Im ausgehenden 19. Jahrhundert war Deutschland von der „weißen Pest“ befallen – Tuberkulose hatte sich ausgebreitet. Inzwischen ist die Lungenkrankheit hierzulande fast ausgerottet. Übriggeblieben sind nur Relikte aus diesen Tagen: Verfallene, ehemalige Lungenheilstätten, die Geisterjäger*innen magisch anziehen. Eine davon ist die Sophienheilstätte im thüringischen Bad Berka. Ina Mecke wollte herausfinden, ob es dort wirklich spukt und hat sich auf den Weg gemacht.

Die Vögel zwitschern zwischen Bad Berka und München. Die Rede ist nicht von der bayerischen Landeshauptstadt, sondern von dem 100-Seelen-Dorf in Thüringen. Ich befinde mich auf einem Waldweg, auf der Suche nach einem Spukort. Irgendwo hier soll es eine ehemalige Lungenklinik geben: Die Sophienheilstätte, die seit 1994 geschlossen ist und nun leer steht. Im Internet wimmelt es von Handyvideos und Fotos des verlassenen Ortes. Angeblich sollen hier Gespenster gesichtet worden sein. Ich sehe lediglich Bäume und folge zu Fuß den Anweisungen meines Navigationssystems auf dem Handy. Da ein verlassener Ort keine Adresse hat, orientiere ich mich an den Koordinaten.

Von der Lungenklinik zum Herz-Kreislauf-Zentrum

Vor meiner Expedition hatte ich mich über das leerstehende Krankenhaus informiert: Die Sophienheilstätte wurde 1898 als Klinik für Tuberkulose-Kranke errichtet und gehörte zu einem der ersten deutschen Krankenhäusern mit diesem Schwerpunkt. Entdeckt wurde die Krankheit 16 Jahre zuvor durch den Bakteriologen Robert Koch. In diesem Zeitraum war die sogenannte „weiße Pest“ eine regelrechte Epidemie in Deutschland. „In den 1880er-Jahren starben im deutschen Raum jährlich 110.000 bis 120.000 Menschen an der Tuberkulose“, erklärt der Historiker Manfred Vasold im Focus. Zwar entwickelte sich die Medizin in den darauf folgenden Jahrzehnten weiter, an eine Ausrottung der Krankheit war aber in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht zu denken.

Durch den medizinischen Fortschritt und die in den 1950er-Jahren eingeführte Impfpflicht in der DDR wurde die Tuberkulose in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts dort nahezu ausgerottet. Auch die Sophienheilstätte und ihr damaliger Leiter Adolf Tegtmeier hatten maßgeblichen Anteil an dieser Entwicklung. Mit dem Rückgang der Krankheit wurde aus der Lungenheilstätte nach und nach ein bedeutendes Herz-Kreislauf-Zentrum.

Nach dem Fall der Mauer, im Zuge der politischen Wende, wurde das Gesundheitswesen in der ehemaligen DDR neu strukturiert. Für Bad Berka bedeutete das umfangreiche Veränderungen, unter anderem den Neubau einer Zentralklinik. Die Sophienheilstätte blieb allerdings auf der Strecke: Am 31. Dezember 1993 schloss sie ihre Pforten.

Vom Verfall und Vandalismus gezeichnet

Ich befinde mich immer noch im Wald. Mein Navi deutet an, dass ich ganz in der Nähe der verlassenen Klinik sein muss. Ich komme an eine Weggabelung, die durch eine geöffnete Schranke markiert ist. Rechterhand erahne ich ein Gebäude hinter den Baumreihen. Ein paar Schritte, und ich traue meinen Augen nicht: Wie aus dem Nichts liegt da plötzlich ein verfallener Gebäudekomplex vor mir, eng umgeben von Laub- und Nadelbäumen.

Zunächst fallen mir abgebrochene Mauerreste und ein hoher Schornstein ins Auge. Das Ausmaß des Anwesens lässt sich jedoch bereits erahnen: Im Hintergrund kommen weitere Gebäude zum Vorschein. Ein verrostetes Bushäuschen mit eingeschlagenen Fensterscheiben deutet darauf hin, dass dieser Ort einst von Bedeutung gewesen sein muss.

