Techno als Fenster zu einer anderen Welt – ohne dass echte Fenster vorhanden sind. In den meisten Technoclubs ist es immer dunkel. Worin besteht hierbei der Reiz? Und können dort nur Nächte ohne Durchblick verbracht werden?
Dunkle Gassen. Unscheinbare Gebäude. Dröhnende Bässe. Techno. Eine Welt, in die man von außen kaum Einblicke erhält. Eine Welt, die denjenigen verborgen bleibt, die nicht selbst eintauchen. Technoclubs besitzen nämlich oftmals keinerlei Fenster. Und damit einhergehend: durchdringende, allumfassende Dunkelheit.
„Als ich gespielt habe, konnte ich das Publikum relativ gut sehen. Ich selbst war aber im Dunkeln. Dadurch habe ich mich super wohl gefühlt. Das war die perfekte Mischung aus hell und dunkel. Dadurch habe ich mich auch so ein bisschen unbeobachtet gefühlt.“ So äußert sich Dominique Lamee zu ihrem Gefühl in Technoclubs. Sie ist DJane, aber auch Clubbesitzerin vom Haus 33 in Nürnberg. In diesen Clubs ist es seit jeher besonders beliebt, im Reiz der Dunkelheit zu feiern. Dieser Reiz ist außergewöhnlich und möchte vor allem in solch einer Szene besonders ausgiebig genutzt werden. In sogenannten Darkrooms können Feiernde beispielsweise ihren besonderen Gelüsten nachgehen, die im Alltag oftmals keinen oder nur wenig Platz finden. Man kann sich hier auch sicher sein, sich unter Gleichgesinnten zu befinden. Menschen, die den Moment leben möchten, eben ohne dabei unbedingt erkannt zu werden. Jegliche Formen von Extase haben so schnell ihren Platz in der Szene gefunden. Erstmals fand eine Jugendkultur beim Feiern durch genau dies zusammen. Extase in Form von Drogen, Sex, Musik, Rausch und vielem mehr.
Die Technoszene hebt sich dadurch sehr von anderen Feierkulturen ab. Die Dunkelheit fungiert als essenzielles Leitmotiv, welches sich beispielsweise auch in der Kleidung der Feiernden widerspiegelt. Es kann nicht dunkel und düster genug sein. Bei Clubevents werde, im Vergleich zu Open-Air-Events, auch noch einmal härterer und düsterer Techno gespielt werden, beschreibt Dominique Lamee. Die Dunkelheit bezieht sich in der Technoszene also nicht ausschließlich auf die Räumlichkeiten. Auch Kleidung und die Musik selbst haben sich an diese Vorstellungen von ‚Dunkelheit‘ angepasst.
Doch welchen Einfluss hat die vorherrschende Dunkelheit, welche durch fensterlose Clubräume erzeugt wird, nun auf die Menschen vor Ort? Menschen, die sich dort nach eigenem Willen bis zu zehn Stunden oder gar noch länger aufhalten?
Die Hemmungen
Im Schutze der Dunkelheit und im Antrieb der peitschenden Bässe fallen Hemmungen sehr viel schneller und ausgiebiger als unter normalen Umständen. „Ich glaube, wenn man feiern ist und es ist dunkel, dann hat man mehr das Gefühl für sich zu sein und auch nicht so gesehen zu werden von anderen. Man fühlt sich unbeobachtet. Frei in dem Moment“, verdeutlicht Dominique Lamee. Jeder kann im Schutz der Dunkelheit seine Persönlichkeit und jeden einzelnen noch so kreativen Charakterzug ausleben.
