Benjamin Blümchen lebt! Zumindest seine Stimme mit der neuen Synchronisation von Matti Klemm. Nachdem der Sprecher Jürgen Kluckert verstorben war, entschied sich das Medienproduktionsunternehmen Kiddinx dafür einen neuen Sprecher einzusetzen und das, obwohl es inzwischen möglich wäre, eine KI-generierte Stimme zu nutzen. Ein Beitrag über die Vor- und Nachteile von künstlich erzeugten Stimmen.

Die Synchronisation in Deutschland läuft anscheinend gut, wenn man sich einmal anschaut, wie viele Filme inzwischen ins Deutsche übersetzt wurden und auch, wie wenig man bei einigen Filmen überhaupt von der Lippensynchronisation sieht. Synchronsprecher wie Manfred Lehmann (für den amerikanischen Schauspieler Bruce Willis) oder Santiago Ziesmer (für den animierten SpongeBob Schwammkopf) sind inzwischen fast schon genau so bekannt wie die Schauspieler oder Charaktere selbst.

Figur von SpongeBob Schwammkopf, der beide Daumen hochstreckt.

Spricht in Deutschland mit der Stimme von Santiago Ziesmer: SpongeBob Schwammkopf. (© Pixabay)

Unverkennbare Stimmen, die ein Leben lang mit dem jeweiligen Film-Charakter assoziiert werden. Aber auch Hörspielsprecher wie Oliver Rohrbeck, Jens Wawrczeck und Andreas Fröhlich aus der berühmten Drei-Fragezeichen-Reihe oder Edgar Ott vom freundlichen Elefanten Benjamin Blümchen haben durch ihre Stimme und schauspielerische Leistung eine riesige Fangemeinde generiert.

Was passiert, wenn diese Berühmtheiten aus dem Leben scheiden? Haben solch markante Stimmen nicht erheblichen Einfluss darauf, wie wir dann unsere Lieblingshörspiele wahrnehmen? Was wir mit ihnen assoziieren? Ob wir sie überhaupt noch konsumieren? Glücklicherweise kann man inzwischen das Problem aus der Welt schaffen, und zwar mittels KI-generierter Stimmen der Verstorbenen. Doch damit ist es nicht getan, denn wie die Debatte im Jahr 2023 rund um dieses Thema gezeigt hat, denkt unsere Gesellschaft sehr zwiegespalten darüber.

Künstlich erzeugte Stimmen

Figur von Benjamin Blümchen, der seine Hand über seinen Rüssel hält und grinst

Seine Stimme ist mittlerweile in der dritten Generation: Benjamin Blümchen. (© KIDDINX)

Durch DEEP-Learning-Mechanismen finden Technologien immer mehr über menschliches Verhalten und Interaktion heraus. Darunter fällt auch die Nachahmung und Generierung von Stimmen. Um die KI zu trainieren, werden Sprachdaten in die Systeme eingespeist. Einige Plattformen wie Google Cloud Text-to-Speech oder Microsoft Azure Text-to-Speech bieten hier eine leistungsstarke Generierung an.

Bei Personen mit einzigartigen Stimmen wird die KI-Generierung zu einem massiven Problem, da die KI nicht nur deren Stimme, sondern auch sie selbst einfach ersetzen könnte. Alena Buyx, Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, sieht genau hier die Gefahr und bringt in der Präambel des KI-Gagenkompass für künstlich erzeugte Stimmen vor, dass KI niemals den Menschen austauschen dürfe. Unabhängig von der Berücksichtigung von Datenschutzgrundverordnung, Persönlichkeits- und Urheberrecht ist der Verband deutscher Sprecher*innen der Ansicht, dass KI-Stimmtechnologien die Gefahr bergen, professionelle Stimmgeber*innen langfristig überflüssig machen. Außerdem würden diese die Selbstbestimmung ihrer eigenen Stimme verlieren. Daher schlägt der Verband eine angemessene und faire Regelung zur Budgetierung und Kontrolle von den zu verwendenden Stimmen vor, die er im KI-Gagenkompass erläutert. Doch selbst wenn es faire Regelungen dafür gibt, entscheiden sich große Persönlichkeiten aktiv gegen die Verwendung ihrer Stimme. Die Bedenken: dass ihre Stimmen und damit auch ihre Talente sinnlos werden, wenn Produktionsunternehmen anfangen die Stimmen durch eine KI ersetzen zu lassen.

