepackten Koffern am Flughafen und durftest nicht ausreisen?
Ja, das war echt ärgerlich. Ich war so geschockt, dass ich sogar weinen musste. In England haben ja auch Leute auf mich gewartet. Es war ein komisches Gefühl: Nur weil ich die falschen Ausweispapiere hatte, konnte ich nicht in den Flieger steigen. Beim Check-In sind alle durchspaziert und ich durfte das dann eben nicht. Ich erinnere mich noch genau, wie der Flughafenmitarbeiter meinen Pass durchgeblättert und das Visum gesucht hat. Dann meinte er: „Nee, also sie haben kein Visum. Sie dürfen nicht mitreisen.“ Natürlich fühlt sich das irgendwie unfair an, schließlich kann man nichts dafür, an welchem Ort und in welchen Kulturkreis man geboren wird.
„Ich wusste, dass das ein riesiger bürokratischer Akt ist und unglaublich viel Papierkram.“
Wie lange hat der ganze Prozess gedauert – von deiner Entscheidung bis zum Moment der Einbürgerung?
Von Oktober 2016 bis März 2019, also insgesamt über zwei Jahre. Das hier (hält einen dicken Stapel Papiere hoch) ist die ganze Prozedur der letzten paar Monate, also ab dem Moment, als die Abmeldung in Serbien erledigt war. Der ganze Prozess davor, das war noch mal das Doppelte, vielleicht sogar mehr. Das war auch mit ein Grund, warum ich so lange gewartet habe. Ich wusste, dass das ein riesiger bürokratischer Akt ist und unglaublich viel Papierkram.
Um die deutsche Staatsangehörigkeit zu erlangen, musstest du die serbische aufgeben und schließlich auch deine Ausweispapiere abgeben. Hast du dich von deinem serbischen Pass irgendwie „verabschiedet“ – ein Foto gemacht oder ihn noch einmal angeschaut?
Ein Foto habe ich nicht gemacht, aber ich weiß noch, wie ich da im Warteraum saß, ihn durchgeblättert und noch einmal genau angeschaut habe. Eigentlich war das keine emotionale Sache für mich … (überlegt) … ich war nicht wirklich traurig, aber es war ein großer Schritt. Du gibst deinen Pass ab und weißt, du siehst ihn nie wieder. Da stehen immerhin deine Daten drin. Wer du bist, wo du wohnst und wohin du gereist bist.
Und dann hast du gesehen, wie dein Pass zerstört wurde?
Zerstört ist zu viel gesagt. Er wurde einfach gelocht, also ungültig gemacht.
Hat das etwas mit deinem Gefühl zu dir selbst – deiner Identität – gemacht?
Also das finde ich schwierig. Ich würde nie meine Identität daran festmachen, welchen Pass ich habe. Ich habe mich nicht weniger serbisch gefühlt, nur weil ich die serbische Staatsbürgerschaft abgegeben habe. Und ich fühle mich nicht deutscher, nur weil ich jetzt die deutsche Staatsbürgerschaft habe. Das hat also an sich nicht viel mit mir gemacht. Auf eine gewisse Weise sagt der Pass natürlich etwas darüber aus, wer ich bin. Aber was ich wirklich für ein Mensch bin, also meine Charaktereigenschaften, Gefühle und womit ich mich identifiziere, das steht im Pass nicht drin.
Wie lange musstest du nach diesem Tag auf deine deutschen Ausweispapiere warten?
Das waren zwei Monate, in denen ich komplett keine Papiere hatte. Da war ich staatenlos.
Was war das für ein Gefühl?
Komisch (lacht). Weil ich auf einmal keine Möglichkeit mehr hatte mich auszuweisen. Als die Einbürgerungsurkunde dann endlich kam, bin ich direkt zum Bürgeramt gegangen und habe Pass und Personalausweis beantragt. Ich erinnere mich noch, wie ich zu dem Sachbearbeiter sagte: „Es ist ein kleiner Schritt für die Menschheit, aber ein großer Schritt für mich“ (lacht).
„Auf dem Papier war ich serbisch, aber ich habe mich immer mehr deutsch gefühlt.“
Haben die Identitätspapiere also über die Funktion des Ausweisens hinaus auch eine emotionale Bedeutung?
Ja, auf jeden Fall. Ich habe das jetzt auch in unserem Gespräch gemerkt. Auch wenn es für mich an sich kein Problem war den serbischen Pass aufzugeben, war der ganze Prozess am Ende doch emotional. Jetzt freue ich mich einfach sehr auf meinen deutschen Reisepass. Ich glaube, das hat auch etwas mit unserer Hintergrundgeschichte zu tun. Im Jahr 2004 stand ich am Flughafen und wäre fast abgeschoben worden. Nach Serbien, was auf dem Papier mein Heimatland war, aber was für mich überhaupt nicht Heimat war. Ich kannte das Land nicht. Das war für mich schon sehr befremdlich, dass ich in ein Land geschickt werden sollte, das ich nicht kannte. Und daran kann man noch mal sehen, dass das nichts über deine Identität aussagt. Auf dem Papier war ich serbisch, aber ich habe mich immer mehr deutsch gefühlt. Und jetzt – 15 Jahre später – den deutschen Pass dann bald in meinen Händen zu halten und zu wissen „Okay, ich bin hier sicher und darf auf jeden Fall hier bleiben“, das ist für mich sehr wichtig. Das macht es noch mal emotionaler.
Go Belinda! Go Anna!
Ich liebe euch, schönes Interview iz da.
Grüßle Marie
Sheesh, Beno on fire! Real Life Stories! Word!
„Ja total!“
Einfach lit das Interview, gib ihm Girl skurrrr
Hat das mit dem Reisepass mittlerweile geklappt?
Auf Dauer wird Deutschland ja auch irgendwann langweilig. 😀
Ansonsten kann ich mich den anderen Kommentaren nur anschließen.. derbe fly das Interview! Skrrrr…
Interessante Kommentare hier 😀
Aber mal ernsthaft: Echt ein spannendes Interview! Das ist ja ein Thema, mit dem sich wahrscheinlich die meisten eher nicht so oft beschäftigen. Auch ich selbst habe mir darüber noch nie wirklich Gedanken gemacht. Aber wie viel letztendlich doch am Pass hängt, ist schon beeindruckend. Bleibt nur zu hoffen, dass man selbst nie in die Situation kommt. Alles Gute weiterhin für Belinda 🙂
Ich erinnere mich an die Diskussion mit einem Freund, der sich entscheiden musste, ob er den deutschen oder italienischen Pass behalten möchte. Damals konnte man nur in bestimmten Fällen eine doppelte Staatsbürgerschaft besitzen. Schon damals viel mir auf, wie viele Identitätsfragen an diesen Papieren hängt. Am Fall Belindas wird dies natürlich noch deutlicher.