Eine vermeintlich unheilbare Krankheit, ein tödlicher Schuss direkt ins Herz, Eins gegen Hundert – nichts kann an der Unsterblichkeit der Hauptcharaktere rütteln. Mehrfach werden sie umgemäht, kehren aber emsig, wie Stehaufmännchen, durch den sogenannten Plot Armour beschützt, immer wieder auf wundersame Weise ins Leben zurück, statt brav ins Gras zu beißen.
Das Stilmittel Plot Armour bedeutet auf Deutsch „Handlungs-Rüstung“ (auch: Character Shields, Plot Shields und Script Immunity). Es wird in Filmen, Serien und Animes immer dann verwendet, wenn die Handlung (der Plot) und deren sinnvolle Weiterführung im Skript vom Überleben der Hauptcharaktere abhängt. Um den Spannungsbogen bei den Zuschauenden zu erhöhen, geraten die Protagonist*innen immer wieder in gefährliche Situationen, die sie allerdings stets überleben, egal, wie unrealistisch oder spontan aus dem Ärmel gezogen es in diesem Moment scheint. Die vermeintlich unheilbare Krankheit? Kein Problem, geheilt. Der tödliche Schuss? Hat wohl doch verfehlt. Eins gegen Hundert? Ein Kinderspiel für die talentierten Protagonist*innen, die es mit allem und allen aufnehmen können. Oder es sind plötzlich zuvor unentdeckte magische Kräfte im Spiel, die den Hauptcharakter heilen und selbstverständlich einzigartig machen. Dieses Stilmittel einmal oder zweimal beispielsweise in einer Serie zu bringen, ist generell unproblematisch. Nach dem x-ten Mal wird es allerdings auffällig – und führt bei vielen Zuschauenden zu Augenrollen. Die Liste ist endlos, es folgen ein „Best Of“ mit fünf besonders schönen Fällen von Plot Armour und Unsterblichkeit von Hauptcharakteren.
1. Harry Potter and the Philosopher’s Stone (2001)
Wie konnte Harry Potter als Baby Voldemorts Todesfluch Avada Kedavra entgehen? Wir mussten nicht lange auf die Auflösung warten, nur bis Kapitel 17 des ersten Bandes, als Dumbledore zu Harry meint:
„Your mother died to save you. If there is one thing Voldemort cannot understand, it is love. He didn’t realise that love as powerful as your mother’s for you leaves its own mark. Not a scar, not a visible sign… to have been loved so deeply, even though the person who loved us is gone, will give us some protection forever.“
Im Film Harry Potter and the Philosopher’s Stone fällt die Erklärung etwas kürzer und weniger spektakulär gegen Ende aus. Die Antwort also: die Liebe seiner Mutter. Kreativ und ‚wholesome‘? Oder einfach nur eine lasche Ausrede für einen sehr robusten Plot Armour? Immerhin stirbt Protagonist Harry Potter schließlich am Ende des letzten Films Harry Potter and the Deathly Hallows Part 2 (2011) – nun ja, nicht ganz. Der Teil Voldemorts in ihm stirbt und Harry bekommt die freie Wahl zwischen Wiederbelebung und tot bleiben. Im Laufe aller acht Filme überlebt er weitere Angriffe des mächtigen Zauberers Voldemorts, den zweiten mit schlappen elf Jahren. Bei Voldemorts Rückkehr scheint Harry unfassbares Glück zu haben, dass Voldemort ihn mit seinem Zauberstab nicht umbringen kann, da beide Zauberstäbe eine Feder vom gleichen Phönix teilen. In Teil 2, Harry Potter and the Chamber of Secrets (2002), entkommt er aus einer Grube von Millionen von hungrigen, riesigen Spinnen und bekämpft mit seinen zwölf Jahren einen Basilisken mit einem waschechten Schwert. Wer schon mal ein Schwert gehalten hat, weiß, dass ein solches ganz schön schwer sein kann, vor allem, wenn man damit auch noch kämpfen soll. Das sind nur ein paar Beispiele, klar wird jedoch: Harry Potter hat als Erlöserfigur einen auf Hochglanz polierten Plot Armour. Hier finden sich auch einige Parallelen zu christlichen Religionen, die Heilige und Erlöser portraitieren. Unsterblichkeit klingt ganz schön praktisch.