Die Musik
„Man kann viel mehr in die Musik gehen“, so Dominique Lamee. Die besondere Atmosphäre in Technoclubs wird überhaupt erst durch die fehlenden Fenster erzeugt. Durch die Dunkelheit treten die visuellen Sinnesreize in den Hintergrund. Stattdessen liegt nun der Fokus auf den anderen Sinnen wie dem Hören der Musik und dem Fühlen der Vibrationen. Die Musik kann mit diesen Sinnen viel intensiver wahrgenommen werden und lässt einen in eine Welt eintauchen, die mit der Dunkelheit perfekt harmoniert. Das einzige Licht, welches im Inneren zu sehen ist, steht oftmals im Einklang mit den Bässen und der Musik.
Man sieht seine Umgebung also in einem völlig anderen Licht, welches unabhängig vom Tageslicht zu existieren scheint. Im Licht der Musik.
Das Zeitgefühl
„Voll oft geht man dann raus aus dem Club und man denkt: Fuck, es ist schon hell. Das kommt natürlich vor“, sagt DJane Dominique Lamee. Sich die ganze Nacht in einem völlig dunklen Raum aufzuhalten, verändert oftmals die Wahrnehmung des Einzelnen. Vor allem dahingehend, wie viel Uhr es ist und wie viel Zeit bereits vergangen ist. Das sei aber natürlich auch dem geschuldet, dass man die ganze Zeit mit dem Tanzen verbringe und gar nicht wirklich verstehe, was da draußen in der Welt so passiert, so Dominique Lamee. Die Welt zieht in solchen Nächten ein Stück weit einfach an einem vorbei. Man lebt im Hier und Jetzt.
Der Schlaf und das „Nach-Hause-Kommen“
Ein großer Nachteil so einer exzessiven Partynacht im Dunkeln kann jedoch die Umstellung auf den gewohnten Schlafrhythmus darstellen. „Dann gehst du schlafen, wenn es hell ist, weil zu Hause hast du ja Fenster. Das kann dann auch mal zu einem Problem werden”, gibt Dominique Lamee zu bedenken. Ja, stimmt. Zu Hause ist dann plötzlich alles wieder beim Alten und geht seinem geregelten Lauf nach. Das führt häufig zu einer grundlegenden Irritation zweier Welten. Gerade noch die ganze Nacht in einem stockdusteren Club gefeiert – und zu Hause ist auf einmal wieder alles normal. Die Fenster zu Hause führen einem die Normalität vor Augen und erleuchten die unnatürlichen Gewohnheiten der letzten Nacht.
Aber warum ist das überhaupt so? Warum hat sich der Gedanke etabliert, dass es in Technoclubs keine Fenster gibt? „Fenster werden oftmals auch einfach aufgrund von Lautstärkeregelungen zugemauert. Jedes Fenster ist bei uns nicht nur zu, sondern eben komplett zugemauert“, so Dominique Lamee. Das Fehlen der Fenster hat also auch einen ganz praktischen Grund. Um die Nachbarn und die weitere Umgebung nicht zu sehr zu stören und trotzdem ausgelassen in voller Lautstärke und nach eigenem Belieben feiern zu können.
Kann man in Technoclubs also nur Nächte ohne Durchblick erleben? Nein. Dominique Lamee beschreibt es passend mit den Worten: „Das ist alles total Geschmackssacke.“ Techno feiern gehen heißt also nicht gleich keinen Durchblick zu haben. Es gibt Menschen, die nicht gesehen werden wollen und wiederum auch nicht wollen, dass sie selbst andere sehen. Wenn man jedoch den Durchblick behalten möchte, ist das überhaupt nicht schwer: Man sollte häufiger mal auf die Uhr schauen, nicht erst in den frühen Morgenstunden nach Hause gehen, auf eine Afterhour verzichten. Das sind nur einige Beispiele. Am allerwichtigsten ist allerdings ganz sicher: Man muss den Moment genießen, die Hemmungen verlieren, sich treiben lassen, sich frei fühlen.
Dann verleiht einem Techno und seine Räumlichkeiten den Durchblick in eine neue, einzigartige und vielseitige Welt. Ganz ohne echte Fenster.
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Titelbild: © Aleksandr Popov/Unsplash