Der Nachruf ist Teil der medialen Gedenkkultur. Er würdigt und erinnert an das Leben und Wirken verstorbener Menschen und gilt im Journalismus als Sonderformen des Portraits. Ricarda Rödler hat sich damit auseinandergesetzt, wie ein Nachruf für den Nachruf aussehen könnte.

„Obituaries are a way of giving life to the dead by celebrating their accomplishments and the impact they had on the world.“ – The Obituary Writer

Immer beschäftigte er sich mit dem Leben der Anderen. Nun ist der Nachruf selbst im Alter von mehreren hundert Jahren verstorben. Bereits im frühen 17. Jahrhundert wurde die Sonderform des Portraits in London, England geboren und es war nicht abzusehen, dass diese journalistische Textsorte sich in ihrem langen Leben zu einer weltweiten Berühmtheit entwickeln würde. Bis zu seinem Ende war der Nachruf ein fester Bestandteil von Tageszeitungen und Klatschzeitschriften. Schon bei ihrer Entstehung hatte er ihnen ewige Treue geschworen. Trotzdem mussten die Printmedien den Nachruf über die Jahre hinweg schließlich doch mit anderen Medien teilen. Durch seine anpassungsfähige Art wurde er zum Geliebten von Funk und Fernsehen. Selbst wenn sein weltoffenes Auftreten immer wieder dazu führte, dass er als universales Multitalent betrachtet wurde, so trat er doch von Land zu Land anders auf.

Er hatte sie alle

Während er sich in Deutschland eher unscheinbar als Teil des journalistischen Handwerks verstand, konnte er, vor allem in den USA und im Vereinigten Königreich, seine extrovertierte Art zum Ausdruck bringen. Dort bekam der Nachruf sein eigenes Ressort und Journalist*innen wurden speziell ausgebildet, um allen seinen Besonderheiten gerecht zu werden. So etwa der Schwierigkeit, dass es für den Nachruf kein System gab. Der Tod ist nicht planbar, weshalb Journalist*innen lernen mussten spontan zu sein. Seine unzähligen Schreiberlinge entwickelte sich zu einem Imperium, das sich inhaltlich mit dem Leben und dem Wirken von Menschen bis zu deren Tod auseinandersetzte wie kein zweites. Letztlich hatte Nachruf sie alle: von John F. Kennedy über Michael Jackson bis hin zu Whitney Houston und Queen Elizabeth II. So tönte er über die britische Monarchin nach deren Tod 2022 in der Online-Ausgabe der Zeit: „Wenige ihrer Untertanen können sich an irgendeinen anderen Monarchen erinnern und so wird ihr Ableben beinahe universell als persönliches Ereignis und bedeutender Bruch mit der Vergangenheit empfunden. Es ist schwer, sich die Monarchie als Institution vorzustellen, ohne an sie als Person zu denken und an die Art, wie sie ihre Rolle ausgefüllt hat: nie nachlässig, pflichtgemäß, diskret, rätselhaft“.

Er blieb immer am Zahn der Zeit

Doch trotz seines Erfolgs blieb der Nachruf immer auf dem Boden der Tatsachen und zugänglich für das Fußvolk. So war er auch weiterhin für die Menschen da, die nicht in der Öffentlichkeit standen und trotzdem auf ihre eigene Weise etwas oder jemanden auf der Welt zurückließen. In einer Zeit, in der viele Institutionen vom Aussterben betroffen sind, besann sich der Nachruf bis zuletzt auf sein ursprüngliches Erscheinungsbild. Trotzdem war er stets darauf bedacht, am Zahn der Zeit zu bleiben. Jede technische Entwicklung ließ den Nachruf wachsen, weshalb er trotz seines hohen Alters nie zum alten Eisen zählte. Auch als in den 1990er Jahren das Internet und schließlich zu Beginn der 2000er die sozialen Medien ihren Siegeszug antraten – er war mit dabei. Plötzlich war der Nachruf wirklich für jeden da. Er bestand nicht mehr auf seine Exklusivität und öffnete sich vollends der Gesellschaft. Wie ein Chamäleon passte er sich dem neuen Phänomen an. So konnte er sich den nächsten Generationen in neuem Gewand präsentieren und auch Teil ihrer digitalen Kultur werden. Auf Facebook und Instagram fand man den Nachruf immer wieder: etwa als Würdigung von verschiedenen geliebten Menschen auf kurze und prägnante Art und Weise, geschrieben von Freund*innen und Familien.

Was bleibt, ist, dass etwas bleibt

Was vom Nachruf bleibt, sind Massen an Erinnerungen und Würdigungen. Ob in Zeitungen, Hörfunk- und Fernsehsendungen oder Social-Media-Beiträgen. Worte über Errungenschaften, Erfolge, Schicksale und Vermächtnisse. Was bleibt vom Nachruf, ist, dass etwas bleibt – im Gedächtnis der Menschen.

Einer seiner größten Fehler blieb jedoch seine Scheinheiligkeit. Etwas, wofür er jedoch nicht verantwortlich gemacht werden kann. Vielen Verstorbenen hätte es sicherlich gut getan, diese Worte früher und persönlich zu hören. Hin und wieder wurden sicherlich auch zu viele gute Worte verwendet. Doch letztlich ist niemand perfekt und der Nachruf war es auch nicht, auch wenn er viele in diesem Licht erstrahlen ließ.

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HINWEIS: Wenn Sie diesen Nachruf lesen können, dann ist uns leider ein Fehler unterlaufen. Der Nachruf ist noch nicht ganz tot.

Beitragsbild/Montage: Ricarda Rödler

 

Nachrufe und Todesanzeigen gehen medial oft Hand in Hand. Stefan Wienecke hat sich mit der Geschichte der Todesanzeige beschäftigt. Seinen Artikel findet ihr hier. Ihr seid neugierig geworden? Dann folgt uns doch auf Instagram! Noch mehr zum Thema lest ihr außerdem hier

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