2. Star Wars – The Original Trilogy (1977-1983)
Unter der originalen Trilogie von George Lucas‘ Star Wars versteht man die ersten drei gedrehten Filme Star Wars (1977), Star Wars – The Empire Strikes Back (1980) und Star Wars – Return of the Jedi (1983). Gerade in diesen drei Filmen wimmelt es nur so von Todesfallen für den Protagonisten Luke Skywalker. Hätte er zum Beispiel wirklich die Schlacht von Yavin gewonnen, wäre er nur ein ersetzbarer Nebencharakter gewesen? In dieser Konfrontation zwischen dem Imperium und den Rebellenstreitkräften (im Yavin-System) zerstört Luke den Ersten Todesstern, eine mondgroße Superwaffe des Galaktischen Imperiums. Dabei wäre er fast draufgegangen. Aber sein Status als Darth Vaders Sohn verschafft ihm einen dicken Pelz an Plot Armour. Denn als Vader zum finalen Schuss ansetzt, taucht Rebell Han Solo auf und schießt Vaders ersten Flügelmann ab. Diesen verwirrt das so sehr, dasss er mit Vader zusammenstößt und ungewollt Lukes Leben rettet. Wie viel Glück – Plot Armour – kann man wohl haben? Im Laufe der weiteren Filme sammelt Luke immerhin soviel Erfahrung, Stärke und Lebensweisheit an, dass sein Überleben von allen Gefahren und Bedrohungen schließlich überzeugend ist. Ihm also in den späteren Filmen Plot Armour zu geben, damit er als weiser Jedi sein Wissen weitergeben kann, ist dann immerhin berechtigt.
3. Jurassic Park (1993)
Jurrasic Park (1993): Protagonist Tim Murphy klettert gerade über den Zaun, als plötzlich der Strom wieder angeschaltet wird. Er bekommt einen Schock und fällt, überlebt aber. Lediglich seine Haare stehen zu Berge und er sieht in den nächsten Szenen etwas angekokelt aus. Quelle: Tenor GIF
Steven Spielberg kreierte mit dem ersten Jurassic Park einen echten Kino-Knüller. Noch bis heute streitet man sich im Internet um die letzten originalen Jurassic-Park-T-Shirts und diskutiert über die Möglichkeit der Dino-Rückkehr durch menschliche Hand. Aber auch in diesem Filmklassiker wurde Plot Armour wie Süßigkeiten verteilt. Wie Reddit User*in aquila-audax nämlich zurecht anmerkt:
„The little boy in the OG, Jurrasic Park, Tim, is literally unkillable.“
Immerhin überlebt der etwa elfjährige Tim Murphy mehrere Dino-Angriffe, bekommt einen Stromschlag und schlittert im vom T-Rex zerstörten Auto in den Abgrund. Auch seine nur ein- bis zwei Jahre ältere Schwester Lex Murphy wird von einer schützenden imaginären Handlungs-Rüstung umhüllt. Hier können wir aber vielleicht mal ein Auge zudrücken. Plot Armour und Unsterblichkeit von Hauptcharakteren im Kindesalter ist in Spielfilmen dieser Art sind nicht nur erwünscht, sondern gefühlt fast schon ein Muss. Wer will auch einen spannenden Familienfilm schauen und danach traurig sein, weil ein Kind von einem Dino als Snack verspeist wurde?
