Ein schweifender Blick auf die Außenwelt, frische Luft und natürliches Licht. Ist das zu viel verlangt? Anscheinend ja – denken viele Studierende. Denn wird das kleine WG-Zimmer verlassen, um in die Uni zu gehen, erwartet sie dort ein großer Hörsaal, ganz ohne Fenster.

Endlich ist der Sommer ausgebrochen. Nichts hält mich in meinem zwölf Quadratmeter kleinen Zimmer. Auf dem Weg zur Uni nehme ich die letzten tiefen Atemzüge. Am Brechtbau angekommen, erwartet mich ein vollgepackter Hörsaal. Nach einem kurzen, suchenden Blick finde ich meine Freunde und bitte ein Dutzend Leute aufzustehen, damit ich mich durchquetschen kann. Während der Professor mit seiner Technik kämpft, spüre ich die warme Luft im Hörsaal. Die Wärme von draußen drängt sich durch die Betonwände der Uni. Das ist aber auch das Einzige, was man von der Außenwelt mitbekommt. Denn Fenster gibt es hier nicht. Warum eigentlich?

Warum haben viele Hörsäle keine Fenster?

Stuhlreihen und Backsteinwände eines fensterlosen Hörsals im Brechtbau in Tübingen

Welcher Funktion folgt die Fensterlosigkeit des Hörsaals? Stuhlreihen mit weißem Backsteinhorizont im Brechtbau der Universität Tübingen.

Wer bereits Vorlesungen an Universitäten besucht hat, dem ist vielleicht schon aufgefallen, dass viele der Hörsäle fensterlos sind. Natürliches Licht wird durch LED-Lampen ersetzt und frische Luft durch Belüftungssysteme. Ein Grund für die Fensterlosigkeit liegt womöglich im Baujahr des Gebäudes. Viele der Hörsäle, sei es an Traditionsuniversitäten wie Tübingen und Heidelberg oder aber an Reformuniversitäten wie Konstanz und Bielefeld, wurden im letzten Jahrhundert gebaut. Dieses Jahrhundert ist architektonisch geprägt von der Moderne. Hier liegt der Fokus auf Funktionalität und Zweckbetonung. Die Gestaltung der Bauwerke soll nicht einer ästhetischen Idee folgen, sondern dem Nutzen, ganz nach dem Motto Form follows function (Die Form folgt der Funktion). Wenn sich die Ästhetik der Funktion also unterordnet, stellt sich die Frage, welche Funktionen Hörsäle eigentlich haben.

Universitäten sind Orte des Lernens, des Zusammentreffens, des Ideenaustausches und der Entwicklung. Neben kleineren schulklassenähnlichen Seminarräumen bilden Hörsäle den zentralen Ort der Universität. Mal findet man nur zwanzig Studierende in einem Saal, manchmal 600, wie im Kupferbau der Universität Tübingen. Da ein Hörsaal für ganz unterschiedliche Studienfächer, Anzahl an Personen und angewandten Technologien zur Verfügung steht, spielt die Funktionalität eine wichtige Rolle. Sind Fenster dementsprechend dysfunktional?

Vier Gründe, weshalb Hörsäle fensterlos sind

 

Lärmreduzierung ist ein wichtiger Bestandteil beim Bau eines Hörsaals. Im Gegensatz zu Wänden sind Fenster in der Regel weniger schalldicht. Außengeräusche gelangen deshalb einfacher in die Innenräume. Dies hat Folgen für die Akustik, aber auch für die Konzentration der Studierenden.

Nicht nur Lärm, sondern auch Wärme gelangt durch Fenster in die Hörsäle. Die Dämmung von Wänden verringert das Eindringen von Hitze besser als Fenster. Hohe Temperaturen können sich negativ auf die kognitive Leistungsfähigkeit auswirken. Forschende der Harvard Kennedy School haben bewiesen, dass längere Hitzeeinwirkung die Aufmerksamkeit, das Gedächtnis und die Problemlösungsfähigkeit beeinträchtigen kann. Verminderte Konzentration und geistige Ermüdung sind die Folgen.

Ein weiterer Faktor, der die Konzentration stark beeinflussen kann, ist die Transparenz eines Fensters. Der Blick auf die Außenwelt kann sowohl für Studierende als auch für Lehrende ablenkend sein. Visuelle Reize wie vorbeigehende Menschen, Verkehr, aber auch Naturlandschaft können die Ablenkung von der Vorlesung verstärken.

