Überlebenswichtig, rund und in der Mitte ein kleines Loch – das Flugzeugfenster. Wie die Luken gebaut werden und warum Sonnencreme im Handgepäck sinnvoll sein könnte, erklärt der Ingenieur Arno Gross im Interview.

Der 300 Tonnen schwere Stahlkoloss hebt vom Rollfeld ab. An Bord des Flugzeugs: schreiende Kinder, gestresste Geschäftsleute und strohhuttragende Tourist*innen, die sichtlich angespannt darauf warten, den ersten Rotwein beim Bordpersonal ordern zu können. Ich lehne mich zurück. Der ohrenbetäubende Lärm des Steigflugs gepaart mit schallenden Mallorca-Gesängen aus dem Heck des Flugzeugs lassen jedoch keine Entspannung zu. Also schaue ich aus dem Fenster. Die Welt unter mir wird langsam kleiner. Felder, Städte und Straßen wirken schon bald wie eine Spielzeugwiese. Die herannahende Wolkendecke dagegen erscheint zum Greifen nah. Ich beobachte weißen Dunst, blaue Endlosigkeit und manchmal ein paar flüchtige Momente der Erdansicht.

Bei genauer Betrachtung der etwa backblechgroßen Fensterluke fallen mir kleine Eiskristalle auf, die sich an der Außenseite der Scheibe bilden. Dabei fliege ich doch in den Süden! Zeitgleich scheinen wärmende Sonnenstrahlen auf meine Sitzreihe. Der Sonne bin ich nun um einige Kilometer näher. Brauche ich jetzt schon Sonnencreme? Ich begutachte die angegebene Reiseflughöhe auf dem Bildschirm am Ende meiner Sitzreihe. 11,7 Kilometer über dem Meeresspiegel. Die Luft dort draußen ist dünn. Warum haben Flugzeugfenster dann allesamt ein kleines Loch am unteren Rand? Ist das nicht gefährlich angesichts des geringen Luftdrucks, der in diesen Höhen herrscht? Zeit, genauer nachzufragen, wie Flugzeugfenster funktionieren und wie ein paar dünne Scheiben uns Passagiere vor einem lebensbedrohlichen Druckabfall schützen.

Sonnencreme im Handgepäck

Arno Gross lacht, als ich ihn frage, ob ein Lichtschutzfaktor 30 im Flugzeug ausreichen würde. Der ausgebildete Fluggerätemechaniker hat sich bereiterklärt, mir Rede und Antwort zu all meinen Fragen rund um das Mysterium Flugzeugfenster zu stehen. Nach seiner Ausbildung hat er ein Studium zum Maschinenbau in Augsburg begonnen. Den schwebenden Riesen möchte er jedoch treu bleiben und auch nach seinem Masterabschluss in der Luftfahrtindustrie tätig sein. Auf die Frage hin, ob er lieber im Gang oder am Fenster säße, erwidert er: „Eindeutig Fenster! Aber nicht nur wegen der schönen Aussicht. Bei einem klassischen Flugzeug-Nerd wie mir spielt auch der Ausblick auf die Technik eine Rolle.“

Dass es sich bei Fensterplätzen um die weniger sichere Variante handelt als bei einem Sitzplatz im Gang, sei ihm durchaus bewusst. Zum einen säße man in der Regel weiter entfernt von den Notausgängen. Zum anderen – und hier kommt die Sonnencreme ins Spiel – haben Studien der University of California ergeben, dass durch Flugzeugfenster einfallende UV-Strahlung die Entstehung von Hautkrebs fördern könne. Dies sei vor allem für Vielflieger*innen und Bordpersonal von Bedeutung, die auf Reiseflughöhe der schädlichen Strahlung wesentlich öfter ausgesetzt sind als Reisende auf dem Weg in den Süden. Die Scheiben eines Flugzeugs bestünden in der Regel aus Kunststoff, ergänzt Arno Gross: „Im Gegensatz zu Fensterglas hält dieser keine UV-Strahlung ab, lange Kleidung und das Auftragen von Sonnenschutz wurden deshalb im Rahmen dieser Studien empfohlen.“

Ein Loch im Fenster?

Doch wie sind die Fenster eines Flugzeugs aufgebaut? Und was hat es mit besagtem Loch auf sich?, frage ich den Ingenieur: „Flugzeugfenster sind normalerweise eine Konstruktion aus drei Scheiben. Die äußerste Scheibe hält den Druckunterschied aus, welcher auf einer durchschnittlichen Reiseflughöhe eines Passagierflugzeugs von neun bis zwölf Kilometern etwa 4.500 Newton beträgt.“ Das entspräche etwa dem Gewicht eines ausgewachsenen Pferdes, das auf jedem der Flugzeugfenster lastet. Die zweite Scheibe folge auf die erste wie bei einer Doppeltverglasung üblicher Fenster. Diese könnten jedoch durch den enormen Druckunterschied, der zwischen Erdoberfläche und Reiseflughöhe herrscht, nicht durch ein Vakuum oder Schutzgas miteinander verbunden werden. „Deshalb das kleine Loch am unteren Rand der mittleren Scheibe. Es hilft dabei, auf die Druckunterschiede zu reagieren“, erklärt Arno Gross. „Für Passagiere ist das kleine Loch also von großer Bedeutung. Die dritte innere Scheibe dagegen ist ein einfacher Kunststoff, der die beiden äußeren vor Kratzern und Beschädigungen schützt.“

Runde Ecken machen den Unterschied

Blick aus einem Flugzeugfenster auf den linken Flügel und die Landeklappen.