Ich nehme mir Zeit und laufe das Gelände ab. Vorbei an offenen Toren, Garagen, mehreren Nebenhäusern und dem überwältigenden Haupthaus. Der Vandalismus hat seine deutlichen Spuren hinterlassen. Bereits zweimal hat es hier in den vergangenen Jahren gebrannt: Im Frühjahr 2015 brannte eine der beiden Liegehallen völlig ab, nur ein Jahr später ein Flachbau auf dem Gelände. In beiden Fällen geht die Polizei von Brandstiftung aus. Außerdem sind unzählige Fensterscheiben eingeschlagen und die Wände mit Graffiti übersät.

Spielwiese für die Phantasie

Die Anlage ist zu Recht ein beliebtes Ziel von Geisterjäger*innen, lässt die Geschichte des Hauses doch darauf schließen, dass hier einige Menschen zu Tode gekommen sind. Das allein eröffnet Raum für Spukgeschichten. Schon das Haupthaus wirkt furchteinflößend: Ein langgezogenes, vierstöckiges Holzfachwerk mit eingeworfenen Fenstern aus einer längst vergangenen und vergessenen Zeit. Mehrere zugewucherte, gebogene Treppen führen direkt hinein. Die Türen, die nicht mit Spanplatten zugenagelt wurden, stehen offen. Auch der Keller ist zugänglich: Durch ein offenes Kellerfenster sehe ich blaue Kacheln und Farbe, die in Fetzen von der Decke hängt. Die Kälte, die aus diesem Fenster strömt, lässt mich erschauern. Selbst bei Sonnenschein ist dieser verlassene Ort wie gemalt als Kulisse für Horrorfilme, als Spielwiese für die Phantasie, in der allein das Rauschen des Windes durch kaputte Fenster und knarzende Türen Gänsehaut verursachen.

Als ich vor dem Haupthaus stehe, schrecke ich kurz zusammen: Ich höre Stimmen, sie kommen aus dem Haus. Allerdings stellt sich schnell heraus, dass sie nicht von Gespenstern, sondern von Jugendlichen kommen, die vermutlich auf der Jagd nach Geistern sind. Doch der Schreck bleibt. Ich kann mir gut vorstellen, wie schnell hier Kleinigkeiten zu Einbildungen werden.

Ich verzichte darauf, das verlassene Gebäude zu betreten. Schließlich machen mehrere Hinweisschilder darauf aufmerksam, dass es sich in Privatbesitz befindet. Laut Thüringischer Landeszeitung war eine Seniorenresidenz in dem denkmalgeschützten Haus geplant. Doch wer hier war, kann sich nur schwer vorstellen, dass dieser Ort wieder in die Zivilisation zurückfindet. Und so bleibt die Sophienklinik vorerst ein gruseliger Spukort für Geisterjäger*innen und abenteuerlustige Jugendliche. Ich mache mich auf den Rückweg. Ein Gespenst ist mir nicht begegnet.

3 Kommentare
  1. MarcelLe
    MarcelLe sagte:

    Das Bild von der Treppe in der Galerie sieht fasst aus wie aus einem dieser Märchendörfer – wenn sie doch nur nicht an so einem gruseligen Ort stehen würde…

    Und das man an so einem Ort tatsächlich eine Seniorenredidenz geplant hat? Schon irgendwie makaber!

  2. Anonymous
    Anonymous sagte:

    Die gruselige Atmosphäre rund um die Sophienheilstätte kommt in deinem Text wirklich gut rüber. Auch das Video und die vielen Bilder der „Gruselklinik“ bieten einen guten Einblick. Nachts würde ich mich nicht hintrauen!

  3. Caroline G.
    Caroline G. sagte:

    Toller Beitrag! Ich finde leerstehende und verlassene Gebäude total spannend. Super, dass Du auch selber dort warst. Dein Beitrag nimmt den Leser mit auf Deine Expedition zur Sophienheilstätte. Auch die Bildergalerie lässt Deine Geschichte sehr anschaulich und lebendig erscheinen – kurz dachte ich, ich wäre nicht mehr in der Bibliothek, sondern in Bad Berka auf dem Gelände der Sophienheilstätte…

Kommentare sind deaktiviert.