In Alex Proyas’ Comicverfilmung The Crow spielen Tod und Unsterblichkeit eine zentrale Rolle – ob im Design oder im Plot oder in der von tragischen Umständen umrankten Entstehungsgeschichte. Das Phänomen The Crow hinterlässt ein Vermächtnis als maßgeblicher Richtungsweiser für nachfolgende, medienübergreifende Werke und sogar als stilbildender Einfluss auf eine ganze Subkultur.  

Die 1990er waren in vielerlei Hinsicht der Höhepunkt der Kinokultur Hollywoods. Nahezu in jedem Jahr wurden Filme veröffentlicht, die das Kino für immer veränderten und nachhaltig beeinflussten. Ob Charakterdramen wie Thelma & Louise (1991, R: Ridley Scott), große Epen wie Braveheart (1995, R: Mel Gibson) und Titanic (1997, R: James Cameron) oder Genre-Meilensteine wie Jurassic Park (1993, R: Steven Spielberg) und The Matrix (1999, R: The Wachowskis). Psychologische Charakterführung im Skript gab sich mit technischen Neuerungen und revolutionären Ideen die Hand, um so einem wachsenden Publikum nie dagewesene Schauwerte zu präsentieren, die aber alle inhaltlich verankert waren. 
Innerhalb dieser reichen Zeit für die Filmwelt gab es einen deutlich kleineren Film, der aber schließlich sogar The Matrix stilistisch maßgeblich beeinflussen sollte.  

Das ikonische Filmplakat.

Die Rede ist von Alex Proyas Magnum Opus The Crow aus dem Jahr 1994, basierend auf der Graphic Novel von James O’Barr. Mit Brandon Lee, den die titelgebende Rolle wortwörtlich unsterblich machte, Rochelle Davis als taffer, aber auch alleingelassener Ziehtochter Sarah, Ernie Hudson als gutherzigem Polizisten und mit Michael Wincott, der einmal mehr sein Dasein als Bösewicht-Mime eindrucksvoll unter Beweis setzen konnte.  

Archaischer Plot

Ein Film, dessen Plot so einfach wie genial ist: In der Nacht des Teufels, dem Abend vor Halloween, wird das junge Ehepaar Shelly und Eric Draven  grauenvoll ermordet. In dieser Nacht kommt es in der nicht näher benannten Stadt, in der der Film spielt, jährlich zu grausamen Gang-Verbrechen, welche die Polizei ohnmächtig hinzunehmen scheint. 
Ein Jahr später bringt die Krähe, das Brückenwesen zwischen Leben und Tod, Eric Draven, der zu Lebzeiten Rockmusiker war, auf wundersame Weise zurück, um grausame Rache zu nehmen. Als unsterblicher Racheengel säubert er, zusammen mit der Krähe als Leittier, die Unterwelt von seinen und Shellys Peinigern. Doch bald wird ihm klar, dass er zwar die Täter bestrafen kann, aber niemals die Löcher wird füllen können, die sein Tod und derjenige seiner geliebten Frau in die Leben der Hinterbliebenen gerissen hat.

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Eine Mischung aus Stoizität und Agilität: Brandon Lee als Eric Draven. (Eurovideo-Miramax / Screenshot The Crow (1994, USA) 01:09:22)

Das Geschenk der Krähe versteht er bald weniger als Unsterblichkeit im Kampf, sondern vielmehr als  Chance sich bei seinen Liebsten zu verabschieden. Etwa bei Sarah, einem halbverwaisten Mädchen, das Eric und Shelly in Obhut genommen hatten. Oder dem ehrlichen Polizisten Albrecht. Eric versucht, ihnen noch etwas Gutes zu tun. Ob das nun die Rückholung von Sarahs Mutter aus der Drogensucht ist oder die Zerschlagung der Gang, die die Nacht des Teufels organisiert. Doch die lassen sich das nicht gefallen und entwickeln einen Plan, mit dem Unsterblichen umzugehen. Sie erkennen die Krähe als das Zentrum seiner übersinnlichen Macht, aber auch Sarah als ihm nahestehende Person. Also wird Jagd auf die Krähe gemacht und Sarah entführt – und Eric muss sich zum finalen Kampf erheben, bevor seine Zeit des Wiedergangs endet.  

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„Es kann ja nicht immer regnen“ – Hoffnungsbotschaft und zentrales Zitat. (Eurovideo-Miramax / Screenshot The Crow (1994, USA) 00:34:28)

Stilbildender Meilenstein

Der Plot wird nicht nur auf exzellente Weise inszeniert, sondern auch vermengt mit einem Allerlei der Kulturgeschichte, wie man es selten sieht. Zumindest nicht als gelungene Mischung, die die Grundsteine nicht nur für ein Filmgenre, sondern für eine ganze Subkultur gelegt hat.  

