Clara sieht Gespenster und lässt Tische mit Gedankenkraft schweben. Sie träumt davon, was in der Zukunft geschehen wird. Und ihre Vorhersagen treffen immer ein. Clara ist eine Romanfigur des Magischen Realismus und verkörpert den uralten Geisterglauben Südamerikas.

Das Geisterhaus

„Das Geisterhaus“ erschien in deutscher Fassung erstmalig 1984 im Suhrkamp-Verlag.

Clara ist eine Figur in Isabel Allendes Debütroman „Das Geisterhaus“ (im Original La casa de los espíritus) von 1982, der das Leben einer Familie in Chile um die Wende ins 20. Jahrhundert bis in die 70er Jahre beschreibt. Und dabei geht es eigentlich gar nicht um Geister. Es geht um die geschichtliche Aufarbeitung eines Landes, um Generationen und Revolutionen, um Umbrüche und Veränderungen und um persönliche Schicksale. Aber die Geister sind eben auch immer da. Sie werden von ihrem Medium Clara, das sie als einzige hören und sehen kann, als völlig normal betrachtet. Genau wie von den Familien del Valle und Trueba, denen Clara angehört. Die Autorin Allende lässt die Geister sprechen, ohne sie wirklich zum Thema ihrer Erzählung zu machen.

Clara ist Teil einer literarischen Darstellung von realen Geschehnissen aus der chilenischen Geschichte. Allende selbst beschreibt „Das Geisterhaus“ zu Teilen als biographisches Werk. Dass es eine wie Clara gab, ist jedoch unmöglich. Trotzdem ist sie ein zentraler Charakter, nur eben anders als die anderen. Sie kann Ereignisse vorhersehen und Gegenstände schweben lassen. Warum? Weil sie es eben kann. Ihre Fähigkeiten werden weder dem Leser erklärt noch werden Sie von den anderen Figuren innerhalb der Narration hinterfragt. Die Geister sind einfach da, und keiner wundert sich über ihre Existenz.

Claras Geister

Im gesamten Roman werden die Erscheinungen der Geister und die übernatürlichen Träume wertfrei dargestellt. Sie sind nicht negativ oder positiv behaftet, wirken weder gefahrbringend noch beschützend. Durch sie weiß Clara schon früh, was in der Zukunft passieren wird, ohne es jedoch beeinflussen zu können. Sie sagt den Tod ihrer Schwester und anderer Familienmitglieder voraus und sieht schon während ihren Schwangerschaften, wie ihre Kinder aussehen werden. Sie kennt den Ort des Verbleibs des Kopfes ihrer verstorbenen Mutter, der seit deren tödlichen Autounfall vermisst wird. Vom schweren Erdbeben, das Chile im Jahr 1939 ereilen soll und im „Geisterhaus“ thematisiert wird, träumt sie bereits im Vorfeld und sieht das Unglück auf sich zukommen.

„Claras Geisterkräfte störten niemanden und richteten keinen Schaden an, sie äußerten sich fast ausschließlich bei unwichtigen Anlässen und immer im Kreis der Familie.“ Das Geisterhaus

Vom Tod ihrer Schwägerin weiß Clara als erste, denn die Verstorbene selbst taucht als Geist auf, um sich bei Clara zu verabschieden. Nach ihrem Tod wird Clara schließlich selbst zum Geist, der ihren hinterlassenen Ehemann besucht und ihm hilft, mit der Aufarbeitung seiner Vergangenheit fertig zu werden. Ein guter Geist.

Der Familienchronik haftet insgesamt ein mystischer Charakter an. Auch nach Generationen scheinen einzelne Familienmitglieder auf wundersame Weise mit bestimmten Vorfahren in ihrem Handeln oder ihren Gewohnheiten verkettet, ohne diese selbst gekannt zu haben. Am Ende der Geschichte bleibt das Gefühl, dass alles kam, wie es kommen musste. Oder wie es für die Nachkommen der hellseherischen Clara und ihrem Mann vorherbestimmt war.

„Er wusste nicht, dass sie ihr Schicksal vorausgesehen hatte und dies der Grund war, warum sie ihn in Gedanken herbeigerufen hatte und bereit war, ihn zu heiraten, ohne ihn zu lieben.“ Das Geisterhaus

Magie in Südamerika

Das Geisterhaus

Allende kommt aus Chile und lebt in Kalifornien. (Bild: Wikimedia Commons, von Heike Huslage-Koch, Lesekreis, CC BY-SA 4.0 Deed)

In Südamerika haben Geister eine ganz andere Bedeutung als in Europa. Sie haben nicht die Aufgabe Angst und Schrecken zu verbreiten, sondern sind ein unsichtbarer Teil der Wirklichkeit. In Mexiko wird jährlich der Día de los Muertos zu Ehren der Toten und Geister gefeiert und in Peru glaubt man daran, dass verstorbene Verwandte und Bekannte als Geister zurückkehren können. In Lateinamerika wird die Existenz von Geistern nicht angezweifelt. Sie gehört zum Leben dazu. So auch zum Leben von Isabel Allende. Die unter europäischen Buchkritiker*innen für ihre Folgewerke oft belächelte Autorin kommuniziert angeblich selbst mit Geistern. Daher ist es nicht verwunderlich, dass in allen ihren Büchern mindestens ein Hauch von Mystik und Magie zu spüren ist.

Allende ist eine Vertreterin des Magischen Realismus, der in der südamerikanischen Literatur vor allem von Miguel Ángel Asturias geprägt wurde. Im „realismo mágico“ werden Wirklichkeit und Magie verkettet und eine neue Ebene entsteht, in der beides ganz selbstverständlich nebeneinander existieren darf. Wie Claras Geister und die Geschichte Chiles in „Das Geisterhaus“. Grundlegend für die Popularität dieser Kunstrichtung in Südamerika ist sicherlich der weit verbreitete lateinamerikanische Geisterglaube.

„People often ask me how much truth there is in my books and how much I have invented. I could swear that every word is true. If it has not happened, it certainly will. I can no longer trace a line between reality and fantasy. Before I was called a liar. Now that I make a living with these lies, I am called a writer. Maybe we should simply stick to poetic truth.“ Isabel Allende

 

1 Antwort
  1. Jan Doria
    Jan Doria sagte:

    In der Tat ein wunderbares und sehr lesenswertes Buch, das mich stellenweise mit seinen Geistergeschichte sogar zum Lachen gebracht hat.

    „Es geht um die geschichtliche Aufarbeitung eines Landes, um Generationen und Revolutionen, um Umbrüche und Veränderungen und um persönliche Schicksale. […] Allende selbst beschreibt „Das Geisterhaus“ zu Teilen als [auto]biographisches Werk.“
    Das ließe sich vielleicht noch etwas genauer ausführen. Konkret geht es in dem Buch um den Konflikt zwischen reicher und europäischer Stadtbevölkerung und armer und indigener Landbevölkerung, der 1973 im Sturz des ersten demokratisch gewählten sozialistischen Präsidenten der Welt gipfelt und sowohl in Chile als auch in vielen anderen Ländern des Kontinents bis heute andauert. In der zweiten Hälfte des Buches schildert Isabel Allende die Ereignisse rund um die Ermordung/den Selbstmord ihres Onkels 2. Grades, Salvador Allende, im Präsidentenpalast La Moneda und die darauffolgende Militärdiktatur, aufgrund derer sie nach Venezuela fliehen musste. Erst vor diesem Hintergrund erschließt sich die besondere Bedeutung dieses Buches für die chilenische Literatur.

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