Mit ihrer ausgeprägten Fantasie basteln sich Kinder ihre Welt. Helden mit Superkräften, die täglich die Welt retten, Engel mit wunderschönen weißen großen Flügeln bis hin zu dem Weihnachtsmann mit seinem dicken Bauch, der selbstverständlich trotzdem durch alle noch so engen Schornsteine passt. Doch was ist eigentlich mit Gespenstern?
Haben Kinder die Vorstellung von Geistern, die ich ihnen „unterstelle“? Meine Vorstellung entspricht ziemlich genau Casper. Casper ist bekannt durch zahlreiche Comics, Cartoons sowie aus der Verfilmung „Casper das kleine Gespenst“ aus dem Jahr 1995.
Um Antworten auf meine Fragen zu bekommen, gehe ich in das Kinderhaus in Wachbach. Acht Kinder, drei Jungen und fünf Mädchen, die zwischen vier und sechs Jahre alt sind, helfen mir meine Fragen zu beantworten. Die Namen der Kinder in diesem Beitrag sind geändert. Um eine Einleitung für das Thema Gespenster zu bekommen, lese ich den Kindern ein Buch vor: „Das unheimliche Spukhaus“ von Kicki Stridh und Eva Eriksson. In diesem Buch geht es um Sina, ein kleines Mädchen, das sich verlaufen hat und Unterschlupf sucht. Sie läuft an einem Haus vorbei und klopft. In diesem Haus leben allerlei gespenstische Gestalten – von Hexen bis zu Gespenstern. Die Einwohner geben sich alle Mühe dem Mädchen Angst zu machen. Doch das Mädchen hat vor nichts und niemandem Angst.
Die Jungen schauen sich die Bilder der bösen Hexen ganz genau an und machen sich über ihre großen ekligen Warzen lustig.Die Mädchen dagegen schauen sich die gruseligen Kreaturen eher widerwillig und angewidert an. Gegen Ende des Buches fängt Sina einen Geist und legt ihn als Bettlaken auf das Bett, in dem sie schlafen will. Leon, der Älteste der Kinder, sagt daraufhin: „Es gibt doch aber gar keine Geister und außerdem kann man doch keine Geister fangen. Wie soll das denn gehen?“ Doch glauben die anderen Kinder auch nicht an Geister oder war Leon die Ausnahme?
Klare Aussage der Kinder: „Es gibt keine Gespenster!“
Also, frage ich die anderen Kinder: „Glaubt ihr denn an Geister?“. Die Kinder antworten: „Nein, natürlich nicht!“ Überrascht von der klaren Aussage, frage ich, warum sie sich so sicher seien, dass es keine Geister gäbe. „Mama und Papa haben gesagt, es gibt keine Geister und meine Eltern würden mich niemals anlügen“, antwortet eines der vierjährigen Mädchen und erzählt eine Geschichte: „Ich habe einmal schlecht geträumt. Da war ein böser Geist. Der hatte rote, ganz gruselige Augen. Dann bin ich aufgewacht und hab’ ganz laut nach Mama geschrien. Meine Mama hat mich getröstet und hat gesagt, dass es keine Geister gibt. Wir haben mein ganzes Zimmer durchsucht, sogar in meinem Puppenhaus.“ Der sechsjährige Mike verdreht die Augen, dreht sich zu Leon um und flüstert leise, aber laut genug, dass es alle hören können: „Mädchen, die haben auch vor allem Angst.“
Die nächsten Fragen stelle ich also hypothetisch: „Falls es Gespenster doch geben würde, wie stellt ihr euch so einen Geist vor?“ Die Kinder sind sich über ihre Vorstellung von Geistern einig und ein paar der Antworten bestätigen auch meine Vorstellung.
- Aussehen: Weiß, fast durchsichtig
- Sehen kann man Gespenster nur nachts, wenn alle anderen schlafen
- Gespenster wohnen in Geisterhäusern, in Wäldern oder in Schlössern
- Sie haben keine Füße, können also nicht laufen, aber sie können fliegen
- Es gibt gute und böse Gespenster
Überraschend sind die Antworten auf die Frage, ob Gespenster Familien haben und ob sie reden können. Die Kinder sind sich einig, dass Gespenster nicht reden können und auch keine Familie haben. Für mich hingegen war aufgrund der vielen Kinderbücher und Filme, in welchen Gespenster nie alleine sind, Familie haben und selbstverständlich reden können, klar, dass die Kinder daran glauben.
Ich frage die Kinder, ob sie denn Angst hätten, wenn ein Gespenst vor ihnen stehen würde. Die Mädchen schauen mich mit großen Augen an und nicken nur; die Jungs hingegen liefern sich ein Stechen um die lustigsten und kreativsten Antworten.
