Geboren 1991, gestorben 2024? Das Ende der digitalen Fotografie

Wie alle Medien ist auch die Fotografie einem stetigen Wandel unterworfen. Erfindungen wie Diaprojektoren oder analoge Kameras werden von neuen digitalen Technologien an den Rand gedrängt. Seit der Pionierzeit hat sich einiges in der Fotografie verändert. Hat sie sich mit ihrer konstanten Entwicklung ihr eigenes Grab geschaufelt? 

Die wohl erste Fotografie wurde vor etwa 200 Jahren von Joseph Nicéphore Niépce  aufgenommen und zeigt den Blick aus seinem Arbeitszimmer. Dass er dafür über acht Stunden aufbringen musste, scheint heute unvorstellbar. Denn was einst ein handwerklich anspruchsvolles und zeitintensives Verfahren war, hat sich durch die Digitalisierung extrem beschleunigt. Allein mit dem Smartphone lassen sich Fotos mühelos aufnehmen und in kürzester Zeit mit anderen teilen. Aber hat die Digitalisierung der Fotografie auch Nebenwirkungen, die gar das Ende der Fotografie einläuten? Es folgen fünf Beobachtungen. 

1. Visuelle Überdosis: die digitale Bildflut

Polarlichter im Mai in Deutschland: Was in der Nacht noch einzigartig wirkte, wurde am nächsten Tag in der digitalen Lawine ähnlicher Bilder verschüttet. Bild: Antonia Lehn

Laut Earthweb.de werden allein auf Instagram über 60.000 Fotos pro Minute geteilt, etwa 1.000 pro Sekunde. Diese Bilder sind wichtig, denn sie hauchen den sozialen Medien ihr Leben ein und sorgen für all den Content, durch den sich Nutzer*innen scrollen, klicken und wischen können. Doch während Likes und Kommentare in die Höhe schnellen, erstickt die Wertschätzung für das einzelne Bild an der nächsten Welle der permanenten Bildflut. 

2. Gleichheitsvirus: der Tod des Einzigartigen 

Innenkamera und Selfiestick haben einer neuen Perspektive den Siegeszug verschafft: den Selfies. Bild: Pexels.

Innenkamera und Selfiestick haben einer neuen Perspektive den Siegeszug verschafft: den Selfies. Bild: Pexels.

Die Leichtigkeit, mit der sich digitale Bilder teilen lassen, hat eine Pandemie der Beliebigkeit ausgelöst. Was einst sorgfältig komponiertes Kunstwerk war, ist heute meist ein flüchtiger Schnappschuss. Virale Trends wie #wokeuplikethis oder #nofilterselfie tragen zur Angleichung der Bilder bei, was sie in gewisser Weise austauschbar macht. 

3. Diagnose unglaubwürdig: der Tod des Vertrauens 

Auch in diesem Beitrag darf nicht allen Bildern Glauben geschenkt werden. Bild: Antonia Lehn, erstellt mit dem Bildgenerator RunwayML

Nicht alle künstlich erstellen Bilder sind so leicht zu enttarnen wie dieses anhand der fraglichen Inschrift. Bild: Antonia Lehn, erstellt mit RunwayML

Nicht alle künstlich erstellen Bilder sind so leicht zu enttarnen wie dieses anhand der fraglichen Inschrift. Bild: Antonia Lehn, erstellt mit RunwayML

Digitale Möglichkeiten der Bildmanipulation durch Bearbeitungssoftware haben das Vertrauen in die Fotografie untergraben. Von vermeintlich gefälschten und instrumentalisierten Aufnahmen einer Demonstration gegen Rechts in Hamburg bis zum schlecht retuschierten Familienportrait der Herzogin Kate: Die bei ihrer Geburt unhinterfragte Authentizität der Fotografie, ihre realitätsbezeugende Beweiskraft, liegt aktuell im Sterben – erdrückt von Zweifeln und Misstrauen. 

4. Visueller Kannibalismus: KI frisst Fotografie 

Was verändert sich, wenn kein Mensch mehr durch den Sucher schaut, sondern künstliche Intelligenzen Bilder erschaffen? Bild: Pexels

Was verändert sich, wenn kein Mensch mehr durch den Sucher schaut, sondern künstliche Intelligenzen Bilder erschaffen? Bild: Pexels

Bildgenerierende Intelligenzen markieren eine neue visuelle Zeitenwende. Mit ihnen lassen sich Bilder ohne jegliche praktische Aufnahme erstellen, meist basierend auf existierenden Aufnahmen. Und häufig ohne Rücksicht auf Urheber- und Bildrechte, was einer Kannibalisierung der Bilderschaffung gleicht. 

5. Berufsfotografie auf dem Sterbebett: ein Handwerk in Not 

nach unten gerichtete Kamera auf einem Stativ

Steil nach unten geht auch die Zahl der Ausbildungsplätze. Bild: Pexels.

Der schwindende Wert der Fotografie zeigt sich auch in der prekären Berufssituation. Auszubildende Fotograf*innen verdienen in ihrer dreijährigen Berufsausbildung kaum mehr als 500 Euro monatlich. Fotoautomaten in Drogerien und Onlineanbieter verdrängen Ausbildungsbetriebe, während Laienfotograf*innen den Markt übernehmen. 

All diese Beobachtungen zeigen, wie geschwächt die Fotografie ist – trotz oder gerade durch ihre digitale Allgegenwärtigkeit. Es scheint, als würden neuentwickelte Techniken sie nach und nach ablösen, wie sie einst selbst im 19. Jahrhundert Maler aus dem Porträtmarkt verdrängt hat. Doch auch wenn Wertschätzung und Vertrauen in digitale Bilder schwinden, beweisen Gegentrends wie das Wiederaufleben von Instant- und Polaroidkameras, dass sich Bedeutungen und Funktionen auch weiter wandeln können und das digitale Ende der Fotografie noch nicht gewiss ist. 

 

Beitragsbild: Antonia Lehn, erstellt mit dem Bildgenerator RunwayML

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