Nutzlose Stimmen und Talente

Zu sehen ist eine kleine Figur von dem Charakter Pumuckl, der seinen rechten Daumen in die Luft hebt und an dessen rechten Fuß ein Fußball liegt

Dank KI spricht der rothaarige Kobold Pumuckl in der neu aufgelegten Fernsehserie immer noch mit der Stimme von Hans Clarin. (© Pixabay)

Der SWR berichtet, dass sich mehr als 200 Musiker*innen wie Jon Bon Jovi oder Katy Perry in einem offenen Brief gegen die Verwendung ihrer Stimmen per KI einsetzen. Aber auch in der Synchronsprecher-Branche sind die Bedenken real. Die Angst vor Stimm-Klonen und das Verlieren ihrer Profession ist laut den Salzburger Nachrichten keine Seltenheit. Auch ein gewisser Verlust der Identität ist im Gespräch. Oder kann diese nicht einfach bestehen bleiben? Ein positives Beispiel bildet der Fall von Hans Clarin – dem bereits 2005 verstorbenen Sprecher von Pumuckl – dessen Stimme durch das Unternehmen Respeecher für eine Neuauflage von der Pumuckl-Fernsehreihe auf RTL+ wieder zum Leben erweckt wurde. Nach Angaben des Redaktionsnetzwerks Deutschland war es dem Produktionsteam ein großes Anliegen, vorab die Nutzungs-Erlaubnis der Nachkommen von Hans Clarin zu bekommen. Mit ihrem Einverständnis war es möglich, das Stimm-Vermächtnis von Pumuckl letztendlich zu bewahren und damit auch ein Stück von Clarins Identität. Gut für alle Fans und Nostalgiker, aber was hätte Clarin wohl dazu gesagt?

Der deutsche Synchronsprecher Charles Rettinghaus hat dem Redaktionsnetzwerk Deutschland zufolge aber keine Angst. Er findet, dass die stimmliche Leistung von vielen Sprecher*innen so einzigartig ist, dass keine KI sie je ersetzen könnte. Es fehlt der KI seiner Meinung nach an der nötigen Authentizität und Persönlichkeit, die diese Stimmen so außergewöhnlich machen. Ein Problem hat aber wohl die Nachwuchs-Generation der Branche, denn die Jobs werden aufgrund der künstlicher Stimmgenerierung sichtbar weniger. Aktuell jedoch bekommen bekannte Hörspielsprecher*innen doch noch die ein oder andere Sprecherrolle. So auch Matti Klemm, der seit März 2024 die neue Stimme von Benjamin Blümchen übernommen hat.

Die Macht der Stimme

Gerade für Hörspielsprecher*innen sind solche Übernahmen von geliebten Rollen eine wunderbare Plattform, um ihre Stimme berühmter zu machen. Nach dem Tod des zweiten Sprechers Jürgen Kluckert (nach Edgar Ott) übernahm Klemm das Amt des Dickhäuters. Entgegen Kluckert will er der sonoren Tonalität und Sprache von Edgar Ott – mit dem Benjamin Blümchen aufgewachsen ist – nicht nacheifern, sondern eine Neuinterpretation wagen – wie er dem WDR berichtete. Mit seiner rauchigen Stimme ist Klemm ebenso wie Kluckert und Ott eine bedeutende Größe in der Synchronisation und hauptsächlich bekannt durch den Sender Kabel Eins. Die Neuinterpretation von Klemm ist gewagt, findet die Fangemeinde auf der Facebook-Seite. Sie sind der Meinung, der neue Sprecher sei viel zu depressiv und absolut unpassend. Es sei nicht mehr der freudige Elefant und klinge viel mehr nach dem Charakter des Herrn Tierlieb. Einer schlägt sogar die Bearbeitung mit KI vor, um den alten Benjamin am Leben zu halten.

Zu sehen ist Benjamin Blümchen, der lächelnd beide Hände in die Hüften stemmt

Benjamin Blümchen (© KIDDINX)

Ob das so richtig ist?

Wir sprechen hier bewusst nicht darüber, wenn sich die Sprecher*innen zu Lebtagen dazu entscheiden haben, ihre Stimme zu verkaufen. Vielmehr geht es hier darum, dass Produktionsfirmen dies entscheiden oder vielleicht sogar einfach machen, ohne die Angehörigen um Erlaubnis zu fragen. Letzten Endes ist die Antwort auf die Frage doch eine Sache des Respekts gegenüber dem Verstorbenen, seiner Persönlichkeit, Identität und künstlerischen Leistung sowie eine Frage der Authentizität der Figur selbst. Sicher ist es nicht schön, wenn der graue Elefant eine neue Stimme bekommt, doch wir können uns schon irgendwann daran gewöhnen. Die Sprecher Ott und Kluckert werden wir trotz der Auswechslung durch Klemm nicht einfach vergessen. Wir denken beim Hören – vielleicht auch etwas nostalgisch – an sie, weil sie es waren, die unserem Benjamin bisher Leben eingehaucht haben. Letztlich macht das doch vielleicht sogar eine gute Trauerbewältigung aus?

