Ob in Rio oder Hamburg. In New York oder Tokio. In Sydney oder im Bayerischen Wald. Man begegnet ihr überall auf der Welt: der Postkarte. Mal groß, mal klein. Mal rechteckig, mal rund. Formen gibt es viele, doch eines haben alle Postkarten gemeinsam: das Abbild eines stets makellosen Platzes an der Sonne. Und noch eine Gemeinsamkeit wird dieser Spezies zuteil: das Schicksal, immer öfter ein tristes Dasein zu fristen, in Kartenwänden inmitten ihrer Artgenossen, ohne gekauft zu werden.

Die Postkarte: eine aussterbende Art?

Ihre Blütezeit ist lange vorbei. Um 1900 war die Postkarte beliebt wie nie zuvor. Täglich wurde sie Menschen im ganzen Land zugestellt. Sie kann guten Gewissens als ein visuelles Massenmedium dieser Zeit betitelt werden. 1869 in Österreich unter dem Namen „Korrespondenzkarte“ eingeführt, verbreitete sich das neue Format rasch. Schnell schwappte die Welle der Begeisterung für diese Art der Grußkarte ins benachbarte Deutschland. Dabei war es insbesondere das kleine Format, welches es vermochte, auch dem Schreiben fernere Menschen zu diesem zu animieren. Zudem galt die Postkarte als ein schnelles und kostengünstiges Kommunikationsmittel. Man könnte das Format der Postkarte daher als Vorläufer sehen von heutigen Kurzmitteilungsdiensten wie etwa der SMS oder Twitter. Dieser Aspekt deutet es auch schon an: Die Postkarte ist Teil eines „Wandels in der Kommunikation“, wie Michael Ponstingl, Fotowissenschaftler aus Wien, beschreibt. Auch sie unterliegt dem Riepl’schen Gesetz, wonach jedes etablierte Medium durch neue Formen der Kommunikation zwar niemals ausgerottet, wohl jedoch verdrängt werden kann.

Sind das letztlich beruhigende Nachrichten, was den Artenerhalt der Postkarte angeht?

Die einst große, massenmediale Bedeutung der Postkarte ist lange gewichen. Unter dem Druck der Riepl’schen Gesetzmäßigkeiten machte sie dem Einzug neuer Kommunikationsinstrumente Platz und fristet immer öfter ein Schattendasein in der modernen Gesellschaft. Heutzutage ist es nicht mehr die Allgemeinheit, die dieses Medium zu schätzen weiß. Es sind vielmehr Sammler und Nostalgiker, die sich der Postkarte verbunden fühlen und zu deren Erhalt in der Medienlandschaft beitragen. Doch für eben diese Menschen hat die Bedeutung der Postkarte nichts von dem an Wert eingebüßt, welcher ihr bereits um 1900 zuteil wurde. Es sind vor allem immaterielle Werte, die Schreiber und Empfänger der Postkarte beimessen. Doch auch der tatsächliche Wert ausgewählter Exemplare kann in Sammlerkreisen durchaus stolze Summen annehmen.

Was ist es, das die Postkarte als Art so besonders macht?

Grüße vom Kap – Sonniges Südafrika, © Janine Gollnau

Es handelt sich eigentlich nur um ein Stück Papier. Meist rechteckig. Gefertigt aus etwas stabilem Kartonmaterial. Die Vorderseite bedruckt. Wahlweise matt oder glänzend. Die Rückseite blass. Häufig an Recyclingpapier erinnernd. In der Beschaffenheit also nichts Besonderes. Doch diese Karte ist nicht nur ein Stück Papier. Diesem Papier wohnt eine Seele inne. Dieses Papier berichtet etwas. Es vermittelt eine Botschaft zwischen Sender und Empfänger. Dieses Papier stellt eine Art Verbindungsglied dar, welches es vermag zwei Menschen miteinander zu verbinden, die räumlich meist hunderte, manchmal gar tausende Kilometer voneinander getrennt sind. Auch wenn die Postkarte nicht viel Platz bietet, so bietet sie doch genügend, um die wesentlichen Botschaften des Senders mitzuteilen: „Schau, hier bin ich“, „Es geht mir gut“. Um dies zu untermalen zeigen Postkarten stets nur die Sonnenseiten des Lebens. Fotos von malerischen Landschaften, einsamen Stränden und pulsierenden Städten. Niemals würden sie Müll in den Dünen, Plastik im Meer oder die elenden Touristenmassen vor der Sehenswürdigkeit zeigen. Postkarten wollen betrügen. Doch das ist nicht schlimm. Denn der Empfänger will in gewisser Weise betrogen werden. Er will eine Karte empfangen, die ein Gefühl der Unbeschwertheit versprüht. Eine Karte, die ihn aus der trüben Realität des Alltags mitnimmt in die Weite der Welt. Der Gruß des Freundes auf der Rückseite ist es, der das Fremde als etwas Vertrautes erscheinen lässt, was dennoch entdeckt werden will. Nicht selten wecken diese Leichtigkeit und Lebendigkeit, die dem Flair der Postkarte beiwohnen, Neidgefühle bei dem Daheimgebliebenen aus. Doch nichtsdestoweniger tummeln sich Postkarten in Büros sowie an heimischen Pinnwänden meist auf engem Raum, immer im Bewusstsein, dass sie an kalten, nassen Tagen einen Hauch Wärme in das Leben bringen. Dann bieten sie Orte um einen Moment lang innezuhalten und zu schwelgen in einer anderen Welt.

