Wahlen – ein Grundpfeiler demokratischer Systeme. Im Grundgesetz steht, dass alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht. Genauer: vom deutschen Volk. Wer in Deutschland wählen möchte, muss im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft sein. Doch was ist mit Menschen, die seit langer Zeit in Deutschland leben, Steuern zahlen und am gesellschaftlichen Leben teilhaben, aber keine deutsche Staatsbürgerschaft besitzen? Diese Menschen sind in deutschen Parlamenten nicht repräsentiert – wie Gespenster der Demokratie.
In einer parlamentarischen Demokratie wie der Bundesrepublik Deutschland wählt das Volk seine politischen Vertreter*innen. Diese Gruppe von Menschen bildet das Parlament. Prinzipiell steht dahinter die Idee, dass das Parlament ein Abbild der Gesellschaft sein soll. In der politischen Realität ist das häufig nicht der Fall. So sind Frauen im Deutschen Bundestag mit ca. 30 Prozent deutlich unterrepräsentiert. Aber auch auf andere Weise findet eine Verzerrung statt. So haben drei Viertel der Parlamentarier*innen im Bundestag einen akademischen Abschluss. Die meisten von ihnen, rund 20 Prozent, sind Jurist*innen. Dafür gibt es mehrere Gründe, wie etwa die Entwicklung hin zur Berufspolitik. Aber Vertreter*innen all dieser Bevölkerungsgruppen können theoretisch, durch die Teilnahme an Wahlen, die Zusammensetzung der Parlamente mitbestimmen. Die laut tagesschau.de ca. elf Millionen Menschen in Deutschland ohne deutschen Pass werden überhaupt nicht in den deutschen Parlamenten repräsentiert. Ihnen ist sowohl das aktive als auch das passive Wahlrecht verwehrt.
Wahlen in Deutschland
Damit man das Wahlrecht in der Bundesrepublik wahrnehmen kann, egal ob auf Bundes- oder Landesebene, muss man die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Menschen, die in Deutschland leben, aber keine deutschen Staatsbürger*innen sind, dürfen dieses wichtige Instrument der politischen Mitbestimmung nicht nutzen. Trotzdem müssen diese Menschen dieselben Pflichten unseres Sozialstaates wahrnehmen wie deutsche Staatsbürger*innen.
Wahlen in der Bundesrepublik sind unter anderem in Artikel 20 des Grundgesetzes festgelegt:
„Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.“
Im Jahr 1990 präzisierte das Bundesverfassungsgericht diese Regelung. Nach dem Grundgesetz wird das Volk durch die Deutschen gebildet. Genauer: deutsche Staatsangehörige. Deshalb ist es Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft nicht möglich, das deutsche Wahlrecht auszuüben.
Zwei dieser Personen sind der türkische Arbeiter Bülant Balci (40) und die kasachische Studentin Lena Korobkova (29). Beide leben seit etwa 15 Jahren in Deutschland. Beide würden in Deutschland gerne wählen, dürfen aber nicht. Für beide gibt es allerdings zur Zeit Hindernisse, um die deutsche Staatsbürgerschaft zu erhalten. „Ich hätte gerne die deutsche Staatsbürgerschaft, aber meine Deutschkenntnisse sind zu schlecht, um sie zu bekommen“ sagt Balci.
Lena Korobkova müsste ihren kasachischen Pass abgeben, damit sie die deutsche Staatsbürgerschaft erhält. Das ist allerdings mit einem enormen bürokratischen Aufwand und hohen Gebühren verbunden. Für die Studentin ist das aktuell nicht zu stemmen.
Trotzdem erachtet sie die deutsche Staatsbürgerschaft als sinnvolles Zulassungskriterium für die Wahlen in Deutschland. „Durch den Einbürgerungstest hast du bewiesen, dass du dich mit der deutschen Gesellschaft auseinandergesetzt hast. Du hast bewiesen, dass du dich mit politischen Themen beschäftigt hast und dir so eine Meinung bilden kannst.“
Es gibt noch weitere Argumente, die gegen ein Ausländerwahlrecht sprechen. Manche Sorgen sich, dass Zuwanderer*innen existierende Machtverhältnisse zu sehr verschieben. Sie könnten eigene Parteien gründen und so etablierte Parteien schwächen oder politische Kräfte aus den Herkunftsländern könnten durch die Einwanderer*innen Einfluss auf die Politik der neuen Heimatländer ausüben. Ein Argument ist auch, dass das Wahlrecht die Motivation mindere, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erhalten. Dies könnte sich negativ auf die Identifikation mit dem neuen Heimatland auswirken und die Integrationsbereitschaft hemmen.
Die doppelte Staatsbürgerschaft
Bülant sieht dieses Argument nicht. Das Recht zu wählen habe keinen Einfluss auf den Integrationswillen. Auch die Verknüpfung mit der Staatsbürgerschaft müsse nicht sein. Er selbst würde zwar sehr gerne wählen, aber nicht, wenn er dafür die türkische Staatsbürgerschaft aufgeben müsse. „Ich möchte den deutschen Pass. Aber ich möchte auch den türkischen nicht abgeben. Zwei Pässe sind besser. In der Türkei möchte ich auch noch wählen.“ Er möchte sein Leben hier mitbestimmen. Aber ein Großteil seiner Familie lebe noch in der Türkei und darum sei es ihm wichtig, dort durch Wahlen die Politik mit zu beeinflussen.
Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Flüchtlingsdebatte, ist die Frage wichtig, wie man mit Menschen umgeht, die nicht in Deutschland geboren sind. Ist die Staatsbürgerschaft noch ein zeitgemäßes Kriterium, um den Einwohner*innen Deutschlands den Zugang zu Wahlen zu ermöglichen? Fakt ist, es gibt sehr viele Menschen in Deutschland, die Teil unserer Gesellschaft sind, aber nicht über wichtige Regeln, die auch sie betreffen, mitbestimmen dürfen. Sozusagen politische Gespenster.
Guter Beitrag zu einem wichtigen Thema!
Die Problematik mit dem Ausländerwahlrecht wurde mir von ein paar Jahren recht deutlich vor Augen geführt: Einer meiner Bekannten lebt schon seit seiner Kindheit in Deutschland, spricht akzentfrei deutsch und ist auf regionaler Ebene politisch sehr stark engagiert. Als EU-Bürger darf er an Kommunalwahlen teilnehmen und sogar kandidieren. Auf Landes- und Bundesebene darf er als Nicht-Deutscher nicht mal wählen. Sehr schade, dass engagierte Menschen von der überregionalen politischen Teilhabe ausgeschlossen werden.