„Nichts ist trivial“ – radikale Wertschätzung des Lebens als Grundlage der Gothic-Kultur

Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass The Crow, vielleicht noch zusammen mit Clive Barkers HellraiserReihe aus den späten 1980ern, den Stil der Anhänger der Gothic-Bewegung massiv geprägt hat. Gerade Inhalte wie die Abwendung von der Brutalität der Tagwelt und die Hinwendung zur Umarmung der Nacht und den Formen des Todes ergaben jenes moderne Memento Mori, das eben gerade eine Ode an das Leben wird. Die Menschen in The Crow tragen großteils lange, wallende Ledermäntel oder enge Kluften in Schwarz. Diese und andere heraufbeschworene dunkle Formen dienen, so möchte man meinen, zur Abschreckung. Mehr noch: zum Schutz für den eigenen sensiblen Geist. Und wurden dann auf genau diese Weise bei den rebellischen Helden der Matrix wieder aufgegriffen.  

Kontrast und Referenzialität als zentrale Stilmittel

Auch bildlich findet The Crow neue Formen für die Lebendigmachung der Comic-Panels. 1989 landete Tim Burton mit Batman einen riesigen Hit. Das machte nachfolgende Comicverfilmungen für große Filmstudios überhaupt erst interessant. Burton definierte das Genre damals als Knallbonbon aus Film Noir und Andy Warhol-Pop Art. Anders The Crow: Der Begriff Graphic Novel wird hier wörtlich genommen. In den dargestellten Formen werden die verschiedenen Bedeutungsebenen des Stoffes sinnig und eindrucksvoll reflektiert. Kontrast und Referenzialität werden zu zentralen Stilmitteln.

Window The Crow

Caravaggio und Orson Welles geben sich visuell die Hand. (Eurovideo-Miramax / Screenshot The Crow (1994, USA) 01:02:59)

Visuell spiegeln monochrome Farbgebung und hartes Chiaroscuro-Licht, also Hell-Dunkel-Malerei, wie man sie aus der Spätrenaissance von Künstlern wie Rembrandt und Caravaggio kennt, hier einen Plot wider, der dem Film Noir entsprungen sein könnte. In elegischer Balladenhaftigkeit wird von moralisch ambivalenten Schattenfiguren in einer mafiösen Unterwelt erzählt, von Opfern eines maroden Systems, die dann selbst zu Tätern werden, ganz im Sinne eines Orson Welles. Dies wird gepaart mit Elementen der kunsthistorischen Gotik, insbesondere im Set Design, aber auch in der Wahl der Locations: etwa der Kirche im Showdown, dem oft bespielten Friedhof oder der Dachgeschoss-Wohnung mit den für die Epoche typischen Rundfenstern. Diese Formen verweisen stets nach oben oder nach außen, eben weg vom Hier und Jetzt und stehen für eine untergegangene, womöglich glorreichere Zeit. Aber nicht nur die Form, auch der Inhalt wird kulturhistorisch aufgeladen: So zitiert Eric Draven bei einem seiner Racheakte Edgar Allen Poes berühmtes Gedicht The Raven, womit sich auch die Schauerliteratur in die Reihe der Referenzen einfügt.  

The Crow ist ein Film, der in jeder Hinsicht die Poesie der Vanitas atmet – von Memento Mori, Carpe Diem und dem Schatten, der das Licht bedingt und vice versa bis hin zu seiner Bildsprache, seinem Ton, seinen Dialogen und seiner Handlung. Damit ist er ganz Kind der Epoche, aus der auch die kunsthistorische Gotik entstand: der Romantik. 

Artifizielle Überästhetisierung

Kritikerstar Roger Ebert vergleicht die exquisit geleuchteten und kontrastreich fotografierten Sets in seiner lobenden Rezension zum Film mit denen aus Ridley Scotts Sci-Fi-Meisterwerk Blade Runner (1982). Eine weitere Gemeinsamkeit wäre der Einsatz von Miniaturen, um die ästhetisierte Welt des Films zu erschaffen. Dies geschieht sogar deutlich sichtbar, um die Artifizialität der erzählten Welt zu unterstreichen. Dadurch bleibt die gezeigte Gewalt immer comichaft überhöht, anstatt durch Authentizität an dieser Stelle eventuell Voyeurismus zu bedienen. 
 