Ganz nach unserem Motto Look inside, look outside kann man nicht nur von innen nach außen schauen, sondern auch von außen nach innen. Dabei ist der Aspekt der Sicherheit zu bedenken. In bestimmten Fällen können Hörsäle empfindliche Informationen oder wertvolle Geräte enthalten. Fenster können es Unbefugten erleichtern, diese Bereiche zu sehen oder zu betreten. Durch das Weglassen von Fenstern können Sicherheits- und Datenschutzbedenken effektiver berücksichtigt werden. So sollten beispielsweise für eine Medizinvorlesung notwendige Bilder, die medizinische Fälle illustrieren, nicht von Außenstehenden eingesehen werden können.

Es zeigt sich, dass ein Hörsaal viele Funktionen erfüllen soll. Ginge es also rein nach dem Aspekt der Funktionalität, erscheint der Verzicht auf Fenster sinnvoll. Trotzdem bevorzugt die Mehrheit der Studierenden das Lernen in einer offeneren Umgebung. Vor allem natürliches Licht und die Verbundenheit zur Außenwelt ist den Studierenden wichtig.

Vier Gründe, weshalb Hörsäle Fenster haben sollten

Das Fehlen von Fenstern in einer Lernumgebung kann verschiedene Auswirkungen auf die Studierenden und die allgemeine Atmosphäre im Raum haben. Natürliches Licht hat nachweislich einen positiven Einfluss auf die Stimmung, das Wohlbefinden und die Produktivität, so Forscher der London Global University. Ohne Fenster kann das Fehlen von natürlichem Licht eine eher künstliche und geschlossene Atmosphäre schaffen. Dies führt zu schnellerer Ermüdung, verminderter Wachsamkeit und einer allgemein geringeren Inspiration durch die Umwelt.

Fenster bieten eine visuelle Verbindung zur Außenwelt und ermöglichen es den Studierenden, die natürliche Umgebung zu beobachten und ein Gefühl der Verbundenheit mit der Außenwelt zu bekommen. Untersuchungen haben gezeigt, dass vor allem die Sicht auf eine natürliche Umgebung positive Effekte für das Lernen hat. Das Fehlen von Fenstern kann zu einem Gefühl der Abgeschiedenheit und einer eingeschränkten Wahrnehmung der weiteren Umgebung führen.

Fenster können zudem eine zentrale Rolle bei der Belüftung spielen, indem sie Frischluft in den Hörsaal lassen und die Luftzirkulation fördern. Ohne Fenster muss das Belüftungssystem sorgfältig geplant werden, um eine ausreichende Frischluftzufuhr zu gewährleisten. Ist die Luft im Hörsaal dick, können sich Studierende schlechter konzentrieren und sogar gesundheitliche Probleme wie Kopfschmerzen und Unwohlsein entwickeln.

Durch die Transparenz ermöglichen Fenster es den Studierenden, ihre Umgebung zu beobachten und verschiedene Perspektiven einzunehmen. Sie bieten visuelle Anreize und können während der Pausen oder in Momenten des Nachdenkens als Anhaltspunkte dienen. Ohne Fenster sind die Studierende auf eine abgeschlossene Umgebung beschränkt, was den Kontakt mit externen Reizen einschränkt und die Möglichkeiten zur visuellen Auseinandersetzung verringert.

Es zeigt sich, dass das Fehlen von Fenster durchaus negative Auswirkungen für Studierende haben kann. Sie können aber auch zu einer förderlichen Lernumgebung beitragen. Darunter die Gesamtgestaltung von Hörsälen, die Qualität der Beleuchtung und das Belüftungssystem.

Die Uhr zeigt endlich viertel vor. Die Vorlesung ist vorbei. Die meisten Studierenden haben bereits vor zehn Minuten ihre Sachen eingepackt. Es bildet sich eine Schlange vor dem Ausgang. Der Professor versucht noch verzweifelt die Hausaufgaben hinterherzurufen: „Nehmen sie sich morgen eine Minute, sei es in der Uni, auf der Arbeit oder im Klassenraum und stellen Sie sich vor, wie es wäre, ganz ohne Fenster!“

 

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