4. Fairy Tail (2009-2019)
Protagonistinnen Wendy Marvell und Charle werden von einer Explosion erfasst, aber im letzten Moment von Mest Gryder per Teleportationsmagie gerettet. Quelle: Proxer.me © A-1 Pictures, BridgeDer aus mehreren Serien bestehende Anime Fairy Tail (フェアリーテイル) basiert auf dem gleichnamigen Manga von Hiro Mashima. Plot Armour in Animes ist teilweise noch extremer als in anderen Genres, aber auf den ersten Blick womöglich auch subtiler. Denn in Fairy Tail sterben viele bekannte und beliebte Charaktere, die auch einen großen Teil zum Plot beitragen – nur eben die Protagonist*innen der Gilde „Fairy Tail“ nicht. Der Anime spielt in einer Welt, in der Magie existiert, die aber nicht jeder benutzen kann. Magier*innen schließen sich in den meisten Fällen einer Gilde an. Die Protagonist*innen sind Teil der Gilde „Fairy Tail“ und erleben im Laufe des Animes viele Abenteuer und Kämpfe, die sich immer weiter zuspitzen, während sich die Handlungen der einzelnen Abenteuer immer weiter zu einem Ganzen verweben. Im Laufe des Animes wird mehrfach der (beinahe) Tod der Hauptcharaktere vorgetäuscht. Komplett ausgetrickst werden die Zuschauenden in Episode 21 des zweiten Teils Fairy Tail (2014), in der Protagonist Gray Fullbuster buchstäblich mit Magie durchbohrt wird und stirbt. Erst in der Episode danach opfert sich die Nebenfigur Ultear Milkovich, die Zeitmagie beherrscht. Durch ihr Opfer wird die Zeit um eine Minute zurückgedreht, wodurch eine Menge Charaktere gerettet werden, die genau in dieser Minute eigentlich gerade gestorben waren. Und somit springt auch Gray Fullbuster wieder quickfidel herum. Wenn man den Anime weiter verfolgt, merkt man, dass er zu dem Zeitpunkt auch gar nicht hätte sterben können. Er wird nämlich noch wichtig für den weiteren Verlauf. Plot Armour vom Feinsten!
5. The Last Kingdom (2015-2022)
The Last Kingdom ist eine britische Serie, die auf den Romanen Die Uhtred-Saga des britischen Schriftstellers Bernard Cornwell basiert, in der historische und fiktive Figuren gemischt werden. Uhtred ist der um 850 n. Chr. geborene Sohn eines angelsächsischen Großgrundbesitzers, der von den dänischen Wikingern entführt und aufgezogen wird. Im Laufe der Serie wechselt er mehrfach je nach Bequemlichkeit die Seiten. Wenn Uhtreds ständige Bündnis-Wechsel für ihn wirklich lebensgefährlich wären, hätte das für die Zuschauenden wirklich spannend werden können. Aber bereits in Staffel 1 wird klar: Uhtred, Son of Uhtred, ist unkaputtbar. Er überlebt lächerlich viele Situationen, in der jede*r andere abgemurkst worden wäre: Er wird entführt, überlebt Verrat und politische Intrigen, die Schlacht von Ethandun (ein entscheidender Kampf zwischen Sachsen und Dänen), Gefangenschaft, Folter, Verrat, Verbannung und die daraus resultierende Flucht.
Die Liste über Plot Armour und Unsterblichkeit von Hauptcharakteren könnte noch unendlich so weitergehen. Alle aufzulisten wäre vermutlich ein lebenslanges Projekt, welches man am Ende sogar mit ins Grab nehmen würde – außer natürlich, man ist selbst unsterblich.
Beitragsbild: Unsplash, Foto von Nik Shuliahin, bearbeitet von Alina Habermann mit Canva
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Der Beitrag ist eine wirklich unterhaltsame Sammlung von Beispielen für Plot Armour, die oft mehr Fragen aufwerfen als beantworten, wenn die Protagonisten mal wieder auf Teufel komm raus am Leben gehalten werden 😉