Spaziert man heute durch eine Stadt, sieht man Häuser mit zahlreichen Fenstern: große, kleine oder sogar ganze Fensterfronten. Sie gehören für uns ganz selbstverständlich zum Straßenbild. Doch es gab Zeiten, in denen die Fenster wegen Fenstersteuern von den Fassaden verschwanden. Ein Spaziergang durch die Geschichte mit der Frage: Sind Fenster Luxusgüter?
Fensterlos glücklich oder zumindest zufrieden mit wenigen Fenstern, das mussten die Menschen in England ab der Herrschaft von König Wilhelm III. (1650-1702) sein. Es sei denn, sie wollten tief in die Tasche greifen und Steuern auf ihre Fenster zahlen. Denn seit 1696 wurden Häuser mit mehr als zehn Fenstern zusätzlich besteuert – seit 1766 sogar schon ab sieben. Bei Überschreiten der Fensterzahl musste man neben zwei Shilling auch noch zusätzliche Steuern bezahlen. Dieser Beitrag stieg mit der Zahl der Fenster. Der Gedankengang war: Ein großes Haus hat viele Fenster und wer in einem großen Haus wohnt, hat viel Geld, also kann er auch mehr Steuern zahlen. Das heißt, ursprünglich sollte die Fenstersteuer vor allem reiche Engländer treffen.
Auf dem Land ging diese Rechnung auch auf. Aber in Großstädten wohnten auch arme Leute in großen Häusern mit vielen Fenstern, oft in komplett überfüllten Wohnungen in Gebäuden, die man im 19. Jahrhundert dann Mietskasernen nennen sollte. Die Konsequenz war, dass massenhaft Fenster zugenagelt oder zugemauert wurden. Bei Neubauten verzichtete man oft bewusst auf Fenster oder zumindest zu viele davon. Als Folge sank die Zahl der Häuser mit mehr als zehn – oder später sieben – Fenstern exponentiell. Die Kosten dieser Maßnahmen wälzten die Vermieter auf ihre Mieter ab: Die durften dann höhere Mieten zahlen.
Dabei waren es nicht nur herkömmliche Fenster, wegen derer man zur Kasse gebeten werden konnte: Da im Gesetzestext nicht spezifiziert war, was eigentlich ein Fenster ist, konnte alles Mögliche als Fenster gewertet werden. So konnte es zum Beispiel passieren, dass man wegen einer Lüftungsöffnung oder sonstigem Loch in der Wand draufzahlen musste. Ganz nach dem Motto: Im Zweifel ist es ein Fenster!
Fehlende Fenster = fehlende Desinfektion
Die armen Leute saßen dann buchstäblich im Dunkeln. Das wenige Licht und die geringe Luftzufuhr boten einen idealen Nährboden für verschiedene Krankheiten, Seuchen oder sonstige Infektionen. Deshalb litten die armen Menschen dort nicht nur unter mangelndem Licht und Sauerstoff, sondern auch an Seuchen wie Typhus. Die hatten ein leichtes Spiel mit den Bewohner*innen der dunklen, muffigen, überfüllten Zimmer und so steckten sich schnell viele Bewohner*innen einer solchen Unterkunft an. Denn: Keine frische Luft durch Fenster bedeutete eben auch keine saubere Luft. Obwohl all diese Missstände schnell sichtbar waren und klar war, dass die Steuer die Falschen traf, hielt die englische Regierung bis 1851 an der Fenstersteuer fest. Auch mehrere Petitionen, um die Steuer abzuschaffen, ignorierte sie. Ab 1850 gab es dann eine nationale Kampagne gegen die Steuer, die erfolgreich war. Doch in Zeiten der Fenstersteuer wurden Fenster effektiv zum Luxusgut.
Portugiesische Fenstersteuer: Schöne Aussicht als Luxus?
Die Fenstersteuer in England blieb jedoch kein Einzelfall. Auch in anderen Ländern wurden Fenster in der Vergangenheit besteuert, z.B. in Frankreich und den Niederlanden. Dies blieb jedoch keine Kuriosität längst vergangener Zeiten. 2016 erließ das portugiesische Parlament eine neue Grundsteuer. Diese besteuert zwar nicht Fenster an sich, sondern Sonnenlicht und schöne Aussichten, aber das Ergebnis bleibt gleich: Häuser mit vielen Fenstern werden höher besteuert. Zumindest, wenn durch diese Fenster viel Sonnenlicht fällt und man einen schönen Ausblick hat. Hierbei gilt: Südliegende Fenster werden höher besteuert, da sie zur Sonne ausgerichtet sind und meist eine bessere Aussicht aufweisen. Nordliegende Fenster hingegen erhalten weniger Sonnenlicht. Meist blickt man aus ihnen auf Hinterhöfe und hat dort keine Panoramaausblicke. Je mehr südliegende Fenster und je größer diese Fenster sind, desto mehr Sonnenlicht fällt ins Haus und desto höher ist demnach die Grundsteuer. Es stellt sich also die Frage: Sind Fenster auch heute noch Luxusgüter?
Fenster heute: durch Architektur zum Prestigeobjekt
Zwar gibt es in Deutschland keine Fenstersteuer, spaziert man jedoch durch einen Baumarkt und betrachtet die Fensterpreise, könnte man trotzdem argumentieren, dass Fenster zum Luxus geworden sind. Die Kosten für das Fenster an sich reichen nämlich durchschnittlich – je nach Größe, Material, Verglasungsart etc. – von 200 bis 2.000 Euro. Bei Zusätzen wie Einbruchsschutz, höherer Verglasungsstufe, Sichtschutz o.ä. steigen die Kosten weiter, und die Montage ist hier im Preis noch nicht inbegriffen. Dass Fenster – oder zumindest große Fensterfronten – Statussymbole sind, meint auch die Stuttgarter Architektin Sophie Frank. Laut ihr liegt dies aber vor allem an der besonderen Symbolik von Glas. Durch den Einsatz von Glas bei berühmten Bauten wie Wolkenkratzern in Chicago und New York, Stahlskelettbauten wie dem Crystal Palace, dem Farnsworth House von van der Rohe oder suburbanen Siedlungshäusern von Dan Graham, wurden Glas und damit auch Glasfenster durch Assoziation zu Prestigeobjekten.
Nun sind bodentiefe Fenster, wie Frank erzählt, aufgrund dieses Prestiges zum Standard geworden. Sie sind der kleine Hauch von Luxus in den eigenen vier Wänden. Bei echten Luxusimmobilien reichen einzelne, bodentiefe Fenster jedoch nicht aus. Hier muss es schon eine ganze Fensterfront sein, je größer, desto prestigeträchtiger. Die wird dann, wie Frank ausführt, von außen wieder blickdicht gemacht. Ganz so große Einblicke in sein Privatleben möchten die Reichen dann doch nicht geben, aber zumindest die Illusion von Transparenz möchten sie erzeugen. Der Einsatz von Fenstern wird auf diese Weise zum Spiel mit Transparenz. Die Fensterscheibe selbst wird wiederum zum Messinstrument des Reichtums: Zeig mir deine Fenster und ich sag dir, wie viel du hast…
Titelbild: privat
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