Aller Anfang ist schwer, aber auch bei Klemm hat ein Teil der Benjamin-Blümchen-Community Vertrauen in ihn. Vertrauen, eine weitere unvergessliche Stimmidentifikation zu schaffen, wie es schon Kluckert und Ott geschafft haben. Hörspielsprecher, an die man sich auch noch Jahre später erinnern wird, weil ihre Stimmen ihre Identität sind. Identitäten, die wahrscheinlich mit einer KI-generierten Stimme niemals so berühmt geworden wären. Identitäten, denen eine KI niemals gerecht werden kann.

Kostprobe gefällig?

Hier findet ihr die verschiedenen Stimmen von Benjamin Blümchen in Reihenfolge (1. Edgar Ott, 2. Jürgen Kluckert und 3. Matti Klemm):

 

Beitragsbild: © KIDDINX

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10 Kommentare
  1. E. Bischoff
    E. Bischoff sagte:

    Interessanter Beitrag, der die Vorteile und Risiken Ki generierter Stimmen informativ beleuchtet. Spannend hierzu finde ich ja auch den Rechtsstreit, der gerade zwischen Scarlett Johansson und den Machern von ChatGPT herrscht. Bei diesem wirft Johansson den Machern vor ihre Stimme gegen ihren Willen nachgeahmt zu haben und für ihre Zwecke zu nutzen. Vielleicht wäre diese Debatte auch einen Folgeartikel wert? Bin gespannt, was hier noch für Artikel folgen 🙂

    • Linda Loeffler
      Linda Loeffler sagte:

      Liebe Elisa,

      danke für deine Nachricht 😉 Das ist ein super spannendes Thema. Interessant wird auch sein, wie der Rechtsstreit letztendlich ausgeht. Die Rechtslage muss ja auch mit jedem technologischen Fortschritt ein Stück weit angepasst werden.

      Viele Grüße
      Linda

    • Nathalie W.
      Nathalie W. sagte:

      Äußerst interessant, da stimme ich Ihnen zu! Die Einblicke in die aktuellen Herausforderungen der Hörspiel-Szene sind sehr spannend! Gerne mehr davon!👍🏼

    • Linda Loeffler
      Linda Loeffler sagte:

      Liebe Nathalie,

      ich bin auch gespannt, was sich in den nächsten Jahren noch so tut in dieser Branche! 😉

      Viele Grüße,
      Linda

  2. Sarah Felten
    Sarah Felten sagte:

    Sehr schöner Artikel zu einem spannenden Thema, mit dem ich mich noch nicht selbst auseinandergesetzt habe, obwohl mir das plötzliche „Wechseln“ von stimmen auch schon öfter mal aufgefallen ist. Besonders deinen Schlussabsatz finde ich total gelungen und einen schönen Abschluss! 🙂

    • Linda Loeffler
      Linda Loeffler sagte:

      Liebe Sarah,

      danke für dein positives Feedback 🙂 Zum Glück können wir uns meistens bei neuen Stimmen irgendwann umgewöhnen.

      Viele Grüße,
      Linda

  3. Margit Löwl
    Margit Löwl sagte:

    Gutes Thema…jede Stimme hat ihren sehr eigenen Charakter ob das bei einer KI-generierten auch so gut gelingt? Da geht es ja auch um die Atmung uns den Resonanz Körper und die einzelne Betonung der Wörter….spannend

    • Linda Loeffler
      Linda Loeffler sagte:

      Liebe Margit,

      vielen Dank für deine Nachricht. Ja, da hast du vollkommen Recht. Es ist einfach in gewisser Weise eine Frage der Authenzität 😉

      Viele Grüße,
      Linda

  4. Andrea L.
    Andrea L. sagte:

    gut geschrieben! ist ein sehr spannendes Thema! ich bin da sehr zwiegespalten und hoffe sehr dass man weiterhin gesunden Menschenverstand walten lässt bei der Entscheidung, ob es denn wirklich unbedingt nötig ist , eine Charakter-Stimme für eine Figur künstlich weiter zu erhalten auch wenn der Sprecher verstorben ist. ich persönlich finde, der Mensch sollte mit seinem unverwechselbaren Talent immer im Vordergrund stehen. das betrifft nicht nur Sprecher und Schauspieler sondern auch Illustratoren, die vor demselben Problem stehen, dass die KI ihre außergewöhnliche Arbeit überflüssig machen kann

    • Linda Loeffler
      Linda Loeffler sagte:

      Liebe Andrea,

      vielen Dank für deine Nachricht! 🙂 Genau das finde ich auch, denn das Talent und die Kunst der Sprecher-, Schauspieler-, oder Illustrator*innen ist ja auch das Faszinierende und Beeindurckende hinter jeder Performanz.

      Viele Grüße
      Linda

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