Übertreibung als darstellerisches Konzept. (Eurovideo-Miramax / Screenshot The Crow (1994, USA) 00:20:53)

Die Shoot-Outs in Zeitlupe, ebenfalls später von The Matrix aufgegriffen, gehen auf die Hongkong-Actionstreifen des von John Woo geprägten Heroic Bloodshed-Genres zurück. Die Zerstörung wird mit Grazie verbunden, wieder lebt die Gestaltung vom Kontrast. Das gilt selbst für den Soundtrack, in dem sich klassische Orchesterklänge in Graeme Revells Score zu rhythmischen Klängen von Instrumenten amerikanischer Ureinwohner gesellen: Melodram meets Mystik. Um aber auch der Härte des Stoffes gerecht zu werden, wurden etliche damals gerade aufstrebende Bands wie Rage against the Machine, Nine Inch Nails und The Cure verpflichtet, Songs für den Film zu schreiben.  

Rockstar-Attitüde als Systemsprenger

Rooftop The Crow

Der schmale Grat zwischen Kreation und Destruktion. (Eurovideo-Miramax / Screenshot The Crow (1994, USA) 01:05:06)

Apropos Rock and Roll: Unvergessen, man möchte sagen: unsterblich bleibt die Szene, in der Eric Draven, kurz vor dem Showdown, noch ein letztes Mal seine E-Gitarre spielt, auf dem Dach seines Hauses, in feucht-dampfiger Atmosphäre einer düster brennenden Teufelsnacht. Auf dem Höhepunkt seines Solos zerschlägt er seine Gitarre am Verstärker. Es wird dieselbe Zerstörungswut heraufbeschworen, die bereits auf den Bühnen etlicher Rock- und Metal-Bands Einzug fand und für die Zerschlagung eines Systems stand: des Establishments im Falle der Rock-Musik oder des terroristischen Systems der Nacht des Teufels im Falle von The Crow.  

Wegweisend für ein gesamtes Genre

The Crow ist ein akribisch zusammengesetztes Mosaik, das, ganz im Sinne der Postmoderne, aus Bestehendem Neues schafft, das so frisch und anders daherkommt, dass es folgende Werke erneut beeinflussen wird. Ein Kunststück, das wenigen anderen Comicverfilmungen später noch gelingen sollte. Allenfalls Sam Raimis Spiderman-Trilogie (2001, 2004 und 2007) und Christopher Nolans The Dark Knight Trilogie (2005, 2008 und 2012) fügten dem Genre noch etwas an Stilistik und Metaebene hinzu, bevor das Genre in den 2010ern zumindest im Spielfilmsegment zum repetitiven Schema F aus Reizüberflutung wurde, wenngleich so publikumserfolgreich wie nie zuvor.   

Alex Proyas’ Film wird, außer in The Matrix, in vielen weiteren Werken der jüngeren Popkultur zitiert. So etwa im Rachethriller The Punisher (2004). Aber auch in Videospiel-Klassikern wie Max Payne (2001), und im Gesamtwerk von Guillermo del Toro und Tim Burton, deren Inszenierungsweisen ähnlich hybride Mischungen aus Miniaturen und Set Locations bedienen, wodurch auch sie ein nahezu surreales Worldbuilding erschaffen. Aber auch in jüngeren Actionfilmen, etwa im düsteren Vampirepos Underworld (2003) findet man Einflüsse von The Crow. Ein Werk also, das unsterblich ist. Dennoch erhält The Crow 2024 ein Remake – ein Unterfangen das laut Proyas und O’Barr unnötig ist. Man ist geneigt, ihnen recht zu geben. 

Tragische Entstehungsgeschichte

Unsterblich wurde der Film leider aber nicht nur durch seine Exzellenz, sondern auch durch den plötzlichen Tod seines Stars Brandon Lee, Sohn von Martial-Arts-Legende Bruce Lee, der mit The Crow eigentlich seinen Durchbruch in Hollywood hatte. Er wurde noch während der Drehzeit von einem anderen Schauspieler erschossen. Verschmutzungsreste hatten sich im Lauf einer präparierten Filmwaffe gebildet und wurden beim Abfeuern der Platzpatrone zum tödlichen Projektil. Dies geschah während der Probe zu einer der vielen Kampfsequenzen des Films. Den Legenden zum Trotz wurde dieser tragische Unfall niemals aufgezeichnet und ist demzufolge auch nicht im Film zu sehen. 
Keine Legende ist, dass der Film dann ohne seinen Star vollendet wurde, mit Körperdoubles und aufwändigen Nachdrehs, die der Regisseur wie in Trance meisterte, bis er dann in eine jahrelange Schaffenspause versank. Er fand erst Jahre später zurück zum Film. Seine nachfolgenden Filme, etwa Dark City (1998) oder I, Robot (2004) reichten aber nicht mehr an die Brillianz und Relevanz von The Crow heran.  