Nicht nur der Blick auf Wolken und den blauen, endlosen Himmel begeistert – ein Blick auf die Tragflächen lässt die Ingenieurskunst hinter dem Flugzeugbau erahnen. ©Javaistan

Beobachtet man Flugzeuge von verschiedenen Herstellern und unterschiedlicher Größe, so fällt auf, dass alle Fenster die gleiche Form haben: Sie sind rund, haben keine Ecken. Und das aus einem tragischen Grund: In den 1950er-Jahren kam es zu einer dramatischen Serie von Abstürzen des britischen Flugzeugstyps De Havilland Comet 1. Das erste Düsenverkehrsflugzeug zur kommerziellen Beförderung von Passagieren reiste mit fast 13 Kilometern auf einer wesentlich größeren Flughöhe als ihre Vorgängermaschinen, die nur rund 8 Kilometer über dem Boden geflogen sind. Aus zunächst unerklärlichen Gründen stürzten zahlreiche Maschinen des Modells ab, die Flugzeuge zerbrachen am Himmel, Insassen und Bordpersonal kamen ums Leben. Die Luftfahrtbehörden erteilten daraufhin ein vorläufiges Flugverbot. Noch bevor die Unfallursache aufgeklärt werden konnte, wurde das Verbot jedoch aufgehoben. Nur kurz darauf stürzte ein weiteres Flugzeug mitsamt seinen Passagier*innen vor der Küste Neapels ab und die Comet 1 wurde endgültig aus dem Verkehr gezogen.

Erst nach einer aufwendigen Untersuchung wurden die Auslöser der Abstürze gefunden: Weil sich die Druckkabine beim Auf- und Abstieg stark ausdehnte und zusammenzog, hatten sich Risse in der Struktur des Flugzeugs gebildet. Die Maschine hielt den Druckunterschieden nicht stand. Explosionsartige Druckverluste führten schließlich zum Zerbrechen der Comet 1 Modelle am Himmel. Arno Gross erklärt: „Erst nach einigen Untersuchungen kam man drauf, dass unter anderem die eckigen Fenster der Comet eine zentrale Schwachstelle in der Struktur des Flugzeuges waren. An den scharfen Ecken der Scheiben entstanden Spannungsüberhöhungen. Eckige Fenster waren damals gang und gäbe. Nur flog die Comet eben durch ihren neuartigen Düsenantrieb wesentlich höher. Gegen diesen Druckunterschied waren die eckigen Fenster nicht gewappnet. Aus diesen Abstürzen hat man gelernt und baut seitdem nur noch ovale Fenster, die durch abgerundete Ecken keine Schwachstellen mehr erzeugen.“

Virtuelle Flugzeugfenster

Dennoch seien Fenster immer eine Schwachstelle in der Baustruktur eines Flugzeugs, so der Maschinenbauer weiter. Dementsprechend wäre es einfacher, beim Bau eines Flugzeugs gänzlich auf Fenster zu verzichten. Je größer das Fenster, desto aufwändiger müsse die Stahlkonstruktion der Maschine verstärkt werden – dadurch steige auch das Gewicht der Flugzeuge. „Der Trend geht hin zu eher größeren Fenstern. Interessant sind aber auch virtuelle Fenster, die von manchen Airlines schon heute in First und Business Class verbaut werden. Hier würden für Passagier*innen Bildschirme installiert, die via Live-Übertragung vom Außenbereich des Flugzeugs einen virtuellen Fensterblick ermöglichen. Panoramafenster oder virtuelle Sternenhimmel gibt es auch schon.“ Diese sind dann gegebenenfalls wieder eckig. Von ihnen geht jedoch keine Gefahr für Reisende und Bordpersonal aus, da sie nicht Teil der Baustruktur des Flugzeuges sind, sondern im Rahmen der Innenausstattung installiert werden.

Blick aus einem fliegenden Flugzeug auf den linken Flügel und den Mount Fuji in Japan.

Die Aussicht würde Arno Gross gewiss gefallen: Sonnenaufgang mit Blick auf die Tragfläche des Flugzeugs – und ja, auch den heiligen Berg Fuji in Japan. ©Adrian Burkart

Auch wenn neue technische Entwicklungen das Gewicht eines Flugzeuges verringern und strukturelle Schwachstellen dadurch vermieden werden könnten, so schaut Arno Gross doch lieber aus einem echten Fenster, sagt er: „Am liebsten auf den Sonnenuntergang. Aber davor auf die Landklappen hinter der Tragfläche, das beobachte ich von meinem Fensterplatz aus am liebsten.“

 

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