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Mit Beschwörungsformeln und Gebeten Dämonen aus Besessenen verjagen: Es klingt wie ein längst vergessener religiöser Ritus. Dabei ist der Exorzismus weltweit verbreitet. Auch in Deutschland treiben Priester noch immer den Teufel aus.

Die junge Frau redet mit sich selbst, schlägt um sich und ist bald nicht mehr zu bändigen. Ihre Familie ist sich sicher: Die Südkoreanerin ist vom Teufel besessen. Fünf Verwandte, Mitglieder einer christlich-fundamentalistischen Sekte, fesseln sie schließlich ans Bett, stopfen ihr ein Handtuch in den Mund und prügeln über Stunden auf ihren Brustkorb ein. Sie sind überzeugt davon, ihr mit einem Exorzismus den Dämon austreiben zu können. Dieser Fall hat sich nicht etwa im düsteren Mittelalter ereignet, sondern in Zimmer 433 eines Frankfurter Luxushotels. Am Ende dieses Tages im Dezember 2015 ist die Südkoreanerin tot, erstickt. Die Polizei findet ihre Leiche im Bett: mit einem Kleiderbügel im Rachen, von Hämatomen übersät. Ihre fünf Verwandten, darunter ihr 15 Jahre alter Sohn, werden festgenommen.

Auch im aufgeklärten 21. Jahrhundert glauben weltweit Menschen daran, von Dämonen besessen zu sein, und hoffen auf Erlösung durch eine Teufelsaustreibung, vor allem in Mittel- und Lateinamerika. Dort seien der Dämonenglaube und Exorzismen feste Bestandteile des Glaubens, sagt der Historiker und Autor Bernd Harder von der „Gesellschaft für die wissenschaftliche Untersuchung der Parawissenschaften“ im Gespräch mit diesem Blog. Harder beschäftigt sich seit Jahren mit der Teufelsaustreibung in der heutigen Zeit.

Exorzismus ist weltweit verbreitet

Exorzisten versuchen in Ritualen und durch Gebete, mit dem Dämon Verbindung aufzunehmen und ihn dazu zu bewegen, die „Besessenen“ zu verlassen. Gerade in fundamentalistischen Glaubensgemeinschaften wie den evangelikalen Freikirchen, das zeigt das Beispiel des eskalierten Exorzismus in Frankfurt, spielt Gewalt bei den Ritualen oft eine Rolle. Zu manchen Riten gehöre es, dass auf die Betroffenen eingeschlagen werde, erklärt Bernd Harder. Manchmal zeigen die Geplagten aber auch starke körperliche Reaktionen auf den Exorzismus, sodass sie der Teufelsaustreiber festhalten und fixieren muss. Das könne fatale Folgen haben, sagt der Exorzismus-Experte. Das Ritual bestätige das Opfer in seiner Rolle als „Besessene“ oder „Besessener“: „Der Betroffene wird immer weiter aufgestachelt, das Verhalten zu zeigen, was die Exorzisten und Gläubige erwarten.“ Dadurch erreiche man das Gegenteil von dem, was angestrebt werde, glaubt Harder: „Die psychischen Symptome verstärken sich, dem Betroffenen geht es immer schlechter.“

Nicht nur in christlich-fundamentalistischen Sekten, sondern auch im Katholizismus gehört die Teufelsaustreibung zum religiösen Alltag. Dort ist der Exorzismus seit dem Mittelalter bekannt, als sich der Volksglaube an Dämonen, Geister und Teufel ausbreitete. 1614 führte die Katholische Kirche den Exorzismus offiziell ein. Im „Rituale Romanum“, einem liturgischen Kirchenbuch, schrieb der Vatikan vor, wie ein Exorzismus durchzuführen sei. Der Priester betet: „Ich befehle dir im Namen unseres Herrn Jesus Christus, verlasse den Körper, den (sic!) du dich bemächtigt hast.“ Die Betroffenen werden dem Ritual nach mit Weihwasser besprengt, es werden verschiedene Psalmen vorgelesen, das Glaubensbekenntnis gebetet, das Kreuz gezeigt und die Hand aufgelegt. Danach seien die Gläubigen vom Bösen befreit, glaubte man. Historiker Harder sagt:

„Im Mittelalter hatte das Böse ein klares Gesicht: Satan oder Teufel.“

Eine einfache Variante, mit dem abstrakten Bösen in der Welt umzugehen: Die Menschen zentrierten es in einem Dämon, den man nur austreiben müsse, um das Unheil abzuwenden. Durch Bibelverse wie „Heilt Kranke, weckt Tote auf, reinigt Aussätzige, treibt Dämonen aus“ sahen sich Exorzist*innen legitimiert, geradezu dazu aufgerufen, Teufelsaustreibungen vorzunehmen. Und das bis heute.