Eine verfluchte Geschichte?

Aus Schmerz geboren: Der Graphic Novel THE CROW.

Dieser tragische Unfall ist aber nicht der einzige, der das Werk von The Crow umgibt: Comic-Schöpfer James O’Barr hat die Vorlage überhaupt erst geschrieben, weil seine Lebenspartnerin ebenfalls ums Leben gekommen war. Sie wurde überfahren, als sie ausgerechnet auf dem Weg war, ihn aus einer Bar abzuholen, in der er, nach langer Alkoholsucht, leider wieder zur Flasche gegriffen hatte und selbst nicht mehr fahren konnte. Ihr Name: Sally – nicht die einzige Ähnlichkeit, die sie zu Eric Dravens Frau Shelly hat. O’Barr verbarrikadierte sich fast zehn Jahre lang in seiner Wohnung und stürzte sich nach langer suizidaler Phase in die Arbeit an The Crow. Einer Graphic Novel, so viszeral wie wuchtig und ein außergewöhnliches Beispiel für die Kraft amerikanischer Independent-Kultur. Es wechseln sich Erinnerungen aus der gemeinsamen Beziehungszeit von Eric und Shelly in sanfter Bleistiftzeichnung ab, mit harter Tintengrafik, die die wortwörtlich schwarze Gegenwart der Figur – und ihres Autors – wie einen blanken Nerv zur Schau stellt. 
Als die Verfilmungsrechte veräußert wurden und beim Dreh mit Lee ein weiterer Mensch durch seine Geschichte und damit seinen Schmerz umkam, verbannte O’Barr sich selbst erneut in seine Wohnung. Er wurde aber durch Eliza Hutton, Brandon Lees Verlobte, aufgefangen. Gemeinsam gaben sie sich wohl gegenseitig Halt im erlebten Schmerz und fanden späte Heilung: nach über 20 Jahren tiefer Freundschaft gaben sie sich vor wenigen Jahren als Liebespaar bekannt.  

Eine Geschichte, geboren aus Schmerz, die fast wirkt wie eine Spirale aus Dunkelheit, bis am Ende doch Licht eintreten darf – durch das einzige, das wirklich Unsterblichkeit bedingt.  

„Es kann ja nicht immer regnen“ 

Erlösung The Crow

Tod als Erlösung, wahre Liebe als Brücke zwischen den Leben und Tod. (Eurovideo-Miramax / Screenshot The Crow (1994, USA) 01:29:18)

Unsterblich wurden durch den kulturellen Impact des Films nicht nur seine Stars und Macher. Sondern auch im Film selbst spielt sie eine große Rolle. Zwar erhält Eric die Unsterblichkeit von der Krähe, aber seine Reise im Film ist doch die, zu erkennen, dass wahre Unsterblichkeit niemals durch Magie erreicht werden kann – und Gerechtigkeit niemals durch Rache. The Crow hingegen entwickelt eine eigene Poetik und stellt Fragen über Leben und Tod und wie sie sich jeweils bedingen. Das Konzept der Unsterblichkeit wird reflektiert und in Frage gestellt. Das Leben in der Welt von The Crow ist sicherlich kein leichtes, aber ist es am Ende nicht doch wertvoller als die Bedeutungslosigkeit des ewigen Lebens. Entsteht Bedeutung nicht gerade durch Begrenzung? „Nichts ist trivial“, erkennt Eric gegenüber Albrecht an, als er über die Kleinigkeiten des Alltags sinniert. Kurz darauf folgt das wichtigste Zitat des Films: „Es kann ja nicht immer regnen“, das später noch mehreren Figuren in den Mund gelegt wird. In der stets verregneten Stadt wirkt das fast lakonisch – doch ist es auch Ausdruck der nahezu naiven Hoffnung, dass es mehr im Leben gibt, als Verderben und am Ende eine Erlösung davon im Tode. Schließlich wird sogar ein alternativer Weg zur Unsterblichkeit vorgeschlagen, der vielleicht ebenfalls naiv ist, aber eben auch poetisch: 
Im Schlussmonolog von Sarah, die durch den Film führt, heißt es: „Gebäude stürzen ein und Menschen sterben. Aber wahre Liebe lebt für immer.“ 
Dieser Film wird es auch.

 

Beitragsbild: (Eurovideo-Miramax / Screenshot The Crow (1994, USA) 00:56:45)

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