Ein Hauch von Freiheit – der australische Poststempel, © Janine Gollnau

Diese Präsenz unterscheidet die Postkarten von anderen Arten der Urlaubsgrußübersendung. Postkarten sind da. Sie sind real. Man kann sie anfassen. Die leicht eingedrückte Oberfläche des Papiers durch den Kugelschreiber des Verfassers unter den Fingern spüren.
Man kann sie riechen. Die charakteristische Note nach beschichtetem Papier. Eine Postkarte regt die Sinne an: Die Briefmarke eines fernen Landes. Der Poststempel.

All das weckt Erinnerungen. Erinnerungen an den einstigen Strandspaziergang: der Sand zwischen den Zehen, das Salz des Meeres auf den Lippen, die Brise, die sanft durch die Haare fährt. Man kann es förmlich spüren. Auch jetzt, zu Hause, die Postkarte in Händen haltend. Und man denkt an den Freund, der all das gerade erlebt. Sie ruft Assoziationen hervor, die Postkarte. Allzu gerne wäre man jetzt dort, bei diesem Freund an diesem so bildschönen Ort. Es ist nicht der textliche Inhalt einer Postkarte, der entscheidend ist für ihre Bedeutung, es sind die Botschaften zwischen den Zeilen, die sie zu dem machen, was sie ist: Ein Stück Papier, das eine lange Reise zurückgelegt hat, verfasst von einem Freund, der sich Zeit genommen hat, seine Gedanken und Grüße an die Heimat auf Papier zu bringen und auf diese Weise seine Verbundenheit zum Ausdruck zu bringen.

Eine Postkarte ist ein Stück Papier, dem eine Seele innewohnt, dem ein Geist eingehaucht wurde.

Dieser Geist ist es, der die Postkarte zu etwas Besonderem macht. Mittlerweile schicken acht von zehn Deutschen ihre Urlaubsgrüße auf digitalem Wege, wie im Rahmen einer Studie des Branchenverbands Bitkom ermittelt wurde. Doch die digitale Grußübersendung kann lange nicht dieselbe Botschaft übermitteln wie die Postkarte. Postkarten sind beständig. Sie sind nicht vergänglich. Sie können nicht durch einen Update-Fehler aus Versehen gelöscht werden. Außerdem sind Postkarten Wahrheitsträger. Eine Postkarte indiziert den Besuch eines bestimmten Ortes. In Zeiten von Fake News kann auch das einen wesentlichen Teil ihrer Botschaft darstellen. Und auch wenn auf digitalem Wege Orte scheinbar detailliert gezeigt werden können, so ist es einem digitalen Bild nicht möglich, das Flair zu vermitteln, das eine analoge Postkarte zu überbringen vermag. Um es mit den Worten des Medientheoretikers Walter Benjamin auszudrücken: Eine Postkarte ist ein Kunstwerk. Sie besitzt eine Aura, die nicht reproduzierbar ist.

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5 Kommentare
  1. Ann-Christine
    Ann-Christine sagte:

    Ich gebe dir mit deiner Hommage an die Postkarte vollkommen Recht. Leider bekommt man kaum noch welche, die meisten schicken lieber bearbeitete Bilder per WhatsApp oder lassen einen nur über Social Media dran teilhaben. Schade eigentlich! Ich selbst verschicke auch wirklich immer noch gerne Postkarten, zumindest in Strandurlauben. Und ein paar meiner Freund*innen tun das auch noch. Und wie du sagst: Das ist dann wirklich etwas Besonderes und man freut sich umso mehr darüber! Mittlerweile kann man sich ja wirklich geehrt fühlen, wenn sich jemand diese Mühe für einen macht.

  2. Larissa Dahner
    Larissa Dahner sagte:

    Ich persönlich schreibe noch sehr gerne Postkarten und nehme mir im Urlaub auch besonders viel Zeit dafür. Denn ich liebe es, selbst Postkarten zu bekommen und sie in meinem Zimmer aufzuhängen.
    In Zeiten von Instagram und Co. hat sich die Anzahl der Postkarten die man bekommt nur leider etwas reduziert, was ich sehr schade finde.

  3. Yichi Zhang
    Yichi Zhang sagte:

    Ich schreibe auch gerne Postkarten, wenn ich im Urlaub bin. manchmal kann man aus persönlichen Gründen sein Traumland nicht besuchen. Aber eine Postkarte von diesem Land kann man Freud biringen. Wenn meine Freunde die Postkarten bekommen und mir sagen, hey ich habe deine Postkarte bekommen, macht es mich mach sehr glücklich.

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  1. […] ein passender Aspekt zum Thema Entschleunigung. Falls ihr euch für Postkarten interessiert gibt es hier noch einen Artikel rund um das […]

  2. […] über einen handgeschriebenen Brief freuen würde. Selbst wenn es eben nur die obligatorischen Urlaubsgrüße per Postkarte sind. Durch E-Mails, WhatsApp und Co. scheint der von Hand verfasste Brief jedoch recht selten […]

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