Die Katholische Kirche hält an Exorzismus fest

2014 erkannte der Vatikan die in etwa 30 Ländern vertretene internationale Vereinigung der Exorzisten (AIE) offiziell als private rechtsfähige Gesellschaft an. Zur Organisation gehören rund 250 Teufelsaustreiber*innen, die jährlich etwa 30.000 Mal zum Einsatz kommen. Der AIE-Vorsitzende Francesco Bamonte begrüßte die Entscheidung der Kirche – und brachte die Hoffnung zum Ausdruck, dass nun mehr Priester der „oft ausgeblendeten oder unterschätzten dramatischen Situation“ besessener Menschen Beachtung schenkten. Der Exorzismus sei eine Form der Nächstenliebe. Harder vermutet einen weiteren Grund dafür, dass die Kirche noch immer an dieser aus der Zeit gefallenen Praxis festhält. Der Exorzismus soll als indirekter Gottesbeweis fungieren: Wenn es den Teufel gebe, dann müsse es folglich auch Gott geben, so der Historiker. „Der Exorzismus ist quasi die letzte Bastion des Übernatürlichen.“

Auch wenn sich die Katholische Kirche in Deutschland darüber ausschweigt, treiben Priester auch hierzulande immer wieder Gläubigen den Teufel aus. Der Bayerische Rundfunk hat bereits 2008 aufgedeckt, dass im Auftrag der Katholischen Kirche fast täglich Exorzismen durchgeführt werden. Der Sprecher des Erzbistums Paderborn, Ägidius Engel, bestätigte schließlich der „Süddeutschen Zeitung“, dass die Kirche „seelisch höchst notleidende(n) Menschen“ mit einer „Liturgie der Befreiung“ helfe. Es sei dann „die Pflicht des Bischof“, Exorzist*innen zu beauftragen. Weitere Stellungnahmen dazu sind von den deutschen Bistümern kaum zu erhalten. In anderen Ländern ist es deutlich einfacher,  kirchliche Exorzist*innen zu finden. Vielerorts wird aus dieser Praxis keinen Hehl gemacht. In Großbritannien etwa ist in jeder Diözese ein Priester als Exorzist angestellt. In Österreich nennen sich Priester, die mit dem Exorzismus beauftragt sind, euphemistisch „Beauftragte im Befreiungsdienst“.

Hunderte bitten jährlich um einen Exorzismus

Offiziell haben von den 27 deutschen Bistümern nur noch sieben Exorzisten in ihren Reihen. Die Nachfrage aber ist hierzulande groß: Jährlich erhalte die Katholische Kirche hunderte Anfragen von Menschen, die überzeugt davon sind, von Dämonen besessen zu sein und auf Erlösung durch Exorzist*innen hoffen. Das bestätigt eine Sprecherin auf Anfrage. Woran liegt das? Bernd Harder hat eine Vermutung:

„Für Betroffene ist ihre Besessenheit eine einfache Antwort auf komplexe Probleme.“

Mit tieferen Ursachen, etwa Angststörungen, psychischen Erkrankungen oder Süchten, müssten sie sich dann nicht mehr auseinandersetzen. Oftmals seien solche Menschen in psychiatrischer Behandlung besser aufgehoben als in den Händen der Teufelsaustreiber*innen. „Gesucht wird aber häufig eine Instant-Heilung durch einen Exorzisten, ohne anstrengende Therapie“, erklärt Historiker Harder.

Der tragische Tod der Anneliese Michel

Das erhoffte sich wohl auch Anneliese Michel. Sie suchte Erlösung im Exorzismus – und fand den Tod. Der Fall der 23 Jahre alten Pädagogik-Studentin sorgte 1976 weltweit für Aufsehen. Die Frau aus dem unterfränkischen Klingenberg litt jahrelang unter epileptischen Anfällen, trotz der Medikamente, die sie dagegen einnahm. Obwohl sie klare Symptome einer Schizophrenie zeigte, kam sie nie in psychiatrische Behandlung, sondern zur Teufelsaustreibung. Zwei katholische Priester mühten sich über Monate ab, ihren vermeintlichen Dämon zu verjagen. Dass die junge Frau bald keine Nahrung mehr zu sich nahm, blendeten die Priester aus. Nach insgesamt 67 Exorzismen starb Anneliese Michel im Beisein ihrer Eltern, nur noch 31 Kilogramm schwer, an Unterernährung und einer Lungenentzündung.

Der Fall Michel inspirierte auch das Psychodrama „Requiem“ aus dem Jahr 2006. Und er löste einen Skandal aus, der die Katholische Kirche in Deutschland erschütterte. Möglicherweise ein Grund, warum die deutschen Bistümer das Thema heute tabuisieren, meint Bernd Harder. Die Kirche zog allerdings Lehren aus diesem Fall. Der Vatikan überarbeitete 1999 sein jahrhundertealtes Regelwerk. Seither darf der Exorzismus nur mit besonderer und ausdrücklicher Erlaubnis des jeweiligen Ortsbischofs angewendet werden. Und das auch nur, wenn Suchterkrankungen und psychische Störungen zuvor in einer medizinischen Untersuchung ausgeschlossen worden sind.

Vier der fünf Südkoreaner*innen kamen mit Bewährungsstrafen davon

Der heute durchgeführte Exorzismus der Katholischen Kirche habe also nichts mehr mit den Praktiken im Fall Michel oder brutalen Filmklischees wie etwa in „Der Exorzist“ zu tun, so Bernd Harder. Das Ritual bestehe vielmehr aus Gebeten und der Bitte um Befreiung vom Bösen, wie es etwa schon im „Vater Unser“ zum Ausdruck komme. Kirchensprecher Ägidius Engel versicherte der „Süddeutschen Zeitung“: Ein Exorzismus werde erst vollzogen, wenn Fachleute bescheinigten, dass „da eigentlich nur noch der liebe Gott helfen könne.“

Davon überzeugt, dass nur noch ein Exorzismus die Rettung sei, waren auch die fünf Südkoreaner*innen aus Frankfurt. Vier Verwandte der getöteten jungen Frau kamen mit Bewährungsstrafen davon, eine Cousine wurde zu sechs Jahren Haft verurteilt. Das Gericht glaubte ihnen, dass sie das Opfer nicht töten wollten, sondern in dem festen Glauben handelten, der Frau zu helfen.