Ob es ein Leben nach dem Tod gibt, hat die Menschheit immer interessiert, weil die Antwort offenbart, ob es so etwas wie eine unsterbliche Seele gibt. Bis vor kurzem haben sich nur Religionen mit solchen Fragen beschäftigt. Jetzt kommt die Wissenschaft ins Spiel – ein digitales Nachleben ist nicht mehr nur Fantasie, sondern eine vorstellbare Zukunft.
Jede Geschichte findet früher oder später ihr Ende. Die Helden können in den Sonnenuntergang reiten und sich im Licht der Sonne auflösen oder ruhig ihre müden Augen auf dem Sterbebett schließen. Was danach geschieht, bleibt jedoch ‚jenseits‘, im Bereich der freien Vorstellungskraft. Nach den grundlegendsten christlichen Vorstellungen etwa gelangt die unsterbliche Seele nach dem physischen Tod des Körpers in eine ‚andere Welt‘. Da entscheidet Gott, ob diese Seele ewig im Licht des Paradieses bleibt oder im Feuer der Hölle brennen muss. Jeder Glaube besagt, dass es eine höhere Gerechtigkeit als die menschliche gibt. Und Menschen sollen sich mit diesen Fragen nicht beschäftigen – wir müssen hier auf der Erde unsere Bestimmung erfüllen und die Frage nach dem Nachleben höheren Mächten überlassen.
Der wissenschaftliche Ansatz zur Erkenntnis bietet heute einen alternativen Blick auf diesen Fragen. Menschen streben nach Kontrolle und somit nach Wissen. Nicht jeder wird sich mit religiösen Erklärungen zufriedengeben, vor allem jetzt, wenn die Ideen eines digitalen Nachlebens immer stärker werden.
Wir glauben nicht, wir erforschen…
Obwohl das Geheimnis des menschlichen Bewusstseins für die Wissenschaft immer noch ein Rätsel bleibt, werden die Experimente zur Schaffung eines künstlichen Menschen immer häufiger. Hiroshi Ishiguro, Direktor des Intelligent Robotics Laboratory an der Osaka University in Japan, versucht, das menschliche Bewusstsein zu verstehen. Daher entwickelt er Androiden, die genauso aussehen und sich verhalten wie Menschen. Seine Experimente sind faszinierend, aber auch beängstigend. Obwohl die Roboter oft wie lebende Menschen aussehen, fehlt ihnen die menschliche Essenz – Leben, Bewusstsein oder Seele… Die Schaffung eines neuen ‚künstlichen‘ Menschen ist bisher unvorstellbar, aber wie wäre es mit der Verlängerung des Lebens von Menschen, die bereits existieren?
In einem Interview mit dem Kulturmagazin 52 Insights sagt Hiroshi Ishiguro: „We never define humans based on their bodies.“ Er meint damit, dass die Menschen auch dann Menschen bleiben, wenn sie künstliche Organe haben. Aber wo liegt die Grenze? Wo genau befindet sich unser Bewusstsein, damit wir es manipulieren und in einen Roboter oder in ein Computerprogramm übertragen können, das Leben simuliert? Oder ist unser wahres ‚Ich‘ gerade die unsterbliche Seele, die unabhängig von Manipulationen am Körper existiert und einer höheren, der Menschheit unbekannten Logik folgt?
Ist digitales Nachleben unsere Zukunft?
Auf die Frage, ob ein digitales Leben nach dem Tod in der Zukunft möglich sein wird, sagt Samuel Neumann, Student der Archäologie und Geschichtswissenschaft an der Universität Tübingen, „dass wir im digitalen Zeitalter auch unser Nachleben in digitaler Form verewigen werden wollen.“ Unter dem möglichen zukünftigen ‚digitalen Nachleben‘ stellt er sich „digitalen Friedhöfe, online oder als Grab-Bildschirme“ vor. Samuel denkt, dass ein digitales Nachleben niemals dem echten Leben ähneln würde, sondern eher einer leeren Hülle, einer Imitation. Er vermutet, dass „ein so vielfältiges wie einzigartiges Wesen wie der Mensch niemals in so einem Umfang digital gleichwertig repräsentabel“ sein wird. Ich frage mich, wird es ähnlich aussehen wie die Androiden von Hiroshi Ishiguro, aber mit dem Verhalten und Reaktionen, um einst lebende Menschen zu simulieren?
Auf der anderen Seite weiß man auch nicht, was in der Zukunft möglich sein könnte. Valeria Valuyski, eine Studentin der Medienwissenschaft und Japanologie der Universität Tübingen behauptet, dass etwas wie digitales Nachleben nicht unmöglich ist. „Viele Sachen, von denen wir früher dachten, sie wären Sci-Fi, sind möglich geworden, beispielsweise Raumfahrt“. Auf die Frage, wie ein ähnliches digitales Nachleben aussehen würde, meint Valeria: „Das erste, was mir einfällt, ist eine virtuelle Welt, in der die Persönlichkeit in einen Avatar geladen werden kann, in der man mit den Avataren anderer interagieren kann und vielleicht sogar mit noch ‚lebendigen‘ Menschen, die sich auch einen Avatar erstellen könnten“. Aber ihr persönlicher Standpunkt ist, dass es „selbst im realistischen Programm mit der realistischsten Grafik trotzdem nicht dasselbe“ wie im echten Leben wäre.
Sollten wir an die Unsterblichkeit der Seele glauben?
Wenn wir uns vorstellen, dass wir unser Gedächtnis, Aussehen und typische Reaktionen in einen Computer hochladen können, wird klar, die Seele könnte man sicher nicht hochladen. Oder sie existiert einfach nicht? Pablo Velasquez, Politik- und Theologie-Student der Universität Tübingen, denkt, dass das Konzept der ‚unsterbliche Seele‘ nur für diejeningen unmöglich sei, „deren Weltanschauung eine strenge materialistische Realität als das einzig Wahre deutet, was philosophisch nur eine dogmatische Position ist, und deswegen auch meiner Meinung nach falsch.“
Man kann eine interessante Situation beobachten. Einerseits wenden sich diejenigen, die sich nicht auf die unbekannte Zukunft und nicht empirisch nachweisbare Kräfte einlassen wollen, der Wissenschaft zu. Diese strebt nach objektivem Wissen über die Realität und der Möglichkeit, Leben und Tod in ‚menschliche Hände‘ zu nehmen. Andererseits kann die Wissenschaft bisher auch nicht versprechen, dass etwas wie ein digitales Leben nach dem Tod realisierbar sein wird. Daher sind beide Perspektiven auf die Frage des Nachlebens – wissenschaftlich und religiös – Glaubensfragen.
Der Mensch ist ein einzigartiges Wesen – wir sind nicht mit der Ordnung zufrieden, nach der wir existieren müssen. In der Nacht machen wir Licht, um den Tag zu verlängern, im Winter heizen wir, um den Sommer zu haben. Aber der Tod bleibt für uns eine unüberwindbare Hürde. Daher müssen wir wählen, welcher Vorstellung vom Nachleben oder seiner Abwesenheit wir vertrauen wollen. Und was kommt danach? Wie sagte einst ein Menschensohn: „Euch geschehe nach eurem Glauben!“ (Matthäus 9:29).
Beitragsbild: Photo by Jon Tyson on Unsplash
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