- „Wenn ein Gespenst kommt, tret’ ich ihm volle Kanne gegens Schienbein und dann schreit er aua und dann weiß ich ja, dass es kein Geist ist.“
- „Ich würde erstmal ‚Hallo Geist’ sagen und ihm zuwinken.“
- „Ich würde dem Geist eine aufs Auge hauen und aus’m Fenster schmeißen.“
„Und was würdet ihr machen, wenn die Tür jetzt aufgeht und ein Geist in der Tür steht?“, frage ich daraufhin. Die Mädchen sagen, sie würden sich auf jeden Fall erschrecken, aber die Jungs würden selbstverständlich nur lachen und ihre vorher angekündigten Taten durchführen (oder auch nicht?). Eines der Mädchen sagt: „Ich würde ganz ganz laut nach den Erzieherinnen schreien und sagen ihr sollt die Polizei rufen, weil es im Kinderhaus spukt.“
Kinder malen Gespenster-Bilder
Um weitere Erkenntnisse zu erlangen, bitte ich die Kinder, mir ein Bild von einem Gespenst zu malen. Alle Bilder der Kinder befinden sich in der folgenden Galerie (durchklicken lohnt sich). Durch die Bilder zeigt sich, dass die Vorstellungen der Kinder mit ihren Aussagen übereinstimmen. An den Gesichtsausdrücken der gemalten Gespenster ist zu erkennen, dass die Kinder gute und böse Geister gezeichnet haben. Einige der Kinder malen den Hintergrund dunkelblau an und Sterne dazu, was nochmal verdeutlicht, dass Geister laut der Kinder nur nachts herauskommen. Der erkennbare Unterschied liegt daran, dass die Kinder die Geister manchmal mit Nase und/oder Arme zeichnen und manchmal ohne.
Letztendlich war das Gespräch mit den Kindern und die Bilder sehr aufschlussreich. Einige „Klischees“ beispielsweise, dass das Gespenst weiß/durchsichtig ist und nur nachts herauskommt, haben sich bestätigt. Nach dem Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens ist die meist verbreitete Vorstellung, dass Geister in weiße Tücher eingehüllt sind und fast nur nachts erscheinen. Doch dass die Kinder überhaupt nicht mehr an Geister glauben und auch, dass sie keine Familie haben und nicht reden können, ist doch sehr überraschend. Je älter Kinder werden, desto weniger glauben sie an Gespenster, Superhelden und auch an den Weihnachtsmann. Dass diese Kinder, die höchstens sechs Jahre alt sind, nicht mehr an Geister glauben liegt vermutlich vor allem daran, dass ihre Eltern gesagt haben: „Es gibt keine Geister!“
Als Erwachsener ändert sich das Bild von der kindlichen Darstellung eines Gespenstes in ein Bild, dass Geister die Seele von Verstorbenen darstellen. Auch laut Natalie Binczeks Lexikonartikel zu „Gespenstern“ gelten Geister im europäischen Volksglauben als Totengeister von Verstorbenen. Das Erscheinungsbild ist an den Körper der Verstorbenen gebunden. Für ein Kind, wie auch für die Erwachsenen eine eher gruselige Vorstellung. Deshalb halten Eltern lieber den Glauben an die Zahnfee mit rosafarbenem Glitzerkleid und einem Zauberstab mit einem leuchtenden Stern aufrecht, und weniger den Glauben an Gespenster. Aber seien wir mal ehrlich, wenn ein Geist vor den starken Jungs stehen würden, würden sie ihm vermutlich nicht auf das Schienbein hauen (auch wenn die Vorstellung noch so amüsant ist), sondern schreiend und mit Angst erfülltem Gesicht wegrennen.
Schön, wenn das Gespenst nicht bedrohlich ist, sondern freundlich die Arme ausbreitet wie bei Sebastian. So können wir, wie Derrida sagt, viel leichter „lernen, mit den Gespenstern zu leben“.
Interessant, dass auch beim Thema Gespenster Jungen und Mädchen unterschiedlich auf das Thema reagieren … dass die Jungen keine Angst zugeben wollen (falls sie Angst haben) und die Mädchen offen zugeben, dass sie sich fürchten.
Ich glaube, dass ist in dem Alter bei den Jungen typisch. Die Jungen können ja unmöglich vor ihren Freunden zugeben, dass sie eventuell doch Angst hätten.
Das ist ein wirklich niedlicher Beitrag! Und mal abgesehen von der Erkenntnis, das Nele eine sehr talentierte Malerin ist, habe ich für mich auch mitgenommen, dass wir aufpassen müssen was wir unseren Kindern sagen. Kinder haben eine schöne und blühende Fantasie und Vorstellung von der Welt, die wir mit unseren nüchternen Ansichten schnell zerstören können. Und an guten Geistern ist doch nichts schlechtes, oder?
Ja stimmt. Nele hat sich sehr viel Mühe gegeben. Zumindest gute Geister sind nichts schlechtes da hast du recht, aber ich find es sehr gut, dass die Kinder keine Angst vor bösen Geistern haben und die Eltern offen mit ihren Kindern gesprochen haben.