Wer kennt das Gefühl nicht, ein bekanntes Gesicht zu sehen und den Wunsch zu verspüren hier und jetzt im Boden zu versinken? (Du kennst das nicht? – Dann melde dich, ich freue mich dich kennenzulernen!) Die Geister unserer Vergangenheit statten uns gerne mal einen Besuch ab, besonders dann, wenn wir nicht damit rechnen. Hier eine Auflistung der drei schlimmsten Geisterbesuche, die wir lieber wieder vergessen wollen. Eine Glosse.
Ich stehe in der Schlange zur Essensausgabe in der Mensa und drehe mich suchend nach meinen Freunden um, als ich ihn entdecke. Mist – schnell weggucken bevor er merkt, dass ich ihn gesehen habe. Ich ziehe mein Handy raus und starre in höchster Konzentration auf den Bildschirm, als würde ich die Live-Übertragung des Royal Wedding anschauen. Okay, ich bin an der Reihe, lege meine Karte auf das Lesegerät und husche durch die Schranke. Schnell das Tablett nehmen und in der Menge verschwinden. Das ist gerade nochmal gut gegangen.
Der Geist der Verflossenen
Der Geist der Verflossenen, auch in der Alltagssprache bekannt unter dem Namen „mein/e Ex“, ist eine besondere Spezies der Geister der Vergangenheit – man fürchtet und sehnt ihn gleichermaßen herbei. Die Furcht und die Spannung, dem Geist vielleicht irgendwo zu begegnen, macht ihn zu einer sehr ambivalenten Geistersorte. Zu der Verhaltensweise des Geistes zählen unerwartetes Auftauchen an öffentlichen Orten sowie das Talent der zufälligen Begegnung an sogenannten „Bad-Hair-Days“. Als Opfer solcher Übergriffe gibt es zwei verschiedenen Arten der Reaktion: Entweder man versteckt sich und ignoriert den Geist gekonnt, oder man stellt sich der direkten Konfrontation. In jedem Fall lässt der Geist der Verflossenen die Heimgesuchten mit einem unguten Gefühl zurück. Entweder mit Reue, wenn der Wunsch hochkommt den Geist der Verflossenen wieder zum Leben zu erwecken, oder mit Scham, wenn dem nicht so ist.
Mein Blick schweift suchend durch die große Halle der Uni Mensa. Wo haben die sich denn schon wieder hingesetzt?! Oh nein, das kann doch nicht wahr sein – da sitzt er direkt auf dem Weg zu dem Tisch meiner Freunde. Okay, einfach total gelassen und cool an ihm vorbei laufen und auf gar keinen Fall in seine Richtung schauen. Ich laufe los, mein rechtes Auge schielt nach ihm, um zu sehen, ob er mich schon bemerkt hat. Geschafft – ich bin am Tisch angekommen. Sehr souverän habe ich das gelöst. Niemand hat etwas gemerkt. Mein Tablett ist nicht umgefallen und viel wichtiger: Ich glaube, er hat mich tatsächlich nicht gesehen.
Der Geist der vergangenen Weihnacht
Der Geist der vergangenen Weihnacht soll hier als zweiter Geistertypus der Vergangenheit genannt werden. Der Name leitet sich von dem bekanntesten und wohl am meisten gefürchteten Familienfest im christlichen Abendland ab: dem Weihnachtsfest. Der Geist umschließt jedoch jegliche Art von familiärer Zusammenkunft, welches ein Aufeinandertreffen mit entfernten Verwandten beinhaltet, wie beispielsweise Hochzeiten, Geburtstage, Ostern oder Beerdigungen. Deutlich zu erkennen ist der Geist an seiner großen Neugierde, welche sich in Form von direkten Fragen oder Aufforderungen äußert: „Wie läuft es denn mit der Liebe? Und was studierst du da nochmal? Du könntest auch öfter anrufen!“ Es ist daher möglich den Geist der vergangenen Weihnacht als Detektiv zu bezeichnen, da er es wie kein anderer versteht, seine Opfer in großes Unbehagen zu bringen und stets komplizierten Sachverhalten auf den Grund geht.
Erleichtert setze ich mich zu meinen Freunden und will gerade anfangen zu essen, als mir jemand auf die Schulter klopft. „Da bist du ja! Ich versuche schon die ganze Zeit, dir zu winken, aber du scheinst mich einfach nicht gesehen zu haben!“
Der Geist der Verdrängung
Der Geist der Verdrängung äußert sich weitaus unauffälliger als die beiden anderen genannten Geistertypen. Er nimmt meistens keine menschliche Gestalt an, sondern sucht seine Opfer in anderen Formen heim: Ob als Mahnung unter einem Haufen Bücher oder als die Präsentation, die man eigentlich schon vor einer Woche hätte abgeben müssen. Der Geist der Verdrängung ist ein Meister der Tarnung. Sein Überraschungseffekt ist mit dem des Geistes der Verflossenen zu vergleichen – schnell, brutal und stets zum falschen Zeitpunkt. Der Geist der Verdrängung macht nicht auf sich aufmerksam, ist nicht laut oder offensichtlich. Er ist subtil und schleicht sich heimlich von hinten an uns heran. Der Geist der Verdrängung kommt, wenn man ihn am wenigstens erwartet. Umso stärker ist seine Wirkung, wenn er uns tatsächlich heimsucht. Dann schlägt er ein wie eine Bombe und hinterlässt meistens nur noch Verzweiflung.
Jetzt komme ich aus der Sache wirklich nicht mehr raus: „Hallo Papa! Oh nein das tut mir leid, ich hab dich wirklich nicht gesehen, wie schön dass du mich gefunden hast!“ – „Ich hatte schon das Gefühl, du ignorierst mich. Willst du mich denn nicht deinen Freunden vorstellen? Dich stört es doch nicht, dass ich jetzt hier Dozent bin, oder?“ Oh je, da hat mich wohl eine ganz besondere Art von Geist heimgesucht.
Die Geister unserer Vergangenheit suchen uns gerne in der Gegenwart heim und lassen uns hilflos zurück. Sie sind oft so schnell wieder weg, wie sie gekommen sind. Egal ob Ex-Freund*in, entfernte Verwandtschaft oder vergessene Pflichten – früher oder später holen sie uns alle ein, die Geister unserer Vergangenheit.
Super Artikel und toll umgesetzt mit den wiederkehrenden Situationen. Erst kürzlich war auch ich wieder in solch einer Lage, sehr beruhigend zu wissen dass es nicht nur mir so ergeht.
Sehr unterhaltsamer Beitrag. Habe mich in der ein oder anderen Passage wiederentdeckt:) Super wie du die Brücke von Alltagssituationen zum Thema Gespenster schlägst.